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Kenntnisstand und praktischer Handlungsbedarf

Psychische Belastungen in der Pflege

Wachsender Personalbedarf, Fachkräftemangel und unattraktive Arbeitsbedingungen

Über die Arbeitssituation in Pflegeberufen ist bereits viel geschrieben worden. Hier werden drei zentrale Punkte dargestellt. Die Zahl der professionell Pflegenden ist seit einigen Jah-ren kontinuierlich angestiegen. Dies gilt ins-besondere für ambulante Pflegedienste und stationäre Pflegeeinrichtungen, deren Zahl in Folge der Strukturreformen im deutschen Ge-sundheitswesen und der Liberalisierung des Pflegemarktes deutlich angestiegen ist (im Krankenhaussektor sind die Beschäftigtenzahlen seit der Gesundheitsreform dagegen rückläufig). Ein wesentlicher „Treiber“ des zunehmenden Bedarfs an Pflegekräften ist die demografisch bedingte Zunahme alter Menschen mit dem Risiko der Pflegebedürf-tigkeit. Der Bedarf an Pflegefachkräften wird vor diesem Hintergrund auch in Zukunft wei-ter ansteigen. Bei dem Anstieg der Pflegebedürftigen und den damit verbundenen er-höhten Versorgungsbedarfen ist es absehbar, dass sich der bereits bestehende Fachkräftemangel in den kommenden Jahren weiter zuspitzen wird. Der Fachkräftemangel wird unter anderem mit unattraktiven Arbeitsbedingungen begründet, die zum Beispiel beim Vergleich mit anderen europäischen Ländern zutage treten (Hasselhorn u. Müller 2004): akuter Personalmangel, ungünstige Arbeitszeiten, Schichtarbeit, Überstunden und Einspringen am Wochenende, schlechte Aufstiegschancen und eine häufig unzureichende Ausstattung. Hinzu kommt eine kri-tische Haltung in der Öffentlichkeit, die zwar hohes Vertrauen in die Pflegenden setzt, die Arbeitsbedingungen und die pflegerische Qualität jedoch überwiegend kritisch bewertet (s. auch  Abb. 1).

Psychische Belastungen und Gesundheitsrisiken

Die beschriebene Arbeitssituation ist einer der Hauptgründe für die in der Pflege stark verbreiteten psychischen Belastungen. In einer Reihe von Studien berichteten die be-fragten Pflegekräfte hohe Belastungen durch die Arbeitsintensität sowie Belastungssitua-tionen im Zusammenhang mit Verhaltensauffälligkeiten, Sterben und Tod (Hasselhorn u. Müller 2004; Zimber u. Weyerer 1999). In der ambulanten Pflege werden die Arbeits-bedingungen insgesamt etwas positiver ein-geschätzt als in der stationären Altenpflege.

Mitbedingt durch diese hohen Belastun-gen, sind psychische Beanspruchungen und Gesundheitsrisiken im Vergleich zu anderen Branchen in den Pflegeberufen stark verbreitet. Dies drückt sich unter anderem aus in hohen Burnout-Raten, psychosomatischen Beschwerden, einem erhöhten Krankenstand und Frühberentungen aufgrund psychischer Erkrankungen (Zimber et al. 2000). Auch die eigene Arbeitsbewältigungsfähigkeit wird von den Pflegenden auffällig oft als eingeschränkt angesehen. So beantworteten in der Erhebung zum DGB-Index „Gute Arbeit“ die Frage „Meinen Sie, dass Sie unter den derzeitigen Anforderungen Ihre jetzige Tä-tigkeit bis zum Rentenalter ausüben könnten?“ 74 % mit „Nein“. Diese negative Ein-schätzung korrespondiert mit dem vermehr-ten vorzeitigen Ausscheiden aus dem Beruf (Hasselhorn et al. 2004) und wird den bestehenden Fachkräftemangel voraussichtlich weiter verschärfen.

Präventionsmaßnahmen

Immer wieder liest man, die Datenlage zur Belastungs- und Gesundheitssituation der Pflegekräfte sei unzureichend, so dass weiterhin ein dringender Forschungsbedarf bestehe (z. B. Glaser u. Höge 2005). Tatsächlich ist die Forschungslage in Ländern, in denen die Pflegeberufe seit vielen Jahren akademisiert sind, weitaus besser, und die Ergebnisse aus jenen Ländern sind aufgrund gravieren-der nationaler Unterschiede nur begrenzt auf Deutschland übertragbar (Hasselhorn u. Müller 2004). Dennoch ist die bestehende Befundlage schon für sich genommen erdrückend – und zugleich bedrückend für die Pflegeberufe. Es besteht also weniger ein Wissens- als ein Umsetzungsproblem.

