Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz “Aktuelle Reportage“

Dem arbeitsmedizinischen Lehrer Johannes Konietzko zum 80. Geburtstag gewidmet

Einleitung

Die Aktuelle Reportage als spezielles jour-nalistisches Arbeitsfeld erstattet vor Ort, in der Regel vom Ort des Geschehens aus, Berichte zu aktuellen Ereignissen. Aus der Reportagearbeit geht ein Produkt hervor, näm-lich die aktuelle Information, die „News“. Auch diese Arbeit unterliegt dem Arbeitsschutzgesetz und bedarf dementsprechend einer Gefährdungsbeurteilung. Für die Per-sonen gelten als abhängig Beschäftigte dieselben Rechtsvorschriften wie für andere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerähnliche. Auch hier ist es Aufgabe des Arbeitgebers, eine Gefährdungsbeurteilung zu erstellen sowie „die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Ge-sundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen, die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichen-falls an sich ändernde Gegebenheiten anzupassen“. Die Tätigkeit der Reportage und die im Rahmen dieser Tätigkeit einwirkenden Faktoren unterscheiden sich jedoch in einigen Punkten grundlegend von üblichen Produktionsarbeiten. Diese besonderen Pro-blematiken und ein Vorschlag für ein adäquates Instrument zur Gefährdungsbeurteilung werden in der Folge dargestellt.

Die Aufgabe der Aktuellen Reportage ist es, die Öffentlichkeit durch Wort, Schrift, Bild und/oder Film über aktuelle Ereignisse zu informieren. Die Arbeitsaufgabe der Infor-mationsaufnahme, -verarbeitung und -weitergabe selbst bleibt zwar prinzipiell immer die gleiche, ein Fernsehteam etwa hat die Form der Nachricht zu konzipieren, an den Ort des Geschehens zu gehen, die entsprechenden Filmaufnahmen zu erstellen, sie zu bearbeiten und schließlich zu senden. Die zu erstellenden Reportagen reichen aber von der Berichterstattung von politischen oder anderen sozialen Veranstaltungen über Sportereignisse und deren Rahmengescheh-nisse (wie z. B. Fan-Krawalle), Unfälle, Epidemien, Naturkatastrophen (Taifun auf den Philippinen) bis zu kriegerischen Auseinandersetzungen (zuletzt in der Ukraine). Letzten Endes kann jede erdenkliche Situation Inhalt einer Reportage sein. Somit sind die Arbeitsumstände, von denen Gefährdungen ausgehen können, durch eine hohe Variabilität gekennzeichnet. Die besonderen Umstände, die Auswirkungen auf den Inhalt und die Erstellung der Gefährdungsbeurteilung haben, lassen sich unterteilen in:

  • Wiederkehrende Gefährdungen:
    • Gefährdung durch die regelhafte Ausrüstung und Ausstattung
  • Der jeweils aktuellen Aufnahmesituation geschuldete Gefährdungen:
    • Gefährdung durch die Arbeitsumgebung,
    • Gefährdung durch die Besonderheit des Berufsstandes des Journalismus,
    • Gefährdung durch die Variabilität der Arbeitsumgebung und die Aktualität.

Gefährdung durch die Ausrüstung und Ausstattung

Zu den typischen wiederkehrenden Gefährdungen, die sich durch eine einmalige Gefährdungsbeurteilung beurteilen lassen und nicht vor jedem Drehtermin erneut berücksichtigt werden müssen, gehören:

  • Lastenhandhabung bei der Schulter-kamera,
  • EMF z. B. bei bestimmten Übertragungseinheiten (LiveU, ein auf dem Handynetz basierendes Übertragungssystem),
  • Gefährdungen bei der Fahrt zum und vom Drehort,
  • Zwangshaltungen bei längeren Autofahrten,
  • eingeschränkte ergonomische Gegeben-heiten bei redaktioneller Arbeit oder Schnitt am Notebook (z. B. auch während der Fahrt),
  • Verletzungsgefahren z. B. durch Antennen an der Kamera, durch Scheinwerfer, durch Stative,
  • Ausstattung des Teamfahrzeugs.

