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Verordnung zur Arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) 2013

PRO   Die am 31.10.2013 in Kraft getretene Arbeits- medizinische Vorsorgeverordnung (ArbMedVV) hat das Ziel, Rechtssicherheit zu schaffen, was meiner Meinung nach auch gelungen ist.

Das im § 1 der ArbMedVV explizit genannte Ziel „des Erhalts der Beschäftigungsfähigkeit“ ist ein wichtiger Beitrag der Betriebsärzte zur Bewältigung der drängenden Herausforderungen der Zukunft: Der Begegnung der Auswirkungen des demografisches Wandels in der Gesellschaft mit Überalterung und geringem Nachwuchs. Hier wird ein moderner zukunftsweisender Ansatz meines Erachtens sichtbar.

Insbesondere die Klarstellung in der ArbMedVV, dass Eignungs- und Tauglichkeitsuntersuchungen nicht zum Regelungsbereich der ArbMedVV gehören ist sehr hilfreich, denn es zeigt sich, dass sie nicht in erster Linie dem Beschäftigungsschutz, sondern dem Drittschutz gelten.

Viele Betriebsärzte und auch die DGUV haben dies nicht so gesehen und sind davon ausgegangen, dass Eignungsuntersuchungen auch im Rahmen der ArbMedVV geregelt werden. Mit dieser Feststellung sind auch die G-Grundsätze in vieler Art und Weise ohne weiteres nicht mehr anwendbar, da sie beispielsweise Eignungsuntersuchungen aufführen.

Ferner entfallen die Bescheinigungen in der bisherigen Form. Es ist nur noch der Nachweis der Ärztin oder des Arztes erforderlich, der nur Angaben enthält, die dem Arbeitgeber bereits bekannt sind oder wegen weiterer arbeitsmedizinischer Vorsorge bekannt sein müssen. Mit dieser Regelung wird dem Datenschutz und der Schweigepflicht Rechnung getragen.

Da die vormals verwendeten Bescheinigungen zu viele persönliche Angaben des Beschäftigten verlangten, sind auch aus diesem Grund die Empfehlungen der DGUV namens G-Grundsätze heute nicht mehr anwendbar, die diese Bescheinigungen noch an-führen.

Die Erforderlichkeit körperlicher oder klinischer Untersuchungen in der Verordnung wird explizit aufgegriffen, Es wird festgestellt, dass gemäß dem Berufsrecht Pflicht der Ärztin oder des Arztes ist, vor Durchführung körperlicher oder klinischer Untersuchungen nach pflichtgemäßem Ermessen deren Erforderlichkeit zu prüfen. Die Beschränkung der Untersuchung auf das erforderliche Maß erspart den Beschäftigten unnötige Eingriffe in ihre körperliche Unversehrtheit. Der Wegfall des Untersuchungszwanges hat insbesondere bei denjenigen Betriebsärzten zu Irritationen geführt, die sich schon von je her über körperliche Untersuchungen definierten. Von lieb gewonnenen Vorstellungen ist es schwer, Abschied zu nehmen. Dabei ist der Aufgabenbereich von Betriebsärzten viel umfassender. Aber das Neue ist eine Chance und macht den Weg frei für eine umfassende ärztliche Beratung unter Wahrung der Schweige-pflicht.

Die Verordnung sieht des Weiteren vor, dass der Arzt oder die Ärztin verpflichtet ist, die Erkenntnisse aus der arbeitsmedizinischen Vorsorge auszuwerten. Bei Anhaltspunkten für unzureichende Schutzmaßnahmen muss er dem Arbeitgeber dies mitteilen und entsprechende Schutzmaßnahmen vorschlagen. Sind alle Arbeits-schutzmaßnahmen ausgeschöpft und hält der Arzt oder die Ärztin aufgrund einer besonderen Gefährdung durch in der Person liegende medizinische Gründe einen Tätigkeitswechsel für erfor-derlich, bedarf diese Mitteilung an den Arbeitgeber der Einwilligung des Beschäftigten. Auch hier wird die Selbstbestimmung des Einzelnen gestärkt.

