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Prävention im Betrieb

Pro   Screening auf Krebs- erkrankungen – es gibt keine einfachen Antworten

Grundsätzlich haben alle Screeningverfahren zur Krebsfrüherkennung auch ihre Schatten-seiten. Sie deshalb in Bausch und Bogen zu verwerfen, wie dies manche Vertreter der Evidenzbasierten Medizin (EBM) tun, hilft aber nicht weiter, denn die Patienten oder Mit-arbeiter verlangen nach Antworten. Eine dif-ferenzierte Betrachtung ist notwendig.

Lediglich das Screening auf das kolo-rektale Karzinom bzw. dessen Vorstufen, für das sich sowohl die Koloskopie als auch die Sigmoidoskopie nach evidenzbasierten Kri-terien bewährt haben, gilt mittlerweile als un-umstritten. Hier gibt es bei guter Vorbereitung in der Endoskopie eine klare Ja-/Nein-Entscheidung, ob Polypen gesichtet und entfernt werden, oder eben nicht. Die Sensitivität für die Erkennung relevanter Polypen > 10 mm liegt bei weit über 90 %, die Spezifität bei fast 100 %. Der große Nutzen des Screenings überwiegt das vorhandene, aber überschau-bare Komplikationsrisiko bei weitem. Stuhltestverfahren werden auch in Zukunft trotz verbesserter Sensitivität der neuen immuno-logischen FOBs niemals an diese Werte he-rankommen.

Alle anderen Verfahren der Krebsfrüherkennung unterliegen der grundsätzlichen Problematik eines Screenings: Die geringe Punktprävalenz des jeweiligen Tumors in der untersuchten Gruppe führt in Verbindung mit einem hinsichtlich Sensitivität und Spezifität imperfekten Testverfahren zu einer unvermeidbaren Anzahl falsch-positiver Be-funde bei der Suche nach „der Stecknadel im Heuhaufen“. Darüber hinaus können auch Tumoren entdeckt werden, die den/die Pa-tienten/-in zu Lebzeiten nie belästigt hätten (= Überdiagnostik). Dies gilt v. a. für das Pros-tatakarzinom, bei dem man vom Massen-screening mittels PSA-Bestimmung mittlerweile in den Leitlinien Abstand genommen hat.

Es können Schäden durch überflüssige Eingriffe entstehen und/oder das Testverfahren kann schlicht nutzlos sein (dies gilt für so genannte „Tumormarker“ in der Primär-prävention).

Die Prävalenz des häufigsten bösartigen Tumors bei Frauen, dem Mammakarzinom, liegt im Alter von 50 Jahren bei  17 000 Frauen in Deutschland an Brustkrebs. Hier gilt es, den Frauen eine informierte Entscheidung zu ermöglichen durch eine Aufklärung über die möglichen Risiken falsch-positiver Befunde und Über-diagnosen im Verhältnis zu dem möglichen Nutzen einer Vorverlagerung der Krankheits-erkennung in ein noch heilbares Stadium. Letztlich ist auch die Qualität der Mammographie, die seit Einführung des zertifizierten Screeningverfahrens an spezialisierten Zentren deutlich verbessert wurde, von gro-ßer Bedeutung.

Bei manchen Tumoren, wie dem malignen Melanom oder dem Pankreaskarzinom, verhindert auch die Tumorbiologie mit schnellem Wachstum und früher Metastasierung, dass Screeningverfahren nutzen können. Me-lanome der harmlosen Sorte wurden seit Ein-führung des Hautkrebs-Screenings zwar viel häufiger entdeckt und entfernt, die Sterbe-rate am malignen Melanom blieb davon aber unberührt und liegt in den Industrienationen mit oder ohne Screening etwa gleich hoch, unabhängig von der mit dem Screening ver-bundenen höheren Inzidenz.

Maßnahmen zur Krebsfrüherkennung im betrieblichen Setting sollten diese Problema-tik im Auge behalten. Eine gute Aufklärung und die Motivation zur Aufnahme der Kolo-skopie stellt nach aktuellem Kenntnisstand die am besten gesicherte Option dar. 