Es wird geschätzt, dass bei etwa 90 % der Reportageaufträge aufgrund fehlender spezifischer Gefährdungen der Pflicht zur Ge-fährdungsbeurteilung damit Genüge getan ist.

Die folgenden Gefährdungen entstehen durch die spezifischen Aufnahmesituationen, sind also aufgrund ihrer jeweiligen Aktualität auch nur durch eine aktuelle Gefähr-dungsbeurteilung abzubilden.

Gefährdung durch die Arbeits-umgebung selbst

Der Zuschauer bzw. die Öffentlichkeit erwarten von den Reportern Informationen von Ereignissen, für die ihnen – aus den verschiedensten Gründen – ein eigener Zugang fehlt. Diese Nachfrage muss nicht, kann aber eine erhöhte Gefährdung bedingen. Ereignisse wie etwa Pressekonferenzen gehen in der Regel mit keinem wesentlichen Gefähr-dungspotenzial einher. Für andere Gescheh-nisse wie Naturkatastrophen, Epidemien, Un-ruhen oder Kriege hingegen werden wegen des erhöhten Risikos Reisewarnungen z. B. vom Auswärtigen Amt herausgegeben. Die Reportageteams aber begeben sich zur In-formationsgewinnung genau an solche Orte. Die Arbeitsumgebung und die einwirkenden Gefährdungen ähneln dann denjenigen der Bundeswehr, des technischen Hilfswerks, der Feuerwehr oder der Polizei.

Gefährdung durch das Ansehen des Berufsstandes des Journalismus selbst

Das Produkt selbst und damit auch der Produzent können aus politischen, parteilichen oder aus Gründen der Not unerwünscht sein; den Reportageteams wird dann mit Aggressivität begegnet. Dies kann beispielsweise geschehen, wenn Fußballfans sich in den Medien nachteilig dargestellt fühlen, viel mehr noch in politischen Krisen wie etwa zuletzt auf der Krim, wo westliche Reporter von prorussischen Parteien verprügelt und ihnen die Kameras abgenommen wurden. Die Schläger vermuteten, dass die Berichterstattung nicht ihren Wünschen entsprechend sein würde. Zudem können Gewalt-täter im Allgemeinen davon ausgehen, dass Attacken auf journalistische Teams hohe Aufmerksamkeit in den Medien erzeugen. Anja Niedringhaus’ wohl religiös motivierte Ermordung in Afghanistan ist ein aktuelles Beispiel für diese Gefährdung (s. „Weitere Infos“).

Gefährdung durch die Variabilität der Arbeitsumgebung

Eine charakteristische Anforderung an viele industrielle Produkte und damit auch an deren Produktion ist es, sich wie ein Ei dem anderen zu gleichen. Autozylinder und -zylin-derköpfe etwa dürfen kaum Toleranzbreiten haben, damit eine einwandfreie Funktion gewährleistet ist. Die zugehörigen Gefährdungen und deren Beurteilung beziehen sich daher geradezu charakteristischerweise auf eine immer wiederkehrende Produktionssituation. Die daraus folgende Dokumentation und Unterweisung „lohnen“ sich daher auch in dem Sinne, dass sie nicht nur für den Augenblick, sondern für viele in Zukunft wiederkehrende, gleichartige Situationen gültig sind.

