Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Führung und Gesundheit – Forschung und Praxis

Ist der Chef an allem schuld? Oder ist Gesundheit Privatsache?

In den letzten Jahren scheint es in Mode gekommen zu sein, die Verursachung betrieblicher Missstände in erster Linie den Führungskräften anzulasten. Eine aktuelle Ausgabe des Magazins „Der Spiegel“ (44, 2013) titelt dazu lapidar: „Problem: Chef“. Sind es tatsächlich die „Nieten in Nadel-streifen“, wie der Wirtschaftsjournalist Gün-ter Ogger bereits zu Beginn der 90er Jahre polemisch formulierte, die für sämtliche Aspekte von (De-)Motivation, Arbeits(un-) zufriedenheit bis hin zur steigenden Zahl psychischer Erkrankungen verantwortlich zu machen sind? Oder ist die in den Betrieben auch immer noch weit verbreitete Auffassung zutreffend, nach der Führungskräfte keinen Einfluss nehmen könnten auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiter/innen, da ausschließlich diese selbst dafür verantwortlich seien? Gesundheit und Krankheit – das ist Privatsache, wird landläufig assoziiert. „Soll ich denen die Zigarette ausdrücken, den Rücken massieren und die Rückstände selbst aufarbeiten?“ mag da so oder ähnlich in gegenläufiger Polemik zu hören sein. In diesem nicht immer ganz fair diskutierten Spannungsfeld bewegen wir uns im betrieblichen Kontext, wenn die Zusammenhänge von Führung und Gesundheit thematisiert werden. Zum angemessenen Umgang mit diesem Spannungsfeld ist es hilfreich, den Stand der Forschung im Themenfeld Führung und Gesundheit zu betrachten, und so auch zu einer Versach-lichung der Diskussion beizutragen.

Was ist Führung überhaupt?

Führung kann analysiert werden auf Unternehmensebene, in Gruppenprozessen, in der jeweiligen Dyade oder auch als Selbstführung. Im vorliegenden Artikel konzentrieren wir uns zunächst auf die Führungsprozesse innerhalb einer betrieblichen Einheit mit einer Führungskraft und einem oder mehreren Mitarbeitern, bevor wir den Fokus erweitern und aus Unternehmenssicht Instrumente und Prozesse betrachten, die das Thema „gesunde Führung“ im Betrieb voranbringen kann.

Zunächst verwundert es aufgrund der Komplexität des Themas nicht, dass es zu „Führung“ eine Fülle von Definitionen gibt. „Führung ist jede zielbezogene, inter-personelle Verhaltensbeeinflussung mit Hilfe von Kommunikationsprozessen“ schrieb Baumgarten bereits 1977. Neben der Ausrichtung auf Ziele schwingt in der folgenden Definition von Brodbeck et al. (2002) auch der Aspekt der Unterstützung durch das Führungshandeln mit: „Führung durch Menschen bedeutet, andere Personen zu beeinflussen, zu motivieren oder in die Lage zu versetzen, zum Erreichen kollektiver Ziele in Gruppen und Organisationen beizutragen“. Schließlich kennzeichnet Yuki (2006) Führung als „Prozess der Beeinflussung anderer, um mit ihnen ein Einverständnis darüber herzustellen, was zu tun ist, wie dies umgesetzt werden soll und wie geeignete Bedingungen geschaffen werden können, gemeinsame Ziele durch individuelle oder kollektive Anstrengungen zu erreichen“. Neben den Definitionen sind insbesondere die vielen verschiedenen Rollen und Rollenerwartungen praxisrelevant, die Führungskräften entgegengebracht und an denen sie letztlich oft auch gemessen werden. So sollen diese wahlweise oder auch gleichzeitig Vorgesetzter sein, Moderator, „Coach“, Motivationskünstler, erster Personalentwickler vor Ort, natürlich auch Vorbild, Fachexperte, Verantwortlicher für Sicherheit und Gesundheit, Innovationsförderer, Demografiemanager und natürlich nicht zuletzt auch ein engagierter Mitarbeiter aus Sicht ihres eigenen Vorgesetzten … Und spätestens dabei wird deutlich: Herzlich willkommen im „Sandwich“, wie die Position vieler Führungskräfte plakativ, aber nicht unzutreffend beschrieben wird. Demzufolge ist zunächst auch die eigene Gesundheit der Vorgesetzten ein relevanter Teil der Thematik (z. B. Ludborzs u. Portuné 2012), der nicht unter den Tisch fallen darf. So wurde gezeigt, dass die Work-Life-Balance trotz eigener hoher Belastbarkeit bei vielen Führungskräften gestört ist (Sonntag et al. 2012).

