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Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 14. 05. 2013 – L 9 U 2788/11 –

Kein Wegeunfallschutz bei Regulierungsgesprächen

Der Mediziner K. wohnte mit seiner Ehe-frau und seinen drei Kindern in F. Seit dem 17. 03. 2008 war er als Assistenzarzt auf Probe im St. M.-Hospital in M. angestellt, wo er im Krankenhaus ein Zimmer hatte und während der Woche wohnte. Da K. am Montag, den 07. 04. 2008 Urlaub hatte, fuhr er gegen 19:00 Uhr von seiner Wohnung in F. los, um am nächsten Morgen, um 7:30 Uhr seinen Dienst im Krankenhaus anzutreten. Nach Angaben seiner Ehefrau hatte K. die Absicht, den Weg mit mehreren Pausen zurückzulegen und am Zielort unmittelbar die Arbeit aufzunehmen.

Auf der Autobahn A5 in Fahrtrichtung Kassel kam es gegen 23:30 Uhr zu einer Kol-lision zwischen dem Fahrzeug des K. und dem Fahrzeug des A. Beide Fahrer kamen auf dem Standstreifen nahe einer Rastanlage zu stehen und verließen ihre Fahrzeuge. Nach einer kurzen Unterhaltung, bei der sich K. auch danach erkundigte, ob es A. gut gehe, machte sich A. auf in Richtung Tankstelle, um die Polizei zu benachrichtigen. K. verblieb am Seitenstreifen und wurde unmittel-bar danach von einem Transporter, der frontal gegen das Fahrzeug des A. fuhr, erfasst und tödlich verletzt.

Die zuständige Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung der Ereignisse vom 07. 04. 2008 als Wegeunfälle und somit auch Hinterbliebenenleistungen ab. Zur Begründung führte diese aus, K. habe beim ersten Verkehrsunfall offenbar keine körperlichen Verletzungen erlitten. Auch beim zweiten Verkehrsunfall habe es sich nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt, da die zum Unfall-zeitpunkt ausgeübte Tätigkeit dem privaten Lebensbereich zuzurechnen sei. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundessozial-gerichtes (BSG) stünden Regulierungsge-spräche nach einem Verkehrsunfall entgegen der früheren Rechtsauffassung grundsätzlich nicht mehr unter dem Schutz der ge-setzlichen Unfallversicherung. Auch wenn ein Unfallbeteiligter seinen Verhaltenspflichten nach der Straßenverkehrsordnung bzw. dem Strafgesetzbuch nachkomme, stehe diese Handlung nicht im inneren Zusammenhang mit dem allein versicherten Zurücklegen des Weges zum Dienstort, sondern sei vielmehr als nicht versicherte eigen-wirtschaftliche Tätigkeit zu werten.

Entgegen der Vorinstanz schloss sich das Landessozialgericht dieser Auffassung an. Zwar habe K., der als angestellter Arzt gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII zum Unfallzeitpunkt versichert gewesen sei, sich bei der Fahrt von seiner Familienwohnung zum Dienstort auf einem gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 4 SGB VII versicherten Weg befunden. K. habe aber nur so lange seine versicherte Tätigkeit verrichtet, wie er sich in Richtung M., seinem Arbeitsort, mit seinem PKW fortbewegte. Er habe keine versicherte Tätigkeit mehr ausgeübt, als er nach dem ersten Unfall aus seinem Fahrzeug ausstieg und sich zum Fahrzeug des A. begab, um mit diesem abzusprechen, ob die Polizei gerufen bzw. wie der Unfall reguliert werden sollte. Dadurch sei der Weg zur Arbeit mehr als geringfügig unterbrochen worden.

Spätestens mit dem Aussteigen sei das Verhalten von K nicht mehr durch den Willen zur Fortsetzung des Weges zur Arbeitsstätte, sondern durch eine andere Handlungstendenz, nämlich durch den Willen zur Kontaktaufnahme mit A. und zum Gespräch über die weitere Verfahrensweise bzw. die Einschaltung der Polizei, gekennzeichnet gewesen. Sie sei folglich eigenwirtschaftlich und dem privaten Lebensbereich zuzurech-nen. Entgegen zahlreicher Literaturmeinun-gen habe das BSG entschieden, dass übliche Regulierungsgespräche nicht in einem inne-ren Zusammenhang mit dem versicherten Weg stünden.

Der Senat verweist dabei auf das Urteil des BSG vom 17. 02. 2009 – B 2 U 26/07 R. Hier hatte nach einer Kollision der später Verletzte gewendet, war zum Unfallgegner zurückgefahren und wurde beim Versuch, das Gespräch aufzunehmen, verletzt. Der zunächst zurückgelegte und versicherte Weg vom Ort der Tätigkeit wurde durch diesen Einschub eines in entgegengesetzter Richtung führenden zusätzlichen Weges in die eigentliche Fahrstrecke unterbrochen, wodurch zum Unfallzeitpunkt keine im inne-ren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII stehende Verrichtung mehr vorlag.

Der Senat stellte damals fest, dass der Verletzte mit seinem Wendevorgang zum Zwecke der Unfallregulierung nicht einer Verpflichtung aus einem Beschäftigungsverhältnis zum Nutzen seines Arbeitgebers nachgekommen sei. Auch das der Erfüllung von Aufklärungs- oder Schadensersatzinter-essen dienende Verhalten sei ebenso wie die Erfüllung der durch §§ 34 StVO und 142 StGB geregelten Pflichten wesentlich allein dem privaten Bereich des Beschäftigten zuzurechnen. Mit ihm würde ein eigenwirtschaftlicher Zweck des Fahrers und Wagenhalters verfolgt, nicht mehr die Fortsetzung des versicherten Weges bezweckt.

In beiden Fällen merkten die Gerichte an, dass eine derartige Unterbrechung des versicherten Weges nicht aus Gründen der Geringfügigkeit unbeachtlich sei. Denn eine geringfügige Unterbrechung läge jedenfalls beim Zurücklegen einer Wegstrecke von ca. 40 m zum Unfallgegner, einem Gespräch mit dem Unfallgegner und dem Warten auf die – zum Zwecke der Unfallaufnahme gerufene – Polizei nicht vor.

Mit diesen Entscheidungen zum Wegeversicherungsschutz in der DGUV wird wie-der einmal deutlich, dass der Versicherungsschutz maßgeblich von der Finalität des Verletzten gesteuert wird. Der Versicherungsschutz von Beschäftigten ist, wie auch im Unternehmen, stets abhängig von dem (objektiv erkennbaren) Zweck und Ziel der Handlung des Verletzten und dessen Orien-tierung am betrieblichen Interesse. Hätte es sich bei dem Fahrzeug des Arztes jedoch um ein Kraftfahrzeug im Eigentum des St. M.-Hospital gehandelt oder wäre der Arzt als Unternehmer auf einem Betriebsweg ge-wesen, müssten die Sicherungs- und Regu-lierungsbemühungen wohl als im Interesse des Betriebes interpretiert werden. Seine Witwe sowie die drei Kinder hätten dann Anspruch auf Hinterbliebenenrenten. Zum gleichen Ergebnis müsste man kommen, falls A. nachweislich in Folge des Versuches verunglückt wäre, seinem Unfallgegner Not-hilfe zu leisten. 

    Autor

    Reinhard Holtstraeter

    Rechtsanwalt

    Lorichsstraße 17

    22307 Hamburg

    mail@ra-holtstraeter.de

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