Contra   Medizinische Prävention in Betrieben – Anregung zur kritischen Bewertung

Gesundheitschecks und Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung erfreuen sich zunehmender Beliebtheit auch im Setting Betrieb. Der aktuelle Entwurf eines Präventionsgesetzes sieht ausdrücklich die Stärkung von Gesundheitsförderung in Betrieben vor (s. „Weitere Infos“).

Heft 02/2014 der Zeitschrift für medizinische Prävention (ASU) widmete bereits ein gesamtes Heft dem Titelthema „Krebsfrüherkennung und -vorsorge, Präventions-Setting Betrieb“. Die Mehrzahl der Autoren der in dieser Ausgabe publizierten Artikel bekannte sich uneingeschränkt und enthusiastisch zur Idee von individueller Gesundheitsförderung und Vorsorge im Betrieb. Es wurde von unterschiedlichen Kampagnen zu gesundem Lebensstil, Vorsorge und Krebsfrüherkennung berichtet.

Der TÜV für den Mann soll auch im Be-trieb erfolgen. Der Mensch ist aber kein Auto. Ein Ölwechsel ist nicht vorgesehen. Zudem ignoriert das Konzept TÜV die Fähigkeit des Körpers zur eigenständigen Wiederherstel-lung von Funktionsfähigkeit. Ein Eingriff in die Reparaturbestrebungen des menschli-chen Organismus kann auch unvorhersehbaren Schaden anrichten. Präventionsmaßnahmen sind daher nicht automatisch von Nutzen. Im Gegenteil, die meisten Maßnah-men zur individuellen Verhaltensänderung bleiben wirkungslos und Krebsfrüherkennung hat nicht nur Nutzen, sondern auch Schaden (Mühlhauser 2011, 2014a; Krogsbøll et al. 2012).

Aus Perspektive der evidenzbasierten Medizin müssen gerade auch Maßnahmen zur Prävention nach wissenschaftlichen Kri-terien geprüft werden. Zu Screening wurden bereits 1968 von Wilson und Junger WHO Kriterien definiert, die aktualisiert heute noch immer Gültigkeit haben (Referenzen in Mühlhauser 2014a). In den letzten Jahren gab es mehrere bedeutsame Publikationen, die neben dem möglichen Nutzen vor allem auch den möglichen Schaden von Prävention deutlich gemacht haben (Mühlhauser 2011, 2014a; Krogsbøll et al. 2012). Wichtige Kriterien zur Beurteilung des Nutzen-Schaden Verhältnisses von Screening- und Präventionsinterventionen beziehen sich auf die Krankheit/das Problem, den Test, die Behandlung und das Gesamtprogramm. Der Nutzen einer Maßnahme muss in aussagekräftigen randomisiert-kontrollierten Studien (RCTs) mit klinisch relevanten End-punkten belegt sein.

Ein Cochrane Review, der die Ergebnisse aus mehreren RCTs zu den sog. health checks zusammenfasst, kommt zu dem Schluss, dass es keinen positiven Effekt der Gesunden-untersuchungen gibt, weder auf die Gesamt-sterblichkeit, noch auf kardiovaskuläre oder Krebs-Sterblichkeit (Krogsbøll et al. 2012). Zunehmend in Frage gestellt wird auch die immer weitere Absenkung der Normwerte für Risikofaktoren wie den Körpergewichtsindex, Blutzucker, Blutdruck oder Cholesterin (Mühlhauser 2014a). Auch die Krebsfrüherkennungsuntersuchungen stehen zu-nehmend in der Kritik. Der Nutzen ist gering oder fehlend, der Schaden wird unterschätzt oder nicht zur Kenntnis genommen.