Sind Sie bereit für ein kleines Experiment?

Seit Ihrem Einstieg ins Berufsleben – und auch schon davor – haben Sie wahrscheinlich mehrere und möglicherweise auch recht unterschiedliche Führungspersönlichkeiten als Ihre Vorgesetzten kennengelernt. Wer war das im Einzelnen? Und welche Situationen und Interaktionen fallen Ihnen ein, wenn Sie sich in Ihrer Erinnerung ein wenig umsehen?

Beneidenswert, wenn in Ihrer Erinnerung ausschließlich positive Situationen erscheinen, in denen für Sie ein günstiger Zusammenhang zwischen Führung und Ge-sundheit, Motivation und Arbeitszufriedenheit deutlich wird. Aber wenn es Ihnen so geht, wie vielen, die sich auf dieses „Experiment“ einlassen, sind die Erinnerungen keinesfalls ausschließlich positiv, vielmehr eher durchwachsen oder zum Teil auch geprägt von weniger erfreulichen Situationen und Interaktionen. Aber deutlich wird bei diesem kleinen Experiment zumeist auch: Führungsverhalten ist nicht gleich Führungs-verhalten – und abhängig von der jeweiligen Ausprägung arbeitet jede/r von uns mehr oder weniger motiviert, engagiert, zufrieden und erfolgreich. Führungskräfte können auf verschiedene Art auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiter einwirken. Direk-ten Einfluss üben sie aus durch ihre Führungsaufgaben, z. B. wie Arbeitsaufträge ver-teilt oder die Arbeitsorganisation geregelt wird. Darüber hinaus sind es Verhaltensweisen und Umgangsformen, die das betriebliche Klima stark prägen, und schließlich ist die Vorbildfunktion, also z. B. der Umgang mit eigenen Belastungen und gesundheitsrelevanten Aspekten, von entscheidender Bedeutung.

Was ist „defizitäres“ und was günstiges Führungsverhalten?

Konzentration auf die Sachaufgaben, dabei Vernachlässigung der Personalaufgaben, autoritäres Führungsverhalten, zu geringe Anerkennung bzw. unsachliche Kritik, Vorenthalten von Informationen, unklare oder auch häufig wechselnde Zielvorgaben, nicht realistisch gesetzte Leistungsziele, die zu Zeitdruck und Überstunden führen, ausgeprägte Kontrolle bzw. Einmischen in Delegationsbereiche, zu geringe Einarbeitung neuer Mitarbeiter, mangelnde Weiterbildung und ungenügende Berücksichtigung der Berufsziele der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. So weit einige der Aspekte, mit denen Stadler und Spieß (2002) defizitäres Führungsverhalten beschreiben. Belege für Führungsverhalten als Stressor berichten Gregersen et al. (2011) bezüglich beleidigender Verhaltensweisen, Ungeduld und Konflikten. Negative Auswirkungen finden sich dabei im Hinblick auf die Arbeitszufriedenheit, Erschöpfungszustände und allgemeines Gesundheitsniveau der Mitarbeiter. Zusammenfassend lässt sich mit Stadler und Spieß (2002) sagen: Ein autoritärer, rein aufgabenorientierter Führungsstil wirkt belastend und fehlzeitenfördernd und muss damit als Stressor betrachtet werden. Hingegen wirkt ein Mitarbeiter- und mitwirkungsorientierter Führungsstil belastungs- und fehlzeitenreduzierend und ist damit als positive Ressource einzuschätzen. Welches Führungsverhalten hat einen gün-stigen Einfluss auf die Gesundheit?

