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Der schlechte Gutachter

„Aus für schlechte Gutachter“, lesen wir deshalb in der Zeitung. Gefälligkeitsgutachter und parteiische Experten sollen aus den Gerichtssälen verschwinden. Das sieht ein Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums zur Änderung des Sachverständigenrechts vor. Was aber ist ein schlechter Gutachter? Ein schlechter Gutachter ist immer derjenige, der nicht die Meinung oder den Willen der befragten Partei vertritt. Diese Perzeption ist weitgehend unabhängig davon, ob das Gutachten nun sorgfältig auf dem Boden gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse erstellt worden ist oder nicht.

Deswegen setzen die Überlegungen des Ministeriums an anderer Stelle an: „Der Sachverständige hat unverzüglich zu prüfen, ob ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Befürchtet der gerichtliche Sachverständige durch seine Ernennung einen möglichen Interessenkonflikt, hat er dies dem Gericht aus eigener Veranlassung unverzüglich mitzuteilen.“

Wann aber müsste denn der gerichtliche Sachverständige dem beauftragenden Gericht eine drohende Interessenkollision mitteilen? Der Entwurf regelt nicht explizit, was genau die Neutralität bedrohen soll. Weitgehend Einigkeit zwischen den beteiligten Gruppen besteht jedoch dahingehend, dass die wirtschaftliche Abhängigkeit hier eine dominierende Rolle spielt. Gutachter, die überwiegend für eine Organisation oder ein Unternehmen tätig sind, könnten nicht weiter als unabhängig gelten. Ihnen wird unterstellt, Gefälligkeitsgutachten i. S. ihrer Hauptauftraggeber abzuliefern, um so ihre Haupteinnahmequelle zu sichern.

Ein staatlicher Gewerbearzt präzisierte vor ein paar Jahren den unter Generalverdacht stehenden Personenkreis ausgerechnet in einem Kompendium „Ethik in der Arbeits-medizin“ folgendermaßen:

Beratende Ärzte des zuständigen oder eines an-deren Versicherungsträgers, Durchgangsärzte, hauptberuflich bei berufsgenossenschaftli-chen Instituten / Kliniken beschäf-tigte Ärzte, und Ärzte, die einen großen Teil ihres Einkommens durch berufsgenossenschaftliche Gutachten erwirtschaften.

Dabei vergaß der Autor, dass er selbst in großem Umfang BK-Gutachten für Sozialgerichte erstattete (erstaunlich bei der Arbeitsüberlastung der staatlichen Gewerbeärzte) und dabei auch die Ressourcen seines öffentlichen Arbeitgebers in Anspruch nahm. Sein Vorstoß ist als Marktregulierung einzuordnen und hat mit Ethik nichts zu tun. Qualitätsmerkmale ließ er außen vor. Die vorgenannten Gutachterkreise sind jedoch unbenommen ihrer Dienstverhältnisse überwiegend durchaus in der Lage, qualifizierte Zusammen-hangsgutachten abliefern können. Und außerdem, wo fängt wirtschaftliche Abhängigkeit an und wo hört sie auf?

Die eigentliche Qualifikation eines Sachverständigen ergibt sich in erster Linie daraus, wie tief er sich mit der strittigen Materie auseinandergesetzt hat, ob er seine Argumentationen mit gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen untermauern kann. Aber auch hier treten verzerrende Einflüsse auf, als da wären:

Welcher akademischen Schule gehört der Gutachter an? Welche Fachliteratur zieht er zur Urteilsbildung heran, welche ignoriert er? Wer hat seine Forschungsvorhaben finanziert? Welchen politisch infiltrierten Gremien und Ausschüssen gehört er an?

Welches Parteibuch hat der Gutachter? Ist er ein heimlicher Verfechter der linksliberalen Umverteilungsphantasien? Das Berufskrankheitenrecht bietet hier eine weite Spielwiese, um Versicherungs-risiken weg von der teilparitätisch finanzierten Kranken- und Renten-versicherung, hin zur allein unternehmerfinanzierten gesetzlichen Unfallversicherung zu unterstützen. Oder ist der Gutachter ein Verfechter neoliberaler Ansichten, der die Eigenverantwortung der Versicherten in den Vordergrund stellt, also aus der Sicht der Betrof-fenen restriktiv argumentiert?

Sachfremde Elemente wird man nie aus der BK-Begutachtung eliminieren können. Es ist also fraglich, ob der geplante Gesetzentwurf zu einer Verbesserung der Ergebnisqualität mit beiträgt. Der Qualitätsverlust beginnt allerdings schon früher. Die hinzugezogenen Anwälte zeichnen sich mitunter durch eine bemerkenswerte Ahnungslosigkeit im BK-Recht aus, was die Frequenz wenig Erfolg versprechender Gerichtsverfahren steigert.

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