Angesichts der Unsicherheiten, die mit medizinischen Präventionsmaßnahmen ein-hergehen, müssen die Bürger und Bürgerinnen die Möglichkeit haben sog. informierte Entscheidungen zu treffen. Dazu müssen evidenzbasierte Informationen bzw. Entscheidungshilfen zur Verfügung gestellt werden (Mühlhauser 2014b). Das Deutsche Netzwerk für Evidenzbasierte Medizin hat Kriterien für die Erstellung und Bewertung von Gesundheits- und Patienteninformationen publiziert (Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin, s. „Weitere Infos“). Die BAuA hat ein eigenes Methodenpapier für Patienteninformationen erstellt (Bundes-anstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2014). Das Aufklärungsgespräch und eine informierte Entscheidung sind nach dem Patientenrechtegesetz auch für präventive medizinische Maßnahmen vorgesehen (Bun-desministerium für Justiz und Verbraucherschutz, siehe „Weitere Infos“).

Wenn überlegt wird eine medizinische Präventionsmaßnahme in einem Betrieb zu implementieren, sollte zuvor geprüft werden, wie das Nutzen-Schaden-Verhältnis bei Um-setzung aussehen würde. Die Methoden der Evidenz-basierten Medizin sollten hier zur Anwendung kommen.

Detaillierte Ausführungen sowie die Literaturquellen zu den einzelnen Aspekten, die in diesem Kommentar angesprochen werden, finden sich in weiterführenden um-fangreicheren Publikationen (Mühlhauser 2011, 2014a,b) bzw. über die Internetseiten der Autorin (siehe „Weitere Infos“).  

Literatur

Albrecht M, Steckelberg A: Manual für die Erstellung von evidenzbasierten Informationen für Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmer. Bundesanstalt für Arbeits-schutz und Arbeitsmedizin (Hrsg.). Berlin, 2014.

Krogsbøll LT, Jørgensen KJ, Grønhøj Larsen C, Gøtz-sche PC: General health checks in adults for reducing morbidity and mortality from disease. Cochrane Data-base Syst Rev 2012; 10: CD009009

Mühlhauser I: Vorsorge und Früherkennung – Prä-ventionshandeln zwischen gesellschaftlicher Verpflich-tung und individueller Selbstbestimmung. In: Hensen P (Hrsg.): Die gesunde Gesellschaft – Sozioökonomische Perspektiven und sozialethische Herausforderungen. Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften, 2011; S. 235–253

Mühlhauser I: Zur Überschätzung des Nutzens von Prävention. Z Evid Fortbild Qual Gesundheitswesen 2014a; 108: 208–218.

Mühlhauser I, Albrecht M, Steckelberg A: Evidenz-basierte Gesundheitsinformation. Zbl Arbeitsmed 2014b, DOI 10.1007/s40664-014-0054-0

    Weitere Infos

    Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gesundheits-förderung und der Prävention

    www.bmg.bund.de/fileadmin/dateien/Downloads/P/Praeventionsgesetz/141217_Gesetzentwurf_Praeventionsgesetz.pdf

    Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin. Gute Praxis Gesundheitsinformation 2.0

    www.ebm-netzwerk.de/pdf/stellungnahmen/pm-stellungnahme-pgpi.pdf

    Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz. Patientenrechte

    www.bmjv.de/DE/Themen/Gesellschaft/Patientenrechte/_node.html

    Gesundheitswissenschaften, Uni Hamburg – Arbeitskreis Prof. Dr. Mühlhauser

    www.chemie.uni-hamburg.de/igtw/Gesundheit/gesundheit.htm

    Dr. med. Johannes Scholl

    Dr. Scholl Prevention First GmbH

    Europastraße 10, 65385 Rüdesheim am Rhein

    scholl@preventionfirst.de

    und

    Dr. med. Michael Schneider

    Boehringer Ingelheim

    Zentrum für Arbeitsmedizin und Medizinische Dienste

    michael.schneider@boehringer-ingelheim.com

    Univ.-Prof. Dr. med. Ingrid Mühlhauser

    Universität Hamburg

    MIN Fakultät, Gesundheitswissenschaften

    Martin-Luther-King Platz 6

    20146 Hamburg

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