Während in der Führungsforschung klas-sischerweise Zusammenhänge zwischen Führungsverhalten und Aspekten der Leistungsfähigkeit bzw. -bereitschaft überprüft worden sind, gibt es mittlerweile auch eine große Zahl von Studien, die Zusammenhänge zwischen Führung und Aspekten von Gesundheit und Krankheit erhellt haben. Dabei wirkt z. B. die Bereitschaft, den Mitarbeiter/innen Mitbestimmungs- und Beteiligungsmöglichkeiten einzuräumen, fehlzeitenreduzierend (Schmidt 1996), ge-nauso wie auch das Interesse für Änderungsvorschläge der Mitarbeiter bei gemein-samer Entscheidungsfindung (Kleinbeck u. Wegge 1996). Schließlich ist die gute Arbeit von Vorgesetzten der einzige hoch signifikante Faktor, für den eine Verbesserung der Arbeitsfähigkeit zwischen dem 51. und dem 62. Lebensjahr nachgewiesen wurde (Ilmarinen 2010).

In der sorgfältig erstellten Überblicksstudie von Gregersen, Kuhnert, Zimber und Nienhaus (2011) finden sich klar belegte Zusammenhänge zwischen Vorgesetztenverhalten und Anwesenheit bzw. Krankenstand, Arbeitszufriedenheit, Fluktuation, psychischer Gesundheit bzw. Befindensbeeinträchtigungen und Burnout wie auch Work Ability und Wohlbefinden. Diese Zusammenhänge sind moderat, aber signifikant und keineswegs überwiegend in negativer Wirkungsrichtung. Stattdessen ist die Anzahl der Studien, die auf positive Auswirkungen von Führungsverhalten hinweisen, größer, als die Anzahl derer, die das Führungsverhalten als Stressor bestätigen. Insbesondere vermittelt über die soziale Unterstützung durch die Führungskräfte, kann das Führungsverhalten bei entsprechender Ausprägung somit als sehr wichtige Ressource im Arbeitsleben gewertet werden.

Welche Führungsstile zeigen welche Wirkung?

Führungsverhalten kann die Gesundheit der Geführten also positiv oder negativ beeinflussen. Dazu liegen auch Erkenntnisse bezüglich unterschiedlicher Führungskonzepte vor. Welcher Führungsstil führt zu welcher Wirkung?

Gute Belege finden sich bezüglich des so genannten transformationalen Führungs-stils. Dabei führt der Vorgesetzte durch Vorbild und Vision, durch die Förderung von Kreativität und unabhängigem Denken sowie durch Unterstützung und Förderung, was sich signifikant positiv auf die Mitarbeitergesundheit auswirkt.

Positive Befunde sind auch zum transaktionalen Führungsstil zu berichten. Bei diesem wird die Leistungserbringung mit entsprechender Anerkennung bzw. bedingter Belohnung verknüpft. Schließlich werden seit längerer Zeit Effekte gefunden bezüglich der Aufgaben- und Mitarbeiterorientierung von Führungskräften.

Bei mitarbeiterorientierter Führung sind höhere Arbeitszufriedenheit, reduzierte Stresslevel, geringere gesundheitliche Beschwerden, weniger Burnout und weniger Fehlzeiten die positive Folge. Der aufgabenorientierte Führungsstil ist differenziert zu betrachten. Bei Ziel- und Wegvorgabe durch die Führungskraft sowie bei entsprechender Leistungskontrolle – und Unterstützung, falls nötig – konnte gezeigt werden, dass nur Letzteres als Ressource wirkt.

Schließlich bleibt festzuhalten, dass die richtige Balance zwischen Aufgaben- und Mitarbeiterorientierung stets als anspruchsvolles Ziel im Führungshandeln zu sehen ist (Ergebnisse zitiert nach Gregersen et al. 2011).

Interessante Forschungsergebnisse – aber was tun in der Praxis?

So weit einige Erkenntnisse aus der Führungsforschung, die signifikante Zusammenhänge zwischen Führungsverhalten und verschiedenen Variablen der Gesundheit belegen. Diese auch in den Betrieben bekannt zu machen und für die Thematik zu sensibilisieren ist ein wichtiges Aufgabenfeld für Betriebsärzte und Sicherheitsfachkräfte sowie natürlich auch für Unfall- und Krankenversicherungsträger. In der Praxis stößt man dann jedoch auf einige weit verbreitete Probleme.

Zum einen unterschätzen Führungskräfte, wie eingangs geschildert, sehr häufig ihren Einfluss auf Wohlbefinden und Gesundheit ihrer Mitarbeiter/innen. Darüber hinaus ist oftmals auch die Einstellung zur bzw. der Umgang mit der eigenen Gesundheit nicht immer vorbildlich im positiven Sinn. Ein „Vorbild“ entsteht jedoch trotzdem, da Mitarbeiter weniger am gesprochenen Wort als vielmehr an Verhaltensweisen und Gepflogenheiten ihrer Vorgesetzten ablesen, was die „eigentlichen“ Standards sind, was „wirklich“ gewünscht ist und was durch den Vorgesetzten eben vorgelebt wird.