Im Gegensatz zu den Personen in der industriellen Produktion befindet sich ein Re-portageteam sehr häufig in einer scheinbar komplett neuartigen Situation. Seine Aufgabe ist es ja gerade, über Neuigkeiten, bisher nicht Bekanntes, also „News“ berichten. So neu und unbekannt wie die Situation er-scheint aber in der Regel auch die Gefährdungslage. Deshalb sind ständig neue Gefährdungsbeurteilungen nötig. Das Team befindet sich also immer wieder in Situationen wie ein Berufsanfänger; bekanntermaßen ist jedoch die Unfallgefahr gerade bei Berufsanfängern besonders hoch. Die Gefährdungs-potenziale im Rahmen einer Dokumentation etwa aus einer chemischen Fabrik, von einem Hochseeschiff oder von einem Lawinenunglück mögen für die Chemiearbeiter, die Seeleute oder die Bergretter üblicher All-tag sein, nicht aber für das drehende Team. Seit fast 100 Jahren gibt es systematische Erkenntnisse darüber, dass genau die Unerfahrenen, die Berufsanfänger besonders gefährdet sind, einen durch die besondere Gefährdung bei der Arbeit einen Unfall, also einen Arbeitsunfall zu erleiden. Diese Gefährdung nimmt steil ab, je vertrauter die Arbeitsumgebung wird. Wurde während des ersten Monats einer neuartigen Tätigkeit ein etwa vier bis zwölffaches Risiko für einen Arbeitsunfall gemessen (Aldrich 1997; Breslin 2006), so liegt dieses für die ersten sechs Monate im Vergleich zu erfahrenen Arbeitern nur noch beim etwa 1,5fachen (Chau 2010, 2014; Bena 2013). Reporter befinden sich aber bezüglich der Erfahrung mit der konkreten Umgebung (und damit vermeint-lich auch bezüglich der Gefährdung, s. auch Diskussion) immer wieder sozusagen am ersten Tag.

Gefährdung durch die Aktualität

Als letzter Punkt kommt hinzu, dass die Produktion von Informationen sehr zeitgebunden ist, denn der Beitrag muss möglichst schnell hergestellt und verbreitet werden. Dies gilt in der heutigen Zeit, in der zeitliche und räumliche Schranken fast aufgehoben erscheinen, umso mehr. Die Erstel-lung einer Gefährdungsbeurteilung erscheint in diesem Kontext als eine die Produktion retardierende Aufgabe, die ein charakteristisches Qualitätsmerkmal des Produkts, nämlich seine Aktualität, ernsthaft beeinträchtigt.

Die Reportage stellt also einen hoch variablen Arbeitsplatz dar, der zudem ein nicht zu vernachlässigendes, unter Umstän-den hohes Gefahrenpotenzial beinhaltet. Auch die Berufsgenossenschaft hat daraus die Konsequenz gezogen, sich nicht mit einer einmaligen Gefährdungsbeurteilung für Reportagen zufrieden zu geben, sondern für jeden Einsatz eine erneute Gefährdungsbeurteilung zu fordern. Der offensichtlichen besonderen Notwendigkeit einer jeweils aktuellen Gefährdungsbeurteilung einer vor-gesehenen Reportage stehen in der Regel die folgenden Ressentiments von Seiten der im Betrieb verantwortlichen Personen entgegen:

  • Die Gefährdungsbeurteilung erfordere einen (zu) hohen Aufwand, da jeder neue Dreh immer wieder eine einmalige Tätig-keit darstellt, die neu beurteilt werden muss.
  • Aus ebendiesem Grund der Einmaligkeit wird gefolgert, dass kein nachhaltiger Nutzen der Gefährdungsbeurteilung be-steht.
  • Eine allgemeine, einmalige Gefährdungs-beurteilung entspricht nicht den Bedürfnissen in der jeweils neuen komplexen Situation. Hier stimmen die Verantwortlichen mit der Sicht der Berufsgenossen-schaften überein.
  • Nur die Handelnden selbst können die tatsächlichen Gefährdungen realistisch einschätzen.
  • Da die Aufträge in der aktuellen Bericht-erstattung oft ad hoc kommen, sei keine Zeit für eine explizite Gefährdungsbeurteilung, man müsse sich eben auf die eigene Erfahrung verlassen.

Für die Akzeptanz der Gefährdungsbeurteilung vor Reportageeinsätzen müssen also folgende Ziele erreicht werden

  • Sie muss als relevant akzeptiert werden.
  • Die Handelnden müssen eingebunden sein
  • Die Nachhaltigkeit muss einsichtig sein
  • Sie muss schnell und ohne großen Aufwand erstellbar sein.

