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Die Vorbereitung auf die Rückkehr an den Arbeitsplatz in einer achtwöchigen Kurzzeittherapie für Suchtpatienten

Und morgen wieder arbeiten!

Suchtrehabilitation in der AHG Klinik Tönisstein

In der AHG Klinik Tönisstein werden Alkohol- und Medikamentenabhängige Patienten auf 128 Behandlungsplätzen in einer achtwöchigen Kurzzeittherapie nach einem eigenen über 40 Jahre bewährten Konzept behandelt. Kostenträger der Behandlungen sind üblicherweise die Rentenversicherungs-träger, falls dort kein Leistungsrecht besteht, aber auch alle Krankenkassen, die Beihilfe oder Selbstzahler. Die Vermittlung in die stationäre Behandlung erfolgt über Suchtberatungsstellen, Kliniksozialdienste, Betriebsärzte oder betriebliche Beratungsstellen. Wegen der Besonderheit des Konzepts wird die AHG Klinik Tönisstein bundesweit von allen Kosten- und Leistungsträgern be-legt.

Die Indikationsstellung für eine Kurzzeittherapie setzt eine vorhandene berufliche und/oder soziale Integration voraus. Patienten mit einer Abhängigkeit von Cannabis, Kokain oder Amphetaminen können ebenfalls aufgenommen werden, wenn die Merkmale der beruflichen und sozialen Integration vorhanden sind. Für die Mehrheit der Patienten mit vorhandenem Arbeitsplatz oder fester Beziehung ist eine stationäre Behandlung indiziert, da aufgrund der Schwere des Kontrollverlusts und der permanenten Konfrontation mit auslösenden Bedingungen der Abhängigkeit eine ambulante Therapie eine Überforderung darstellen würde (Konsumsituationen genauso wie die erheblichen Beeinträchtigungen der Kontakte in Familie und Beruf durch die Ab-hängigkeit).

Das verhaltenstherapeutische Konzept und die therapeutischen Angebote sind ganz auf den Erhalt der noch vorhandenen beruflichen und sozialen Strukturen ausgerich-tet. In der ersten Behandlungswoche werden neu aufgenommene Patienten durch ein psychoedukatives und motivationales Programm zu einer Selbstdiagnose ihrer Abhängigkeitserkrankung angeleitet sowie grundlegende Krankheitseinsicht und Abstinenzmotivation erarbeitet.

In der weiteren Behandlung sind die Patienten einer Bezugstherapeutin zugeordnet (Psychologin mit verhaltenstherapeutischer Zusatzausbildung), die eine therapeutische Bezugsgruppe von zehn bis zwölf Patienten in Absprache mit einem Assistenzarzt führt. Diese Behandlung beinhaltet Diagnostik, Rehabilitationsplanung, Durchführung medizinisch-therapeutischer Maßnahmen und das Verfassen von Berichten. Die therapeutischen Maßnahmen umfassen tägliche Grup-pentherapien zur Suchtmittelabhängigkeit, Einzelgespräche, Angehörigenseminare und die Bildung indikativer Gruppen zu weiteren Problembereichen.

Im ärztlichen Bereich werden neben einer ausführlichen Aufnahme- und Abschluss-untersuchung wöchentlich Visiten durchgeführt, um die medizinischen Maßnahmen je nach Indikation zu koordinieren. Ergänzt werden diese Maßnahmen durch eine Sozialberatung (Beratung zu sozialrechtlichen und beruflichen Fragestellungen, Vermittlung in weiterführende Behandlungsangebote) und sporttherapeutische Maßnahmen (nach Leistungsfähigkeit, mindestens viermal pro Woche).

Hinsichtlich des Arbeitsplatzes liegt der Fokus wegen der vorhandenen beruflichen Integration der Patienten insbesondere auf der psychotherapeutischen Bearbeitung der funktionalen Zusammenhänge von Arbeits-verhalten und Suchtmittelabhängigkeit (dys-funktionale Stressbewältigung, Konflikte am Arbeitsplatz durch ungünstiges Kommunikationsverhalten usw.), nicht aber auf dem Training der Grundfertigkeiten der Arbeit oder der Belastbarkeit durch „klassische“ Ar-beitstherapie. Eine Besonderheit der Klinik ist die Homogenität der Patienten hinsichtlich ihrer beruflichen und sozialen Integration. Dies fördert zum einen die Kohäsion in den therapeutischen Gruppen, zum anderen ist in dem dichten psychotherapeutischen Programm eine gezielte Fokussierung auf den Erhalt eben dieser Ressourcen gut möglich.