Und schließlich ist entscheidend: Beileibe nicht alle Führungskräfte interessieren sich aus eigenem Antrieb für Mitarbeiter-orientierung und Beteiligungsmöglichkeiten ihrer Belegschaft. So kann man bei Semina-ren zur Fortbildung für Vorgesetzte bzw. bei Führungskräftetrainings häufig feststellen, dass es zu „positiven Selektionseffekten“ kommt – Teilnehmende sind dann häufig diejenigen Vorgesetzten, die dies „eigentlich nicht so sehr nötig hätten wie andere“, wie man in vielen Betrieben hören kann.

Damit sehen wir uns einem vergleichbaren Problem gegenübergestellt, wie es aus der betrieblichen Gesundheitsförderung schon seit längerem bekannt ist. In die Seminare zur gesunden Ernährung, in die Rückenschule, ins Stressbewältigungstraining gehen regelmäßig auch zumeist diejenigen, die ein Interesse für Gesundheitsthemen bereits „mitbringen“. Wie kommt man aber an die „übrigen“? Führungskräfte für Seminare „zwangsverpflichten“ – also „hinschicken“? Bei Führungskräfteseminaren kommt es dann nicht selten zu dem Phänomen, dass diese dann ihre Zeit dort einfach absitzen, an ihrem Führungsverhalten aber nichts verändern – ein weiterer Beleg dafür, dass rein verhaltenspräventive Ansätze nur dort wirken können, wo eine innere Bereitschaft vorhanden ist. Damit geht die Schere weiter auf: Einerseits gibt es an ihrer Entwicklung interessierte Vorgesetzte, die Seminare freiwillig besuchen und sich über Studien zu gesundheitsbezogenen Auswirkungen von Führungsstilen informieren. Diese sowieso schon motivierten und engagierten Führungspersonen wissen danach dann sogar noch die wissenschaftlichen Fachbegriffe, sind sich bewusst, dass ihr Vorgesetztenverhalten in Ordnung ist und z. B. durchaus als „transformationaler Führungsstil“ durchgehen könnte. Bei nicht wenigen der übrigen nicht so fortbildungsbegeisterten Kollegen hingegen scheint es recht häufig bereits an grundlegenden kommunikativen Fertigkeiten wie dem Aussprechen von Anerkennung und konstruktiver Kritik zu mangeln.

Es muss jedoch fairerweise angemerkt werden: Nicht selten bekommen Führungskräfte überhaupt keine einschlägigen Fortbildungsveranstaltungen angeboten – und je mehr sie eingezwängt sind in die Logik immer weiter verschärfter Zielvereinbarungen, umso weniger finden sie Zeit für ihre eigene Entwicklung. Darüber hinaus ist im Unternehmen oftmals gar nicht bekannt, welche Art von Führungsstil erwartet und als angemessen erachtet wird. Bereits in der grundlegenden Unternehmenspolitik und entsprechenden Zielen und Werten („Vision and Mission“) sollte klar zum Ausdruck kommen, dass neben Aspekten des wirtschaftlichen Erfolgs auch Gesundheit und Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten und damit eben auch entsprechende kooperative, beteiligungsorientierte Führungsinteraktionen gewünscht sind.

Daraus abgeleitet sollten dann Führungsgrundsätze, -leitlinien o. Ä. erarbeitet werden – am besten unter Beteiligung von Führungskräften unterschiedlicher Hierarchiestufen. Dadurch werden Führungsgrundsätze auf eine deutlich höhere Akzeptanz und Commitment treffen, als wenn sie ohne Beteiligung „vom grünen Tisch“ aus „übergestülpt“ werden. Die beteiligungsorientierte Erarbeitung sowie dann die verbindliche Kommunikation der Führungsgrundsätze verschafft Klarheit und Transparenz über die Erwartungen und erhöht so die Motivation der Führungsriege, sich entsprechend zu verhalten.

Sind Führungsgrundsätze also die Lösung der Praxis-schwierigkeiten?

