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Ist Sitzen das neue Rauchen?

Ergonomie ist die Anpassung der Technik an den Menschen. Konkret bedeutet dies, dass die Arbeitsplätze und die Arbeitsmittel an die menschlichen Eigenschaften wie Abmessungen und Kraftvermögen sowie Informationsaufnahme, -verarbeitung und -abgabe angepasst werden.

Nun kann gefragt werden, ob Ergonomie auch einen Beitrag zur Verbesserung der Arbeitsleistung und Arbeitszufriedenheit leisten kann. Durch ergonomische Gestaltung können menschlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten besser genutzt werden und die Gesundheit bleibt erhalten, was positive Auswirkungen auf die Arbeitsleistung hat. Herzberg hat bereits 1959 untersucht, welche Faktoren die Arbeitsmotivation beeinflussen. Er hat zwei Arten von Einflussgrößen identifiziert. Zum einen Faktoren, die auf den Inhalt der Arbeit bezogen sind (Motivatoren), und zum anderen Faktoren, die auf den Kontext der Arbeit bezogen sind (Hygienefaktoren). Zu den Kontentfaktoren gehören z. B. Verantwortung zu tragen oder Anerkennung zu erwerben; zu den Kontext-faktoren die Firmenpolitik und die Arbeitsbedingungen. Ergonomie kann damit den Kontextfaktoren zugeordnet werden. Mit den Kontextfaktoren wird Unzufriedenheit vermieden, was eine wichtige Voraussetzung für die Leistungserbringung darstellt. Sie sind in der Regel leichter zu gestalten als Kontentfaktoren, da diese häufig personenbezogen als individuelle Motivationsfaktoren ausgeprägt sein müssen.

Die Ausstattungselemente des Arbeits-platzes wie z. B. Stühle müssen damit den Hygienefaktoren zugeordnet werden. Durch eine gute Auswahl und Gestaltung wird Unzufriedenheit vermieden und eine Vor-aussetzung für sichere und gesundheitsgerechte Arbeit geschaffen. Der Stand der Technik wird in entsprechenden Normen beschrieben (DIN 4551). Das ist im Hinblick auf Ergonomie die Untergrenze. Eine gute Anpassung der Technik an den Menschen geht jedoch über diese Mindestanforderungen deutlich hinaus.

Derzeit wird die Arbeitsstättenverord-nung novelliert. Neben einigen Präzisierun-gen werden dabei auch die Inhalte der Bild-schirmarbeitsverordnung in die ArbStättV integriert. Wenn Arbeit auch im Sitzen ausgeführt werden kann, sind entsprechende Sitzgelegenheiten zur Verfügung zu stellen, bei Bildschirmarbeitsplätzen wird ein ergonomisch gestalteter Arbeitsstuhl gefordert (vgl. Anhang der ArbStättV):

Dauersitzen darf nicht Ziel der Arbeits-gestaltung sein. Ein Wechsel der Sitzhaltung wie auch ein Wechsel zwischen Sitzen und Stehen bzw. Gehen ist notwendig. Auch der beste Stuhl kann Bewegungsmangel nicht ausgleichen. Alternative Sitzkonzepte, wie z. B. Sitzbälle oder Kniestühle, sind als Ergänzung zum klassischen Stuhl zu sehen, können diesen jedoch nicht ersetzen.

  • Ein Stuhl muss den Körper sowie den natürlichen Verlauf der Wirbelsäule abstützen,
  • vor Fehlhaltungen schützen,
  • wechselnde Sitzhaltungen und Bewegung fördern,
  • individuell anpassbar und
  • sicher sein.

Im Bürobereich sind die jeweiligen Arbeitsaufgaben ähnlich, daher können sich Büro-stühle sehr ähnlich sein. In der Produktion müssen die Arbeitsstühle zur Arbeitsaufgabe passen. Nicht jeder Stuhl ist für jede Aufgabe geeignet. Oft müssen zusätzlich noch Labor oder Reinraumanforderungen erfüllt werden. In zeitgemäßen Arbeitssystemen werden Sitz-Steh-Arbeitsplätze geplant. Be-schäftigte haben hier die Möglichkeit, sowohl im Sitzen als auch im Stehen zu arbeiten, wovon gerne Gebrauch gemacht wird.

In der betrieblichen Praxis – sowohl im Bürobereich als auch in der Produktion – zeigt es sich leider, dass z. B. die gute Ergono-mie von Arbeitsstühlen oft gar nicht zum Tragen kommt, da die Einstellung des Stuhls nicht zu Person und Arbeitsaufgabe passt. Die Hersteller und auch die Betriebe sind aufgefordert, neue Ideen zu entwickeln, wie Beschäftigten die richtige Stuhleinstellung vermittelt werden kann. Durch die neuen digitalen Möglichkeiten, die Produkt und Information (z. B. QR-Code) miteinander verknüpfen, kann das ansprechend und interessant gestaltet werden. Richtig sitzen muss offensichtlich gelernt werden und benutzerorientierte Angebote dazu sind notwendig.

In der Ergonomie werden Arbeitssysteme als soziotechnische Systeme bezeichnet, d. h. hier sind Menschen und technische Komponenten vorhanden. Stühle haben ganz engen Kontakt zum Menschen, sie sollten deshalb unter Beteiligung der Beschäftigten ausgewählt werden. Hier sind die Führungskräfte in den Betrieben gefordert, Auswahl- und Entscheidungshilfen anzubieten. Es ist selten so, dass ein Stuhlmodell für alle Personen geeignet ist. Eine kriteriengestütze Auswahl mit Testmöglichkeiten von unterschiedlichen Modellen hat sich in der betrieblichen Praxis bewährt.

Ein Stuhl ist nur dann gut, wenn er seine Aufgaben erfüllt, mithilft, Unzufriedenheit und gesundheitliche Beschwerden zu vermeiden, und den sitzenden Menschen nicht merken lässt, dass er sitzt. 

    Weitere Infos

    Bericht aus der Süddeutschen Zeitung vom 18. 11. 2014

    https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/gesundheitsgefahr-stuhl-ist-sitzen-das-neue-rauchen-1.2220453

    ArbStättV – Verordnung über Arbeitsstätten

    https://www.juris.de/purl/gesetze/_ges/ArbStättV

    Autor

    Prof. Dr.-Ing. M. Schmauder

    Professur Arbeitswissenschaft

    Institut für Technische Logistik und Arbeitssysteme

    Technische Universität Dresden

    Dürersqtraße 26 – 01062 Dresden

    martin.schmauder@tu-dresden.de

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