Der Therapieplan der AHG Klinik Tönisstein ist in  Tabelle 1 dargestellt.

Zusammenhänge zwischen Berufstätigkeit und Abstinenz von Suchtmitteln

Im Bereich der Behandlung von Substanz-abhängigkeit ist belegt, dass es einen posi-tiven Zusammenhang zwischen einer dauer-hafter Suchtmittelabstinenz, einer stabilen Arbeits-/Erwerbssituation und der allgemei-nen Lebenszufriedenheit im psychischen und sozialen Bereich gibt. So belegen die jährlich veröffentlichten Einjahreskatamnesen der Mitgliedseinrichtungen des Fachverbandes Sucht (Missel et al. 2014) Erwerbstätigkeit als eindeutig günstigen Prognosefaktor für Abstinenz: Patienten, die bei Behandlungsbeginn erwerbstätig waren, berichten ein Jahr nach Ende der Behandlung signifikant häufiger über ihre Abstinenz (48,7 %) als zu Behandlungsbeginn erwerbslose Patienten (31,5 %), und dies bei einer katamnestischen Erfolgsquote von insgesamt 39,8 % (Berech-nungsform DGSS4, bezogen auf alle behandelten Patienten; nicht erreichte Patienten werden als rückfällig eingestuft, siehe  Tabelle 2).

Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit zu vermeiden oder zu vermindern, stellt einen wichtigen gesetzlichen Auftrag der medizinischen Rehabilitation dar (SGBIX). Die Deutsche Rentenversicherung (2012) hat durch das Anforderungsprofil zur medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation (MBOR) den Fokus der medizinischen Rehabilitation auf einen durchgängigen und konkreten Arbeitsplatzbezug der rehabilitativen Maßnahmen deutlich betont. Ziel ist die konkrete Vorbereitung der Rehabilitanden auf die Rückkehr in das Erwerbs-leben mit Hilfe von therapeutischen und medizinischen Maßnahmen mit einer direkten Ausrichtung auf das Verhalten und Erleben im Beruf.

In einer Untersuchung der AHG Klinik Tönisstein (Kreh u. Levas 2014) wurden Pa-tienten mittels der Fragebögen „Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster (AVEM)“ (Schaarschmidt u. Fischer 1996) und dem „Screening-Instrument MBO-Be-darf für Chronische Krankheiten (SIMBO-C)“ (Streibelt 2009) befragt. Es konnte gezeigt werden, dass Suchtpatienten generell weni-ger „offensive Problembewältigung“ zeigen, und dass Patienten mit „besonderen beruflichen Problemlagen“ (identifiziert über den SIMBO-C) zu einer höheren „Verausga-bungsbereitschaft“ im Arbeitsleben neigen, diesbezüglich aber auch eine höhere „Resignationstendenz“ und geringere „Distan-zierungsfähigkeit“ aufweisen. Daher ist es therapeutisch indiziert, Resignationstendenzen im beruflichen Bereich entgegenzuwirken und eine offensive Problembewältigung zu fördern. Außerdem ist es angezeigt, die Verausgabungsbereitschaft im Beruf zu reduzieren sowie die Distanzierungsfähigkeit zu erhöhen.

Berufsbezogene therapeutische Maßnahmen

Während des stationären Aufenthalts werden den vorwiegend noch im Erwerbsleben integrierten Patienten folgende berufsbezogene indikative Gruppen angeboten, wobei die Auswahl mit der Bezugstherapeutin im Rahmen der Therapieplanung erfolgt:

  • Bewerbungstraining,
  • EDV-Basisfertigkeiten,
  • kognitives Training (Gedächtnis und Konzentration),
  • Stressbewältigung,
  • Informationsgruppe zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis,
  • Entspannungsverfahren (wahlweise Au-togenes Training oder Progressive Muskelrelaxation).

Alle berufstätigen Patienten nehmen darüber hinaus an der Indikativen Gruppe „Rück-kehr an den Arbeitsplatz“ teil, die zum Ziel hat, eigene Einflussmöglichkeiten auf die berufliche Situation zu erkennen. In drei Mo-dulen werden verschiedene Themen be-arbeitet (s. Infobox).

Die Besonderheit von dieser indikativen Gruppe im Unterschied zu vielen anderen medizinisch-beruflich orientieren therapeutischen Maßnahmen in der Suchtrehabilitation liegt darin, dass nicht Bemühungen um einen neuen Arbeitsplatz im Vordergrund stehen, sondern dass therapeutische Maßnahmen ganz auf den Erhalt des bestehenden Arbeitsplatzes abzielen.