Für manche Vorgesetzte ja, für andere leider nein. Und verbunden damit ist natürlich die Enttäuschung der Beschäftigten, wenn erkennbar wird, dass nicht alle Vorgesetzten die Ziele der Führungsleitlinien erreichen (wollen). Allerdings ist dieses Phänomen auch bei den Unternehmensleitlinien bekannt, die dann aus Sicht der Belegschaft ausgefeilte Internetpräsentationen oder teure Hochglanzpapier-Broschüren darstellen – und keinen Deut mehr. Die Konsequenz daraus sollte jedoch nicht sein, auf Unternehmenswerte oder Führungsgrundsätze zu verzichten. Trotz alltäglicher Verletzungen würden auch nur die wenigsten auf Gesetze und damit festgeschriebene Erfordernisse des allgemeinen Umgangs verzichten wollen. Das Entscheidende ist nicht der möglicherweise als unzureichend eingeschätzte Status quo, sondern die kontinuierliche Arbeit, das „am Ball bleiben“ im Rahmen der Organisations- und Führungskräfteentwicklung.

Dabei ist es hilfreich, wenn man sich ein weit verbreitetes Phänomen bewusst macht: den Unterschied zwischen der Selbsteinschätzung (Wie nehme ich mich selbst wahr?) und der Fremdeinschätzung (Wie sehen mich andere Menschen?) Diese Wahrnehmungen können teilweise sehr weit auseinander liegen. Deutliche Unterschiede zwischen der Einschätzung, wie der Vorgesetzte selbst sein Führungsverhalten sieht, und dem „Fremdbild“ (Wie sehen es seine Mitarbeiter?) sind nichts Ungewöhnliches und aus vielen Projekten zum Führungsfeedback bekannt.

Wie funktioniert Führungsfeedback?

Eine Rückmeldung, ein Feedback über die Wirkung eigener Verhaltensweisen zu erhalten, ist im sozialen Miteinander alltäglich, unumgänglich und von entscheidender Bedeutung. Dennoch sind betriebliche Interaktionen oft auch davon geprägt, dass es zu wenig oder gar keine Rückmeldungen gibt oder falls doch, dass diese nicht optimal gestaltet sind (z. B. Bungard 2005). Im betrieblichen Leben ist Feedback auch innerhalb einzelner Einheiten, z. B. bei Prozessen der Teamentwicklung äußerst wichtig (Comelli 2000). Führungskräften eine Rückmeldung zu verschaffen, wie ihr Führungsverhalten ankommt, ist, wenn überhaupt, zumeist eher in größeren Betrieben eingeführt. Ziel-vorstellung ist dabei zum einen, durch entsprechende Ergebnisse den Vorgaben der Führungsleitlinien zu entsprechen. Dar-über hinaus steckt für die Entwicklung der Führungskräfte ein großes Lernpotenzial im Nebeneinanderhalten der eigenen Selbsteinschätzung mit der Wahrnehmung durch die eigenen Mitarbeiter.

„Zeitnahe und umfassende Information“ – ein häufig anzutreffender Punkt in Führungsleitlinien. Wenn der Vorgesetzte überzeugt ist, zeitnah und umfassend zu informieren, wird er zunächst erstaunt sein zu lernen, dass seine Mitarbeiter dies möglicherweise anders sehen. Information und Kommunikation sind zweifellos betrieb-liche Dauerbrenner – Themenbereiche, die nahezu stets Optimierungspotenzial aufweisen. Doch damit nicht genug. Betrachtet man „Führungsstilanalysen“ (Wahl 2002) findet man sehr weit reichende Dimensio-nen, anhand derer das Führungsverhalten eingeschätzt werden kann: soziale Kompetenz, Denk- und Planungskompetenz, intra-personale Kompetenz, individuelle Leistungsaktivität, Führungsaktivität. Hier liegt nun ein Fallstrick, über den nicht wenige Betriebe bei der an sich sehr empfehlenswerten Methode des Führungsfeedbacks gestolpert sind. Je mehr bei einem solchen Verfahren der Eindruck entsteht, es gehe um die Suche nach den „Führungsnieten“, desto mehr kann ein solches Beurteilungssystem zum „Verurteilungssystem“ degenerieren. Insofern ist es keineswegs nur psychologische Verbalakrobatik, ob von „Defiziten“ oder von „Entwicklungsfeldern“ gesprochen wird, ob Top-Manager gekürt und damit einhergehend die übrigen abqualifiziert werden oder ob Feedback als gemeinsames Lernpotenzial gesehen und verwendet wird. Ein wichtiger Erfolgsfaktor bei Verfahren zum Führungsfeedback ist deswegen, klar zu kommunizieren – und dies auch so zu meinen und umzusetzen: Es geht nicht um die Suche nach „Schuldigen“, sondern um Rückmeldungen im Sinne eines echten Feedbacks, um Lernen und Entwicklung zu ermöglichen und zu fördern, um zu konkretisieren, wodurch Wahrnehmungsunter-schiede zustande kommen und daraus gemeinsam getragene Konsequenzen für das Führungsverhalten bzw. den gemeinsamen Umgang miteinander in einem Team oder einer Abteilung zu ermöglichen. Eine Wiederholung in regelmäßigen Zeitabständen – z. B. alle zwei Jahre – lässt Fortschritte erkennen und lebt den Gedanken der kontinuierlichen Verbesserung.