Methode

Gemeinsam mit den Mitarbeitern insbesondere der Landesstudios, die tagtäglich mit aktuellen Reportagen befasst sind, wurden Reportagesituationen, wie sie immer wieder vorkommen, sowie auch deren Auswirkungen hinsichtlich einer Gefährdungsbeurteilung analysiert und bewertet. Beispiele hierfür sind:

  • Reportagen über Unwetter: Informationen zur Gefahrenlage sind von den entsprechenden Behörden einzuholen. Der Zustand der Infrastruktur (sind Straßen passierbar?) ist zu überprüfen. Angepasste Kleidung ist zu besorgen.
  • Überschwemmungen: Die Frage der Rück-zugsmöglichkeiten ist zu klären. Sicherungsmaterialen wie Seilgeschirr sind zu besorgen. Die Risiken von Wathosen sind zu erläutern.
  • Reportagen an Unfallstellen: Hier geht es um die Eigensicherung bei Autounfällen, bei Lawinen- oder Murenabgängen.
  • Berichterstattung zu Epidemien (z. B. Ebo-la): Hier sind außer arbeitsschutzrechtlichen evtl. auch seuchenhygienische Aspekte zu berücksichtigen.
  • Politische/Sportberichterstattung: Arbeit im Gedränge.
  • Berichterstattung bei Gewalttaten: Welche persönliche Schutzausrüstung wird benötigt?
  • Dreharbeiten auf Schiffen: Außer entsprechender Ausrüstung ist hier häufig darauf zu achten, dass geforderte Gesundheitsbescheinigungen auch vorliegen.
  • Berichterstattung in Betrieben: Die Maßnahmen werden in der Regel von den Betrieben vorgegeben. Persönliche Schutz-ausrüstung muss aber gegebenenfalls vorher besorgt sein.
  • Immer wieder – insbesondere auch bei der Arbeit in krisenhaften Situationen – war die im Team vorhandene/für das Team benötigte Erfahrung ein wichtiges Thema.

Aus dieser Sammlung wurden typische Ar-beitssituationen, Einzelgefährdungen sowie mögliche Schutzmaßnahmen (Informations-gewinnung, vorsorgliche Betreuung, persönliche Schutzmaßnahmen usw.) herausgefiltert, also beispielhafte Gefährdungs-beurteilungen erstellt. Es wurde allerdings schnell klar, dass es nicht sinnvoll ist, für jede potenzielle Drehsituation im Vorhinein eine Gefährdungsbeurteilung zu erarbeiten, denn zu unterschiedlich sind die konkreten Situationen, die in ihrem Rahmen entstehenden Gefährdungen und die im Einzelfall geeigneten Schutzmaßnahmen.

Daher wurde mit einem entsprechenden PC-basierten Programm den Mitarbeitern die Möglichkeit eröffnet, aktuell auf die konkrete Einsatzsituation eine zutreffende Gefährdungsbeurteilung ad hoc zu erstellen.

Ergebnisse

Es wurde auf eine auf Microsoft Excel basierende Arbeitsvorlage geschrieben, die als Resultat eine Gefährdungsbeurteilung des bevorstehenden Reportage-Einsatzes liefert. Die einzelnen Programmschritte sind folgende:

  • Erstellung von Listen: In Excel-Tabellen werden die Listen 1–3 angelegt.
    • Liste 1 – Arbeits-/Gefährdungssituationen: Im ersten Schritt (Liste 1) wird eine Reihe typischer Szenarien von Berichterstattungen definiert (Beispiele sind Berichterstattungen von Katastrophen, von politischen Ereignissen, aus Kriegs- und Krisengebieten, von Sportereignissen, von Unfällen usw.).
    • Liste 2 – Gefährdungen: In Liste 2 sind dann Gefährdungspotenziale selbst aufgelistet (hierzu gehören z. B. Gefährdungen durch Klima und Natur wie beispielsweise Wind, Regen, Schnee, Überschwemmung, Dunkel-heit usw., durch physikalische, chemi-sche oder biologische Einflüsse wie Strahlung, Gase, Infektionserreger, durch soziale Einflüsse wie Feind-seligkeit, Gewalt, Gedränge u. a. und durch Einflüsse aus dem psychomentalen Bereich wie zeitlich oder inhaltlich (z. B. Berichte über Unfälle, Massaker u. Ä.) hohe Arbeits-anforderungen).
    • Liste 3 – Maßnahmen: In Liste 3 sind Maßnahmen zusammengestellt, die prinzipiell geeignet sind, die für die Situationen beschriebenen Gefährdungen zu reduzieren.
    • Liste 4 – Markierung: Eine 4. Liste gibt den für die Reportage Verantwortlichen die Möglichkeit, die anstehenden Arbeits-/Gefährdungssituationen, evtl. auch zusätzliche spezielle Gefährdungen und sogar zusätzliche als nötig erachtete Maßnahmen zu markieren ( Abb. 1).
  • Verknüpfungen:
    • Im nächsten Schritt werden die einzelnen Szenarien der Liste 1 mit den Gefährdungspotenzialen aus Liste 2 und die Liste 1 wie die Liste 2 mit den Maßnahmen aus Liste 3 verknüpft, die konkret geeignet sind, die beschriebenen Gefährdungen zu reduzieren. Es wurde bewusst nicht der Weg gewählt, die Liste 1 über die Gefährdungsliste 2 mit Liste 3 zu verknüpfen. Grund hierfür ist, dass die Gefährdungen in Liste 2 notwendigerweise oft ein größeres Bedeutungsfeld umspannen, als sie sich dann in den einzelnen Szenarien der Liste 1 konkretisieren.
    • Die Liste 4 ist mit den Listen 1–3 ver-knüpft.
  • Anzeige der Gefährdungsbeurteilung: Durch das Markieren in Liste 4 wird auf einem letzten Tabellenblatt eine abschließenden Gefährdungsbeurteilung dargestellt ( Abb. 2).

Alle Listen und deren Verknüpfungen sind durch die Anwender weiter zu entwickeln. Sie werden dazu animiert, dies im Rahmen ihrer bisherigen und zukünftigen Erfahrungen zu tun. Dabei werden sie von Sicherheitsfachkraft und Betriebsarzt unterstützt.

Diskussion

Anforderungen an die Erstellung von Gefährdungsbeurteilungen am Arbeitsplatz Aktuelle Reportage

Nur wenige Arbeitsplätze bedürfen so permanent einer immer wieder neuen Gefährdungsbeurteilung wie der Arbeitsplatz der Aktuellen Reportage. Hiermit sind allenfalls – wenn auch nicht in der Frequenz – Arbeitsplätze in der Forschung und Entwicklung (Neurieder 2014) zu vergleichen. Die Erstellung von Gefährdungsbeurteilungen, die dann auch nachhaltig zum Schutz der Arbeitnehmer beitragen, muss daher einsichtig, an die sich ändernden Bedürfnisse anpassbar, schnell durchzuführen und damit effizient sein. Die Arbeitnehmer in der Aktuellen Reportage sind sich sehr wohl be-wusst, dass ihre Arbeit aufgrund der ständig wechselnden Arbeitsbedingungen Gefährdungen mit sich bringt.

Einsehbarkeit: Mit der Auflistung von einzel-nen Arbeitssituationen und Gefährdungen kann dahingehend Klarheit geschaffen werden, dass zwar die Gesamtsituation möglicherweise neu ist, viele einzelne Facetten an Gefährdungen den Teams aber durchaus bekannt und aufgrund ihrer Erfahrung hand-habbar sind. Diese Klassifizierung soll bewirken, dass

  1. 1.die erfahrenen Mitarbeiter die einzelnen Gefahrensituationen wiedererkennen,
  2. 2.diese auch formuliert werden und
  3. 3.weniger erfahrene Mitarbeiter an diesem Wissen partizipieren.

Wichtig in diesem Kontext sind die Erkennt-nisse aus der Studie von Bena (2013). Es wurde gezeigt, dass nicht nur die Dauer der Zugehörigkeit zum Betrieb, sondern auch die außerhalb des konkreten Betriebs erwor-bene Erfahrung negativ mit dem Risikos, einen Arbeitsunfall zu erleiden, korrelierte. So ist auch anzunehmen, dass Reportage-Teams mit Erfahrung einem geringeren Risiko ausgesetzt sind als Berufsanfänger. Umso wichtiger ist es, dass den Mitarbeitern (auch durch explizite Formulierung) klar wird, dass ihnen die Gefahren und der Umgang damit nicht unbekannt sind.

