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“Arbeitsaufenthalt im Ausland unter besonderen klimatischen und gesundheitlichen Belastungen“

Gedanken zur arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung analog zu G 35

In der zitierten Arbeit wurde Folgendes ge-sagt: „Arbeitnehmer müssen an den angebotenen Unterweisungen teilnehmen. Sie müssen jedoch nicht zwingend an der angebotenen G 35-Untersuchung teilnehmen, es sei denn, dies ist beispielsweise über Betriebsvereinbarungen so festgelegt.“

Mit dieser Aussage sollte nicht am Sinn einer solchen Untersuchung gezweifelt wer-den; allerdings muss hier auch kritisch festgestellt werden, dass das gesamte System der G-Untersuchungen trotz seines großen Datenbestandes mit vielen Millionen Untersuchungen niemals hinsichtlich seiner Validität überprüft worden ist, also bis zum heutigen Tag keinerlei wissenschaftlicher Betrachtung stand hält! Es wird seit Jahren also sehr viel Geld ausgegeben, ohne dass bekannt wäre, ob dies auch zielführend ist. Mit der zitierten Bemerkung sollte vielmehr herausgestellt werden, dass es zwar eine gewisse Verpflichtung zur Untersuchung gibt, dass diese aber nicht unmittelbar aus bindendem staatlichem Recht abzuleiten ist. So gibt z. B. die Strahlenschutzverordnung unmittelbar zwingend durchzuführende und von den Betroffenen zu duldende Vorsorge-untersuchungen vor. Dies ist in dieser expliziten Klarheit bei der Untersuchung analog zu G 35 nicht so. Dessen ungeachtet haben alle G-Untersuchungen keinen bindenden, ja noch nicht einmal Richtliniencharakter, sondern sind nur eine von der DGUV den Arbeitsmedizinern zur Verfügung gestellte Handlungserleichterung und gewisse Standardisierung. Es wäre vor diesem Hintergrund also völlig in Ordnung, für eine spe-zifische Situation in einer Firma ein anderes, selbstverständlich fachlich begründetes Vorgehen zu etablieren.

Mit der 1. Novellierung der ArbMedVV wurde die G 35 zur Pflichtuntersuchung, durchzuführen durch Arbeitsmediziner oder Tropenmediziner. Das bedeutet zunächst einmal, dass für den Arbeitgeber eine Angebotspflicht besteht und er den Mitarbeiter nur dann entsprechend arbeiten lassen darf, wenn dieser die Vorsorgeuntersuchung erfolgreich passiert hat. Damit besteht ein indirekter Duldungszwang. Grundsätzlich wird jedoch das Persönlichkeitsrecht höher bewertet als derartige arbeitsmedizinische Rechtsvorschriften. Abgesehen von ganz be-sonderen Fällen, die in anderen Gesetzen definiert sind (z. B. Soldatengesetz), gibt es also keine unmittelbare Duldungspflicht des Mitarbeiters für Untersuchungen oder Impfungen.

Daraus ergibt sich ein Konflikt: Wenn der Arbeitgeber ihn trotzdem einsetzt („Wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter“), handelt es sich im Falle, dass die Firma überhaupt erwischt wird, um eine Ordnungswidrigkeit gem. § 10 ArbMedVV, die ggf. ein Bußgeld zur Folge hat. Das könnte von einer Firma, die möglicherweise zwingend auf das Know-how eines Mitarbeiters vor Ort angewiesen ist, durchaus die „billigere“, besser gesagt: praktikablere Lösung sein. Die Motivation kann aber auch massiv auf Seiten der Belegschaft oder einzelner Mit-arbeiter liegen: Ein völlig untrainierter, bei kurzen Treppen schon nach Luft schnappen-der Fettklops mit Hypertonie, katastrophaler Compliance hinsichtlich seines Diabe-tes, beginnender diabetischer Nephropathie und weiteren Vorerkrankungen sagte dem Autor kürzlich strahlend ins Gesicht: „Doc, was Sie schreiben, ist völlig egal, ich gehe sowieso in den Senegal!“ In diesem Falle traf sicher auch ein anderer Aspekt zu, der für viele gilt, die lange „draußen“ waren, z. B. im Fernstraßenbau: Das ist eine „verschworene“ Gemeinschaft, die ein Leben in der Diaspora führt und im Heimatland – wozu im Laufe der Zeit zunehmend der Bezug verloren geht – nach diversen Jahren Zigeunerleben ohnehin nicht mehr reintegrierbar ist. In dem Falle würde man pragma-tisch sagen: „Lieber ohne G 35 einigermaßen zufrieden ‚draußen’ als mit Psychiater daheim“.