In diesem Sinne ist die gesamte Vielfalt der potenziell vorhandenen Maßnahmen zur Führungskräfteentwicklung zu sehen: Führungsfortbildung, Führungskräftetraining, Führungsfeedback oder auch kollegiale Supervision oder Coaching stellen ge-eignete Entwicklungs-Instrumente dar – je-doch nur dann, wenn dabei tatsächlich der Entwicklungsgedanke im Mittelpunkt steht.

Wie können Führungskräfte die Mitarbeiterbeteiligung fördern?

Eine besondere Herausforderung für Führungskräfte ist es, immer wieder das jeweils situationsangemessen richtige Verhältnis von Mitarbeiter- und Aufgabenorientierung zu finden. Den eigenen Beschäftigten wertschätzend gegenüber zu treten, sie nach ihren Einschätzungen zu fragen und diese dann auch ernst zu nehmen, ist eine wichtige Voraussetzung für ein gutes Miteinander. Dazu ist es hilfreich, dem Team auch strukturierte Beteiligungsmöglichkeiten zu verschaffen. Eine bewährte Methodik zur Förderung der Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist das vom DGUV-Sachgebiet „Psyche und Gesundheit in der Arbeitswelt“ entwickelte „Ideentreffen“ (Berger et al. 2010; Heinen et al. 2012). Diese zielen darauf ab, arbeitsbezogene Themen zu bearbeiten, Probleme zu analysieren und Lösungsideen zu entwickeln. Die Publikation zur Methodik des „Ideentreffens“ kann von der Internetseite der DGUV kostenfrei heruntergeladen wer-den. Eine überarbeitete Neuauflage, die auch zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung Anwendung finden kann, steht nun zwischenzeitlich zur Verfügung (s. „Weitere Infos“).

Die Rolle der Führungskräfte im betrieblichen Gesundheits-management

Gesundheit im Betrieb ist letzten Endes natürlich mehr als ein reines „Führungsthema“, wie die Forschungsergebnisse deutlich gemacht haben. Führung ist von entscheidender Bedeutung, aber auch wiederum abhängig von der jeweiligen Unternehmenskultur (z. B. Ulich u. Wülser 2009). Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit sollten in einem systematischen betrieblichen Gesundheitsmanagement ihre entsprechenden in der DGUV Vorschrift 2 definierten Themenfelder in den Unternehmen verstärkt in Angriff nehmen. Hier gehört auch das Themenfeld der gesunden Führung zweifellos dazu.

Für die besonderen Herausforderungen der Führungskräfte-Entwicklung, insbesondere in Bezug auf Führungs-Feedback und damit einhergehende Implikationen, sollte darüber hinaus arbeits-, betriebs- und organisationspsychologische Kompetenz zur Verfügung stehen.

Führungskräfte können und sollten als wichtige Promotoren im Themenfeld „Gesundheit im Betrieb“ auch das betriebliche Gesundheitsmanagement insgesamt vor-anbringen. Sie stellen jedoch auch selbst eine wichtige Zielgruppe des Gesundheitsmanagements dar. Ihre eigene Arbeitsbelastung ist im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung selbstverständlich auch mit zu berücksichtigen. Führungskräfte müssen Zeit haben für Führung – eingeengt durch immer weiter verschärfte Zielvorgaben „von oben“ werden sie sich schwer tun, ihr Potenzial im Hinblick auf ihre eigene Gesundheit sowie auch auf gesundheitsgerechte Führung langfristig positiv entwickeln zu können. Im Umgang mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sollten Führungskräfte einen respektvollen Umgang, Anerkennung, Wertschätzung und konstruktive Kritik „leben“ – auch sie selbst haben jedoch genauso einen Anspruch darauf, entsprechend behandelt zu werden – und zwar von „oben“ und von „unten“ – also von beiden Seiten des „Sandwichs“ aus.