Obwohl viel durch die novellierte ArbMedVV klargestellt wird, waren zunächst noch einige Fragen im Detail offen, wie weiter verfahren werden soll. Zum Beispiel: Wie soll nun die Vorsorgebescheinigung aussehen? Was ist heute unter einer Vorsorgedatei des Arbeitgebers zu verstehen? Was darf in der Bescheinigung für den Arbeitgeber angegeben werden, ohne die ärztliche Schweigepflicht zu brechen?

Diese Fragen werden sukzessive vom AfAMed mit weiteren klarstellenden Auslegungen und Konkretisierungen der Verordnung im Rahmen von arbeitsmedizinischen Regeln (AMR) beantwortet, welche auf der Homepage http://www.baua.bund.de veröffentlicht werden.

Insgesamt gesehen hat nach meiner Ansicht die novellierte Ver-ordnung zur deutlich verbesserten Rechtssicherheit im Bezug der Arbeitsmedizinischen Vorsorge gebracht und die Selbstbestimmung des Beschäftigten gestärkt. Auch wird eine Wertschätzung gegenüber der Kompetenz für Gesundheit und Krankheit – dem Betriebs-arzt im Unternehmen – zu Ausdruck gebracht. Die ärztliche Untersuchung steht nicht im Vordergrund, sondern die umfassende ärztliche Vorsorge im Allgemeinen und die ärztliche Beratung gegenüber dem Arbeitgebern und den Arbeitnehmern im Besonderen, die auf Basis einer sorgfältigen Gefährdungsbeurteilung im Hinblick auf die Gesundheit des Beschäftigten beruht.  

CONTRA   Wer vor der klinischen Medizin flüchtet und sein Heil in der Arbeitsmedizin sucht, ist auf einem Irrweg.

Die neue ArbMedVV hat uns zu einer Zeit überrascht, in der man bei einer geschäftsführenden Regierung nicht damit gerechnet hat. Die Frist bei der Anhörung der Verbände ließ schon vermuten, dass die Meinung der Praktiker keinen interessiert. „Willst Du nicht meiner Meinung sein, dann lad‘ ich Dich hier nicht mehr ein!“ So wurde es hier wahrgenommen.

In der Ambulanz hat sich nichts geändert. Kein Arzt wird jemals jemanden gegen seinen Willen untersucht haben. Liegt es an meiner primären ärztlichen Sozialisation in der Frauenheilkunde, dass meine „arbeitsmedizinischen Patienten“ schon immer ihr Einverständnis für die Vorsorge und den Umgang mit der Beurteilung unterscheiben müssen? Das war doch auch bei meinen arbeitsmedizinischen Lehrern so. In der Vorsorge haben wir immer, auch schon früher, die individuellen und arbeitsbedingten Risiken besprochen. Wir hatten zwei Verweigerungen der Mitwirkung bis Oktober 2013, die mit „keine Beurteilung“ quittiert wurden. Danach sind zwei hinzugekommen, für die es Teilnahme-bescheinigungen gab. Auch wir haben von Absonderlichkeiten in der Vorsorge gehört. Aber Studien zur Vorsorgequalität sind kaum bekannt. Da ist ja gut, dass dieses Thema samt informationeller Selbstbestimmung verbessert werden muss. Jetzt ergeht immer eine sinnfreie Teilnahmebescheinigung. Was der Betroffene verstanden hat, ist nicht sekundär, sondern egal. Ärztliches Tun ohne Konsequenzen ist unethisch und streng genommen sogar strafbewehrt, weil für sinnfreie ärztliche Handlungen die rechtswirksame Einwilligung nicht erfolgen kann.

In vielen Bereichen der betriebsärztlichen Tätigkeit – in der ASAS, der Gefährdungsanalyse, der Beratung, den Schutzmaßnahmen, der Kommunikation mit den Mitarbeitervertretungen – verursachen die neuen Bescheinigungen „psychische Belastungen“.