Anpassbarkeit: Die Mitarbeiter können und werden die Gefährdungsbeurteilung ständig erweitern und an die aktuellen Bedürfnisse anpassen. Das Prinzip der Erweiterung ist einfach, die Mitarbeiter und insbesondere die für die Reportagen Verantwortlichen haben eine Arbeitssituation zu definieren und diese mit den entsprechenden Gefährdungen und Maßnahmen zu verknüpfen. Die Liste der Gefährdungen und Maßnahmen ist bei Bedarf erweiterbar. Die notwendige und geforderte Eigeninitiative, die auf der Erfahrung der Beteiligten basiert, fördert die Akzeptanz der Gefährdungsbeurteilung. Die Erweiterung der Listen muss nicht aktuell, sondern soll idealerweise in ruhigen Phasen erfolgen, vor allem auch als Reaktion auf neu aufgetretene Arbeitssituationen.

Zeitaufwand: Erweiterungen des Programms erfordern zwar etwas Ruhe und Zeit. Eine aktuelle Gefährdungsbeurteilung allerdings ist mit wenigen Markierungen innerhalb von Minuten zu erstellen.

Damit sind die Voraussetzungen für eine effektive Nutzung des Programms gegeben. Ein solches oder ein vergleichbares Programm existiert unseres Wissens bisher nicht.

Konsequenzen von Gefährdungs-beurteilungen in der Aktuellen Reportage

Die Analyse von Gefährdungen kann unabhängig von der Intention der Arbeitsaufgabe erfolgen, sie bedarf nur der objektiven Betrachtung der Faktoren, die die Arbeitsumgebung und den Arbeitsablauf beeinflussen (ArbSchG). Geht es dann aber um die Beurteilung, die ja auch die Auswahl der zu ergreifenden Schutzmaßnahmen und deren Wirksamkeit beinhaltet, so steht implizit auch die Frage der Abwägung des Wertes des Produkts gegen das Risiko an, das aus der Produktion desselben erwächst. Dieses Prinzip hat für jede Gefährdungsbeurteilung seine Gültigkeit. Selten aber wird dieser enge Zusammenhang zwischen dem Wert des Produkts und dem Ausmaß der Gefährdung der Arbeitnehmer so offen-bar wie bei der Aktuellen Reportage. Die Regel in anderen produzierenden Betrieben ist vielmehr, dass die Notwendigkeit der Herstellung des Produkts als gegeben vorausgesetzt wird. Auf der Basis der Gefährdungsbeurteilung werden dann Maßnahmen zur Minimierung der Gefährdung entwickelt. Nur selten wird die Herstellung des Produkts selbst aufgrund des zu hohen Risikos in Frage gestellt. Ein Beispiel dafür ist die Einstellung der Produktion des Herbi-zids 2,4,5-Trichlorphenoxyessigsäure wegen der hohen Belastung von Arbeitern und Um-welt mit polychlorierten Dibenzodioxinen und -furanen.