Eine vertiefende Publikation zum The-menfeld Führung und Gesundheit ist durch das DGUV-Sachgebiet „Psyche und Gesundheit in der Arbeitswelt“ (PuGidA) erarbeitet worden. Das daraus resultierende Fachkonzept „Führung und psychische Gesundheit“ enthält weiterführende Informationen und steht aktuell auf der Seite http://www.dguv.de (Webcode d139911) zur Verfügung und kann von dort kostenfrei heruntergeladen werden (s. „Weitere Infos“). 

Literatur

Bungard W: Feedback in Organisationen: Stellenwert, Instrumente und Erfolgsfaktoren. Mannheimer Beiträge zur Wirtschafts- und Organisations-psychologie 2005; 20: 3–13. Vorabdruck in Jöns I, Bungard W (Hrsg.): Feedbackinstrumente und Prozesse in Unternehmen. Wiesbaden: Gabler, 2005.

Comelli G: Feedback bei Teamentwicklung (TE). Wirtschaftspsychologie 2000; 7: 28–42.

Gregersen S, Kuhnert S, Zimber A, Nienhaus A: Führungsverhalten und Gesundheit – zum Stand der Forschung. Gesundheitswesen 2011; 73: 3–12.

Heinen E, Ludborzs B, Rohn S, Portuné R: Von der betriebspsychologischen Basisqualifikation bis zur Ideenwerkstatt in der Praxis – für gute Lösungen, gegen Stress. Heidelberg, Kröning: Asanger Verlag, 2012.

Ludborzs B, Portuné R: Rollenkonflikt des mittleren Managements: Den Spagat meistern. Interview in DGUV faktor arbeitsschutz 2012; 1: 14–15.

Sonntag K, Becker PR, Nohe C, Spellenberg U: Die Führungskraft als Vorbild: Die Vereinbarkeit von Arbeits-und Privatleben ist eine Führungsaufgabe. Führung und Organisation 2012; 81: 372–378.

Stadler P, Spieß E: Psychosoziale Gefährdung am Arbeitsplatz. Optimierung der Beanspruchung durch die Entwicklung von Gestaltungskriterien bezüglich Führungsverhalten und soziale Unterstützung am Arbeitsplatz. (Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Forschungsbericht, Fb 977). Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW, 2003.

Ulich E, Wülser M: Gesundheitsmanagement in Unternehmen. Arbeitspsychologische Perspektiven. 3. Auflage. Wiesbaden: Gabler, 2009.

Wahl A: Führungsstilanalyse – Ein Feedback-In-strument zur Motivation und Effizienzsteigerung. Wirtschaftspsychologie 2002; 9: 28–32.

    Weitere Infos

    Berger S, Portuné R, Rohn S, Wagner G, Willingstorfer B: So geht´s mit Ideen-Treffen. DGUV Information 206–007

    http://publikationen.dguv.de/dguv/pdf/10002/206-007.pdf

    Gerardi C, Gregersen S, Merboth H, Nordbrock C, Pavlovsky B (2013). Fachkonzept Führung und psychische Gesundheit. DGUV-Sachgebiet „Psyche und Gesundheit in der Arbeitswelt“

    http://www.dguv.de/medien/inhalt/praevention/fachbereiche/fb-gib/documents/broschuere_fuehrung.pdf

    Autor

    Dipl.-Psych. Roland Portuné

    Fachbereich Arbeitspsychologie

    Kompetenz-Center Wissen-schaftliche Fachreferate

    Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie

    Kurfürsten-Anlage 62

    69115 Heidelberg

    roland.portune@bgrci.de

    Jetzt weiterlesen und profitieren.

    + ASU E-Paper-Ausgabe – jeden Monat neu
    + Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
    + Exklusive Webinare zum Vorzugspreis

    Premium Mitgliedschaft

    2 Monate kostenlos testen

    Tags