„Wofür schicke ich Ihnen die Leute?“, „Eine BV für die Eignung ist mit mir als Betriebsrat nicht zu machen!“, „Ich lasse die Leute unterschreiben. Sie brauche ich hier gar nicht mehr“, „Der Vertriebsmitarbeiter der ABC-GmbH hat mir erklärt, dass mit seinen BetriebsärztInnen so etwas nicht passieren würde. Ich werde die Vorsorgen bei ihm kaufen.“ Ein kleiner Auszug aus dem Repertoire betrieblicher Entscheidungsträger, mit denen wir uns nun auseinandersetzen müssen. Solange man es schafft, vom Unternehmer und vor allem von der Belegschafft als „Arzt/Ärztin“ wahrgenommen zu werden, gelingt eine Moderation immer noch. Die Betonung liegt auf noch.

Die Differenzierung in Pflicht („Du musst da hingehen, aber nicht mitmachen“), Angebot („Wir schreiben Dir einen Text, den Du nicht verstehen musst“) und Wunsch („Wir sind hier doch nicht bei „Wünsch Dir Was“) zu vermitteln, scheitert oftmals nicht erst auf Ebene der Beschäftigten in prekären Arbeitssituationen. Richtig absurd wird die Diskussion, wenn auch noch Eignungstatbestände zu berücksichti-gen sind, für die theoretisch eine getrennte Konsultation erfolgen soll bzw. wenn sich Vorsorge und Eignung direkt überschneiden, was es nach wie vor gibt. Die strikte Trennung von Eignung und Vorsorge ist ein Hirngespinst. Die neue ArbMedVV hat dem Schutz der Beschäftigten gar nichts gebracht. Die Betriebsärzte, die sich nicht an grundsätzliche ärztliche Verhaltensweisen halten, hätte man standespolitisch oder rechtlich erziehen können. Das zu diesem Zweck ausgerufene Bürokratiemonster ist so überflüssig „wie ein Kropf“. Die inner-betriebliche Kommunikation ist schwieriger geworden. Die Akzeptanz des Betriebsarztes wird durch die weitere „Ent-Medizinierung“ geringer.

Im kollegialen Disput, den wir für unsere „Patienten“ führen müs-sen, verkommen wir zu Theoretikern, was uns weiter diskreditiert. Ich bin Kollegen dankbar für die Einlassung, dass diese oder jene Maßnahme eine rein arbeitsmedizinische Indikation habe und sich der Patient zwecks Durchführung vertrauensvoll an seinen Betriebsarzt wenden könne und man die Überlassung der Befundkopien gerne sähe.

Die ArbMedVV wurde offensichtlich einerseits dafür erlassen, denjenigen, die Arbeitsmedizin ohne Betriebsärzte verkaufen, den Rücken etwas freier zu halten, da sich gerade deren Kostgänger bei der Kommunikation der Novelle immer wieder hervortun. Weitere Kritik hat an die Präventionsbürokraten und Betreiber von Unternehmermodellen (mit bis zu 50 (!) Beschäftigten) mit Zwangsakquisition zu gehen, die ihre selbst verschuldeten Defizite gerne legalisiert sehen. Hauptsächlich ist die neue ArbMedVV ein Konstrukt von Theoretikern, die einer eigenen antiärztlichen Dogmatik folgen und für nie irgendeine persönliche Verantwortlichkeit besteht. Was diese Berufsgruppe als „juristisch sauber“ definiert hat, wurde meistens als machtpolitische Dogmatik entlarvt.

Die arbeitsmedizinische Vorsorge zu stärken, indem die Regelwerke harmonisiert und vereinfacht würden, dieser Anspruch wurde wie das berühmte „Kindlein mit dem Bade ausgeschüttet“. Organisierte Verantwortungslosigkeit ist das Leitsymptom.  

    Dr. med. Annegret E. Schoeller

    Fachärztin für Arbeitsmedizin/Umweltmedizin, Bereichsleiterin im Dezernat 5 – Versorgung und Kooperation mit Gesundheitsfachberufen

    Bundesärztekammer

    Herbert-Lewin-Platz 1 – 10623 Berlin

    Christian Wolf

    Facharzt für Arbeitsmedizin

    Freiberuflicher Betriebs- und Werksarzt

    Frankendamm 47 – 18439 Stralsund

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