Für den Mitarbeiter kann es allerdings auch arbeitsrechtliche Konsequenzen haben, wenn er der Aufforderung zur G 35 nicht nachkommt, nämlich dann, wenn es in einer Firma keinen Ersatzarbeitsplatz für ihn gibt und er gezielt im Hinblick auf Auslandstätigkeit eingestellt wurde. In kleinen Firmen kann es durchaus ein Kündigungsgrund werden. Es dürfte natürlich bei einer Riesenfirma, wie einem großen Ölkonzern, schwierig werden, vor Gericht klar darzu-stellen, dass es keinen Ersatzarbeitsplatz für den Mitarbeiter gibt. Anders sieht dies je-doch aus, wenn der Mitarbeiter explizit für die Auslandsaufgabe eingestellt worden ist.

Ein ganz anderer Konflikt ergibt sich aus der allgemein als merkwürdig empfundenen Änderung der Dokumentation der Untersuchungsergebnisse. Früher wurde praxistauglich eine Klassifikation nach „keine Bedenken“, „Bedenken unter bestimmten Voraussetzungen“ und „gesundheitliche Bedenken“ vorgenommen, eine Staffelung, die jedem in Personalverantwortung klar zeigt, ob im Rahmen der Fürsorgepflicht Maßnahmen zu ergreifen sind oder nicht. Neuerdings wird aus politischen Gründen ein „hat teilgenommen“ gefordert – eine Binsenweisheit, denn schließlich hat ja der Arbeitgeber den Mitarbeiter während der Arbeitszeit zur Untersuchung geschickt, dürfte also in den allermeisten Fällen wissen, dass er teilgenommen hat. Wie dem auch sei: Als Arbeitsmediziner benutzen wir zumindest im Geiste noch immer und wohl auch bis auf Weiteres die alte, bewährte Klassifikation. Diese darf uns durch ihre Formulierung aber nicht in eine semantische Falle locken: Wenn wir bei einer dreijährigen Nachuntersuchungsfrist die Beurteilung „keine Bedenken“ abgeben, würde dies in den Augen arbeitsmedizinischer Laien – also auch in den Augen mancher Kollegen! – bedeuten, dass der Mitarbeiter für eben diesen Zeitraum ohne Weiteres weltweit einsetzbar ist. Dabei wird nicht erkannt, dass die Beratung und ggf. Impfungen natürlich zielgebietsspezifisch durchgeführt wurden. In großen internationalen Konzernen ist das klar, aber gerade bei Mittelständlern oder Kleinfirmen sollte unbedingt kommuniziert werden, dass es einen wesentlichen Unterschied zu anderen G-Untersuchungen gibt: Ein neues Zielgebiet bedeutet automatisch und unabhängig vom möglichen Ablauf einer bescheinigten Frist somit eine neue G 35, zu-mindest einen neuen Kontakt zum Arbeits- bzw. Reisemediziner. Damit gibt es bei der G 35 eigentlich nicht die Beurteilung „keine Bedenken“, sondern nur „keine Bedenken unter bestimmten Voraussetzungen“, wobei die Voraussetzungen die Zielregion sind, für die beraten und ggf. geimpft bzw. eine Malariaprävention empfohlen wurde.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass es dringend erforderlich ist, dass Mitarbeiter, die in „exotischen“ Situationen eingesetzt werden, in angemessener Form darauf vorbereitet und nach Rückkehr auch wieder begleitet werden. Das sollte auch im Eigeninteresse der Mitarbeiter sein, gerade auch die Untersuchung nach Rückkehr, an der es besonders oft mangelt. Ob man das strikt gemäß der in der G 35 festgelegten Handlungsanweisung durchführt oder eigene, ziel- und aufgabenspezifische Konzepte verfolgt, ist dabei nachrangig. Insgesamt geht es zum einen darum, überhaupt eine größere Zahl Betroffener zu erreichen als dies bislang der Fall ist und zum anderen sollte diese Vorbereitung, deren Schwerpunkt zumeist auf infektiologischen Fragen liegt oder sich sogar darauf beschränkt, die nichtinfektiologischen Risiken wie z. B. Verkehr / Unfälle, Kälte oder Höhe / Akklimatisation stärker betonen, denn die Zahlen sprechen hier eine klare Sprache: Mit der Allgemeinverfügbarkeit guter Impfstoffe verlieren die Infektionen als Reiserisiken an Bedeutung und es treten nichtinfektiöse Risiken immer mehr in den Vordergrund. 

Literatur

Küpper T: Rechtsfragen in der Reisemedizin – Klippen und wie sie umschifft werden. Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2013; 48: 51–58.

    Autor

    Prof. Dr. med. Thomas Küpper

    Institut für Arbeits- und Sozial-medizin der RWTH Aachen

    Pauwelsstraße 30

    50074 Aachen

    tkuepper@ukaachen.de

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