Frühere Datenerhebungen konnten zei-gen, dass sich durch die Teilnahme an dieser Indikativen Gruppe „Rückkehr an den Arbeitsplatz“ die im AVEM erhobenen Merkmale „Subjektive Bedeutsamkeit der Arbeit“ und „Resignationstendenz“ signifikant verringern, während „Distanzierungsfähigkeit“ und das „Erleben sozialer Unterstützung“ statistisch bedeutsam ansteigen (Gänsicke et al. 2005).

Aufbauend auf diesem Gruppenprogramm wird in Einzelkontakten durch die Bezugstherapeutinnen oder die therapiebegleitende Sozialarbeit darauf hingearbeitet, Kontakt zum Arbeitgeber aufzunehmen und die Modalitäten der Rückkehr konkret abzusprechen. In Einzelgesprächen kann ein Coaching zu spezifischen Problemen am Arbeitsplatz erfolgen. Ferner wird die Kon-taktaufnahme zu betrieblichen Beratungsstellen organisiert, werden Arbeitgebergespräche vorbereitet (auch im Rollenspieltraining) oder – nach Bedarf – gemeinsam durchgeführt. Der Muster-Wochenplan zeigt die Dichte der therapeutischen Maßnahmen (s. Tabelle 1).

Die klinische Erfahrung zeigt, dass ge-rade dieser Bereich für die betroffenen Patienten häufig eine sehr große Hürde darstellt: Das Verhältnis zu Vorgesetzten und Kollegen ist belastet durch Leistungseinbußen und Auffälligkeiten am Arbeitsplatz bis hin zu Abmahnungen und Androhung der Kündigung; die betroffenen Patienten sind bezüglich ihrer eigenen Leistungsfähigkeit und der Position im Betrieb stark verunsichert; Ärger und Kränkung mischen sich oft mit erheblichen Scham- und Schuldgefühlen. Aus den genannten Komponenten resultiert der natürliche Impuls der Vermeidung. Hier zeigt sich das praktische Übungsfeld zur Überwindung von „Resignationstendenzen“ und Förderung der „offensiven Problembe-wältigung“: Von therapeutischer und sozial-arbeiterischer Seite bedarf es eines verständ-nisvollen, aber dennoch beharrlich motivie-renden Vorgehens unter Einbeziehung verhaltenstherapeutischer Maßnahmen und Kenntnis der gesetzlichen Bestimmungen zu Rückkehrmodalitäten, um die Rehabilitan-den bei der Kontaktaufnahme mit dem Arbeitgeber zu unterstützen.

Die klinische Erfahrung zeigt aber auch – nach allem anfänglichem Widerstreben – immer wieder eine große Erleichterung der betroffenen Patienten nach erfolgtem Arbeitgebergespräch und der Besprechung von der Rückkehrmodalitäten: Häufig erfahren die abhängigen Patienten Wertschätzung für ihre bisherigen Arbeitsleistungen sowie für ihre Bemühungen um Abstinenz. Sie können Sorgen und Befürchtungen vor einer Rückkehr an den Arbeitsplatz deutlich reduzieren. In den ungünstigen Fällen, bei denen eine Kooperation mit dem Arbeitgeber nicht hergestellt werden kann, ergibt sich für die Betroffenen zumindest die Klar-heit, sich beruflich neu und besser zu orientieren, wodurch geeigneten Maßnahmen zur therapeutischen Unterstützung eingeleitet werden können.

Ergebnisse

In der Einjahreskatamnese der AHG Klinik Tönisstein zeigt sich bei 834 behandelten Patienten eines Jahrgangs in der Einjahreskatamnese eine Abstinenzquote von 49,6 % (Berechnungsform DGSS 4, Abstinenzquote bezogen auf alle behandelten Patienten mit Einverständniserklärung im Katamnesezeit-raum), davon 7,8 % „abstinent nach Rückfall“, d. h. bei der Befragung seit mindestens drei Monaten wieder abstinent. Auch hier sind Patienten mit einer festen Arbeitsstelle signifikant häufiger abstinent (+5,6 %). Da-bei berichten abstinente Patienten von einer signifikanten Verbesserung der Lebenszu-friedenheit, nicht zuletzt im beruflichen Be-reich (39,7 % „verbessert“, 52,3 % „unverändert“, 7,9 % „verschlechtert“) im Vergleich zu rückfälligen Patienten (26,1 % „verbessert“, 56,7 % „unverändert“, 17,2 % „verschlechtert“).