Am Reportage-Arbeitsplatz ist der Wert des Produkts ein immaterieller, nämlich der Informations- und/oder der Unterhaltungswert. Ohne genauer auf die Messung dieses Wertes einzugehen – dies würde den gegebenen Rahmen sprengen –, sei darauf hingewiesen, dass für manchen Wert eines solchen Produkts recht einfach ein Korrelat gefunden werden kann. Der Wert der Übertragung von Sportereignissen etwa kann durch ihren Einkaufspreis auf dem Sportrechtemarkt beziffert werden, auch wenn dieser sich mehr auf den Unterhaltungs- als auf den Informationswert bezieht. Der Wert einer Information selbst ergibt sich aus der gesellschaftlichen Wichtigkeit. Die Information aus einem Kriegs- oder Krisengebiet kann die gesellschaftliche Reaktion nachhaltig beeinflussen. Sie kann dazu bei-tragen, wie hoch die Spendenbereitschaft etwa für Erdbeben- oder Flutopfer ist. Sie beeinflusst maßgeblich die Akzeptanz der zu informierenden Bevölkerung etwa für militärische Einsätze oder zivile Hilfsaktio-nen. Dieser Einfluss ist einer der wesentlichen Begründungen für die Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und fordert von ihm eine möglichst objektive und damit auch immer wieder den Mitarbeiter, u. U. hoch gefährdende Berichterstattung, da er objektive Informationen oft nur vor Ort (z. B. in Syrien) erhalten kann. Für eine Reportage mit vorwiegendem Unterhaltungswert können, wenn sie nun ausgerech-net ein Kriegs- oder Krisengebiet als Schau-platz hat (fiktives Beispiel: Es soll ein Bericht über das Leben des kleinsten Mannes der Welt erstellt werden, der nun ausgerech-net in Syrien lebt), dieselben Gefährdungen analysiert werden wie für den Bericht über die kriegerischen Auseinandersetzungen. Aufgrund der Beurteilung der Gefährdungen gegenüber der Bedeutung der Sendung für die Allgemeinheit muss man aber wahrscheinlich zu dem Schluss kommen, dass die zweite Reportage nicht durchgeführt wird. Diese Abwägung zwischen der Wichtigkeit des Produkts einerseits und den beim Herstellungsprozess auftretenden Gefährdungen andererseits stellt eine verantwortungsvolle Aufgabe für den Arbeitgeber dar.

Schlussfolgerung

Mit dem neu entwickelten Instrument einer teilautomatisierten Gefährdungsbeurteilung soll es den Mitarbeitern ermöglicht wer-den, sich optimal und gleichzeitig schnell auf potenzielle Gefährdungen auch in bisher unbekanntem Terrain vorzubereiten und geeignete Maßnahmen der Prävention zu ergreifen. Die Mitarbeiter sind in einem besonders hohen Maß eingebunden und aus-drücklich aufgefordert, das Instrument der Gefährdungsbeurteilung mit weiter zu ent-wickeln. Dadurch erhoffen sich die Autoren eine hohe Akzeptanz, die letztlich der Prävention von Arbeitsunfällen zugute kom-men soll.

Literatur

Aldrich M: Safety First: Technology, Labor, and Business in the Building of American Work Safety 1870–1939. Baltimore: The Johns Hopkins Univer-sity Press, 1997 (zitiert nach: Breslin u. Smith 2006).

Bena A, Giraudo M, Leombruni R, Costa G: Job tenure and work injuries: a multivariate analysis of the relation with previous experience and differences by age. BMC Public Health 2013; 13: 869.

Breslin FC, Smith P: Trial by fire: a multivariate examination of the relation between job tenure and work injuries. Occup Environ Med 2006; 63: 27–32.

Chau N, Dehaene D, Benamghar L et al.: Roles of age, length of service and job in work-related injury: a prospective study of 63,620 person-years in female workers. Am J Ind Med 2014; 57: 172–183.

Chau N, Wild P, Dehaene D et al.: Roles of age, length of service and job in work-related injury: a prospective study of 446 120 person-years in railway workers. Occup Environ Med 2010; 67: 147–153.

Neurieder P: Unbewältigte Kulturunterschiede ver-hindern Sicherheitskultur. ErgoMed 2014; 38: 12–21.

    Weitere Infos

    Wikipedia: Anja Niedringhaus (05.01.2015)

    de.wikipedia.org/wiki/Anja_Niedringhaus

    Für die Autoren

    Priv.-Doz. Dr. med. D. Jung

    Betriebsarzt ZDF

    Zdf-Straße 1 – 55100 Mainz

    jung.d@zdf.de

    Jetzt weiterlesen und profitieren.

    + ASU E-Paper-Ausgabe – jeden Monat neu
    + Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
    + Exklusive Webinare zum Vorzugspreis

    Premium Mitgliedschaft

    2 Monate kostenlos testen