Zur Reduzierung der hohen psychischen Belastungen und zur Prävention psychischer Erkrankungen eignen sich unter anderem folgende Maßnahmen:

  • Erweiterung der Ausbildungsinhalte: Es ist davon auszugehen, dass Auszubildende in der Pflege häufig eine ausgeprägte Neigung zur Selbstüberforderung und eine geringe Abgrenzungsfähigkeit von den Bedürfnissen anderer Menschen mitbringen. Selbstfürsorge und Psycho-hygiene sollten daher stärker als bisher in der Pflegeausbildung vermittelt werden, um die Pflegenden bei beruflichen Problem- und Konfliktlagen zu entlasten.
  • Früherkennung psychischer Belastungen: Prävention hat in unserem Gesundheits-system Vorrang vor Therapie und Rehabilitation. Um berufliche Problemlagen zu erkennen, bevor aus ihnen gesund-heitliche Beeinträchtigungen entstehen, müssen psychische Belastungen am Ar-beitsplatz rechtzeitig identifiziert werden. Die seit 2013 vom Arbeitgeber geforderte Ermittlung psychischer Belastungen stellt hierfür eine geeignete Grundlage dar, um daraus geeignete Maßnahmen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz ableiten zu können.
  • Ausbau arbeitsplatznaher Präventions-angebote: Die Sozialträger und die für den Gesundheitsschutz verantwortlichen Institutionen haben in den letzten Jahren eine Reihe von Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung an-gestoßen (siehe Glaser u. Höge 2005). In begleitenden wissenschaftlichen Evalua-tionen konnte deren Wirksamkeit in Bezug auf Verbreitung und Ausmaß psychi-scher Belastungen nachgewiesen werden (z. B. Zimber et al. 2010). Damit es nicht, wie leider häufig der Fall, bei „Ein-tagsfliegen“ bleibt, sind möglichst flächendeckende Maßnahmen erforderlich, die auch für private und kleinere Pflege-einrichtungen zugänglich sind.

Ausblick: Was kann sich an der Situation ändern?

Erlauben Sie mir zum Ende ein persönliches Wort. Als mich der Herausgeber dieser Zeit-schrift um einen Praxisbeitrag zu psychi-schen Belastungen in der Pflege bat, sagte ich spontan zu. Später kamen mir dann doch Zweifel: So viel wurde schon über die pre-käre Situation in den Pflegeberufen geschrie-ben und gesprochen – tatsächlich geändert hat sich seither wenig. Bereits als ich vor knapp zwanzig Jahren über die Altenpflege zu forschen begann und mich für eine bessere Arbeitssituation einsetzte, stieß ich überall auf frustriertes Personal, wenig Ressourcen und eine Politik, der es am Willen zu einer umfassenden Besserung der Situation weithin fehlte. So räumte zum Beispiel der Sprecher eines Oberschulamtes offen ein, die Politik sei stark daran interessiert, den Altenpflegeberuf als „Reservoir für Haupt-schulabsolventen und auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbare Personen“ offen zu halten. Heute erfahre ich, dass Sozialträger jugendliche Arbeitslose aus Südeuropa mit Bussen nach Deutschland holen, um ihre personellen Lücken zu füllen. Denn welcher junge Mensch in Deutschland will noch eine Pflegeausbildung beginnen, solange sich bessere Alternativen bieten? Trotz der gravie-rend veränderten Bedarfslage haben Politik und Öffentlichkeit also nur wenig gelernt. Mehrere Pflege- und Ausbildungsreformen, zahllose Gutachten zur Lage der Pflegesitua-tion, Imagekampagnen und Projekte zur Verbesserung der Arbeitssituation haben am Notstand unter dem Strich kaum etwas ändern können. Obwohl wir alle eigentlich ein massives Interesse an der Gewährleistung guter Alten- und Krankenpflege haben sollten, reagieren wir auf das Thema mit „gelernter Sorglosigkeit“: Wenn in einer riskanten Situation das Verhalten nicht verändert wurde, aber doch noch mal alles gut ging, nimmt man die Warnsignale zunehmend weniger ernst. Vielleicht war es diese Befürchtung, die mich dann doch überzeugt hat, noch einmal über die psychischen Belastungen in der Pflege zu schreiben.

Literatur

Hasselhorn HM, Müller BH: Arbeitsbelastung und Beanspruchung bei Pflegepersonal in Europa – Er-gebnisse der NEXT-Studie. In: Badura B, Schell-schmidt H, Vetter C (Hrsg.): Fehlzeitenreport 2004. Berlin: Springer, 2004.

Zimber A, Weyerer S (Hrsg.): Arbeitsbelastung in der Altenpflege. Göttingen: Verlag für Angewandte Psychologie, 1999.

Zimber A, Barthelme G, Ihsen M, Polak U: Die Situa-tion der Pflegeberufe in Deutschland: Gutachten zur Arbeits- und Gesundheitssituation der Pflegekräfte in ambulanten Pflegediensten und Einrichtungen der stationären Altenhilfe. Hamburg: Berufsgenossen-schaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, 2000.

Zimber A, Gregersen S, Kuhnert S, Nienhaus A: Betriebliche Gesundheitsförderung durch Personal-entwicklung Teil I: Entwicklung und Evaluation eines Qualifizierungsprogramms zur Prävention psychischer Belastungen. Gesundheitswesen 2010; 72: 209–215.

Zusätzliche Literaturangaben können beim Autor angefordert werden.

    Weitere Infos

    Glaser J, Höge T. Probleme und Lösungen in der Pflege aus Sicht der Arbeits- und Gesundheitswissenschaften. BAuA 2005

    www.baua.de/de/Publikationen/Fachbeitraege/Gd18.pdf?__blob=publicationFile

    Autor

    Prof. Dr. phil. Andreas Zimber

    SRH-Hochschule Heidelberg

    Fakultät für Angewandte Psychologie

    Maria-Probst-Straße 3

    69123 Heidelberg

    andreas.zimber@fh-heidelberg.de

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