94 % der Patienten beenden die Therapie regulär, 95 % sind bei ihrer Entlassung vollschichtig arbeitsfähig.

Zusammenfassung

Suchtmittelabhängige Patienten mit erhaltener beruflicher und sozialer Integration können in einem achtwöchigen intensiven Kurzzeitprogramm erfolgreich stationär behandelt werden. Der Fokus der therapeu-tischen Maßnahmen liegt dabei innerhalb einer homogenen Patientengruppe vor allem auf dem Erhalt dieser beruflichen und sozialen Ressourcen mittels einer vorwiegend psychotherapeutischen Bearbeitung dysfunktionaler Verhaltens- und Einstellungsmuster in der Arbeitswelt oder sozialen Kontakten, die mit dem Suchtmittelkonsum in funktionalem Zusammenhang stehen. Gerade bezüglich der Arbeitsplatzsituation wird in Abstimmung mit den Kontaktpersonen des jeweiligen Arbeitgebers eine Vielzahl therapeutischer Maßnahmen durchgeführt. Evaluationen zur Zufrieden-heit der behandelten Patienten und kata-mnestische Erfolgsquoten belegen die hohe Wirksamkeit dieser Maßnahmen.

Literatur

Deutsche Rentenversicherung Bund: Arbeits- und berufsbezogene Orientierung in der medizinischen Rehabilitation. Praxishandbuch. Berlin: Heenemann, 2012.

Gänsicke M, Monschau M, Schneider B: Zur Qualität der Teilhabe am Erwerbsleben: Jobcoaching in der Re-habilitation zur Optimierung des beruflichen Erlebens und Verhaltens. In: Fachverband Sucht (Hrsg.): Per-spektiven für Suchtkranke: Teilhabe fördern, fordern, sichern. Geesthacht: Neuland Verlag, 2005.

Kreh O, Levas J: Arbeit und Sucht – arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster bei Substanzabhängigkeit. Sucht Aktuell 2014; 21: 41–45.

Missel P, Jung C, Herder F et al.: Effektivität der sta-tionären Suchtrehabilitation – FVS-Katamnesen des Entlassjahrganges 2011 von Fachkliniken für Alkohol- und Medikamentenabhängige. Sucht Aktuell 2014; 21: 5–18.

Schaarschmidt U, Fischer AW: AVEM – Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebensmuster (Manual). Frankfurt/Main: Swets Testservices, 1996.

Streibelt M: Validität und Reliabilität eines Screening-Instruments zur Erkennung besonderer beruflicher Problemlagen bei chronischen Krankheiten (SIMBO-C). Rehabilitation 2009; 48: 135–144.

    Info

    Modul 1: Konsequenzen der Sucht am Arbeitsplatz

    • Welche konkreten negativen Auswirkungen gab es?
    • Was gewinne ich durch Abstinenz in Bezug auf meine Arbeitstätigkeit und Arbeitszufriedenheit?
    • Wird meine Abstinenz alleine dazu führen oder muss ich aktiv daran arbeiten? Wenn ja, auf welche Weise?

    Modul 2: Steigerung der Arbeitszufriedenheit zur Unterstützung der Abstinenz

    • Welche Faktoren der Tätigkeit/des Arbeitsplatzes/der Zusammenarbeit am Arbeitsplatz haben meinen Suchtmittelkonsum begünstigt?
    • Wie kann ich zukünftig zufriedener und motivierter arbeiten?
    • Was muss ich konkret verändern und wie mache ich das?

    Modul 3: Vorbereitung der Rückkehr an den Arbeitsplatz

    • Was muss ich konkret tun, um erfolgreich an meinen Arbeitsplatz zurückzukehren? (während der Therapie/nach der Therapie)
    • Wie gehe ich mit meiner Abhängigkeit am Arbeitsplatz um? (Wem sage ich was?)
    • Wann kehre ich zurück und wie? (Informationen zu gesetzlichen Bestimmungen und verschiedenen Rückkehrmodalitäten)

    Für die Autoren

    Oliver Kreh

    Leitender Psychologe

    Allgemeine Hospital-gesellschaft AG

    AHG Klinik Tönisstein

    Hochstraße 25

    53474 Bad Neuenahr-Ahrweiler

    okreh@ahg.de

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