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Whatever can go wrong will go wrong (Murphy’s Law)

150 Tote, ein Täter

Wir zahlen einen hohen Preis für unser Luxusleben. Luxus gegen Leben. Primark- und KiK-Klamotten zu Tiefstpreisen gegen einstürzende Fabrikgebäude in Bangladesch. Billigstarbeiter aus Indien und ungefähr ein Toter pro Tag auf den Stadion-Baustellen in Quatar. Discountstrom aus fossilen Brennstoffen mit exorbitanten Kohlendioxidsemissionen oder aus Kernkraftwerken mit Jahrtausende strahlenden Atommüll. Vermutlich Erderwärmung mit Landverlust und gravierenden Klimaveränderungen. Das alles sind Phänomene, die räumlich und zeitlich weiter von uns weg sind. Der Absturz des Airbus A 360 am 24.03.2015, der von Barcelona nach Düsseldorf unterwegs war, der war dicht dran, nicht nur weil viele von uns in dieser Gegend auch schon mal in der Luft waren, nicht nur wegen der 72 Toten deutscher Nationalität, sondern auch weil die Airline Germanwings heißt – Deutschflügel.

Die monströse Tat macht uns fassungslos und ratlos. Haben wir auch ein wenig Schuld? Jeder darf alles. Die Ressourcen werden ausgeplündert. Mallorca als Grundbedürfnis. Die Entfernung? Kein Problem, die Fluggesellschaften unterbieten sich gnadenlos beim Ticketpreis. Es geht um Marktanteile. Sinkende Preise erfordern Mengenausweitung oder Kostenmanagement.

Wie ist das denn überhaupt mit der Flugtauglichkeit? Der Fliegerarzt in Deutschland muss einen Flugschein haben. Bei der flieger-ärztlichen Untersuchung sitzen sich also zwei Fliegerkameraden gegenüber. Im Ranking auf der Sozialprestigeskala nehmen sich beide wenig. Jeder hat viel Geld dafür hingelegt. Den Arzt hat die Motorfluglizenz ca. 10 000 Euro gekostet, zusätzlich einen 120-stündigen Kurs zum Aeromedical Examiner und dann noch drei Jahre Berufspraxis, um endlich nach Klasse 1 den „Berufsflugzeugführer“ attestieren zu können. Der Berufspilot hingegen braucht ungefähr 30 Monate Theorie und Praxis, um die Multi Crew Pilot License zu erhalten. Für einen Ausstieg, etwa wegen einer psychischen Störung, ist es dann meist zu spät. Das würde den Verlust von drei Lehrjahren, des Berufs insgesamt und der Ausbildungskosten bedeuten. Der Fliegerarzt hat ein anderes Problem. Seine Ausbildung muss sich amortisieren. Ist er zu streng beim Medical Check up, dann spricht sich das ganz schnell rum. Die Kundschaft bliebe aus. Außerdem ist er für eine psychologische Evaluierung i. d. R. nicht entsprechend qualifiziert. Im Curriculum des Weiterbildungskurses steht nur etwas von Verkehrspsychologie und nicht etwa von Psychoanalyse. So umfasst der psychologische Eignungstest nur drei Fragen: nach psychischen Erkrankungen, nach Drogen- und Medikamentenkonsum und nach Suizidversuchen. Sollte der Fliegerarzt dennoch eine differenzierte Diagnostik betreiben, dann wird ihm die dafür aufzuwendende Zeit nicht vergütet. Eigentlich befremdlich, denn bei der medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) zur Überprüfung der Fahrtauglichkeit bei Kraftfahrzeugen ist die verkehrspsychologische Untersuchung ein fester Bestandteil. Nicht nur der eine oder andere Autofahrer hat Probleme, von der Flasche wegzukommen, auch bei den Piloten gibt es Alkoholiker oder eben Menschen mit psychischen Störungen.

Doch mit keinem psychologischen Test der Welt kann so eine Tat vorausgesehen werden. Hier muss der soziale Schalter auf Zero gestellt gewesen sein. Übermächtig war der Todeswille. Und der Co-Pilot saß an der Quelle. Ein Flugzeugabsturz in den Bergen ist die sicherste Methode für einen erfolgreichen Suizid. Für den eigenen sicheren Tod werden 149 weitere Todesopfer in Kauf genommen. Vorgeschichte und Ablauf des Geschehens im Cockpit sowie die ruhigen Atemzüge in der Aufzeichnung des Voice-Recorders sprechen gegen einen Panikmodus. Als kausale Ultima ratio bleibt ein ins Monomanische übersteigerter Narzissmus. Hier versagt jegliche Prävention.

Hijacking durch den Piloten selbst war im Sicherheitskonzept einfach nicht vorgesehen. Wäre das zu verhindern gewesen? Nein. Vieraugenprinzip im Cockpit, Appelle an die Moral und Selbstoffenbarung des Piloten, engmaschiges Psychopathologie-Monitoring, alles Aktionismus. Das einzige, das hilft, ist nicht Fliegen. Oder man schafft den Menschen als schwächstes Glied in der Mobilität ab. Die weitaus überwiegende Zahl von Unfällen ist auf menschliches Versagen zurückzuführen, auf Irrtümer, Fehleinschätzungen, Nachlässigkeit, Hybris etc.

Der Absturz des Germanwings-Flugzeugs hingegen sollte als schicksalhaftes Unfallereignis eingestuft werden, nicht als vermeidbares menschliches Versagen.

Andreas Lubitz wird in die Geschichte der Luftfahrt eingehen. So verrückt wie das klingt, die derzeitige mediale Aufmerksamkeit kann für kopfkranke Narzissten sexy sein und zur Nachahmung ermuntern.

 

Literatur zum Thema "Flugmedizin" >>

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