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Neue Ergebnisse aus der Forschung und deren Bedeutung für die arbeitsmedizinische Praxis

Nanopartikel

Bei der Bewertung im Arbeitsschutz stehen bei Tätigkeiten mit Nano-materialien vor allem Belastungen gegenüber eingeatmeten Nanostäuben im Vordergrund. Bei der Definition der Nanoskaligkeit wird von Primärpartikel-durchmessern zwischen 1 und 100 nm ausgegangen. Generell sind unlösliche feinere Stäube, die bis in die Lungenbläschen gelangen, von besonderer Bedeutung. Diese Stäube werden als alveolengängiger Staubanteil, kurz A-Staub, bezeichnet. Häufig kommen unlösliche Stäube vor, die keine giftigen Inhaltsstoffe haben oder solche frei-setzen. Diese Stäube wurden als inerte Stäube bezeichnet. Dabei muss man faserige Stäube von nichtfaserigen Stäuben unterscheiden, weil sie unterschiedlich wirken. Aus gesund-heitlicher Sicht sind diese Stäube problema-tisch, weil sie sich nicht auflösen und nur sehr langsam aus den Lungenbläschen ent-fernt werden können. Das führt dazu, dass sie sich anreichern und zu einer andauern-den Entzündung führen können. In der Folge können Atemwegserkrankungen und zum Teil sogar Lungenkrebs entstehen. Alveolen-gängige biobeständige faserige Stäube kön-nen zudem aus der Lunge herauswandern und wie Asbest zudem Tumoren in Brust- und Bauchfell erzeugen. Die Erkenntnisse der vergangenen Jahre zeigen zunehmend, dass "inerte" alveolengängige biobeständige Nanostäube ihre Wirkungen über die gleichen Prinzipien vermitteln wie herkömm-liche alveolengängige Feinstäube.

Nach aktueller Terminologie wird eine wichtige Gruppe nichtfaseriger Stäube als granuläre biobeständige Stäube mit geringer Toxizität (GBS) bezeichnet. Diese sind im folgenden Gegenstand dieses Artikels. Ein prominenter Vertreter eines nanoskaligen GBS ist hier zum Beispiel Industrieruß, der Reifen von Kraftfahrzeugen ihre charakteristische schwarze Farbe verleiht. Ein weiteres bekanntes Beispiel ist der Stoff Titandioxid, der sowohl in nanoskaliger als auch in mikroskaliger Form vermarktet wird. Bei nanoskaligen GBS wurde lange Jahre vermutet, dass sie in Bezug auf ihre Gesundheitsgefahren grundsätzlich anders zu bewerten seien als ihre mikroskaligen Pendants. Dies bezog sich zum einen darauf, dass es Erkenntnisse aus tierexperimentellen Untersuchungen gab, die zeigten, dass nanoska-lige GBS-Stäube bei gleicher Massenkonzentration eine stärkere Lungenentzündung hervorrufen. Dieser Unterschied kann bei der Grenzwertsetzung mittlerweile berücksichtigt werden, wie weiter unten beschrieben wird. Auch wurde vermutet, dass sich nanoskalige Partikel besser als ihre mikroskaligen Pendants im Körper verteilen und sich in Organen anreichern könnten. Ein relevanter Unterschied in der Aufnahme in den Körper hat sich bisher allerdings nicht bestätigen lassen.

Nanopartikel sind generell als Partikel-anhäufungen agglomeriert oder aggregiert, sie kommen quasi nicht als Einzelpartikel vor. Sie zerfallen in der Lunge auch nicht in ihre Einzelbestandteile, die Primärpartikel. Dies wurde auch in einem von der BAuA veranlassten Forschungsprojekt gezeigt (s. „Weitere Infos“). Weiter bestand der Verdacht, dass die häufiger vorkommende zu technologischen Zwecken vorgenommene Oberflächenbeschichtung der Partikel deren Wirkung entscheidend beeinflusst. Zu diesem Problem hat die BAuA ein weiteres Projekt am Fraunhofer ITEM durchführen lassen, dessen Ergebnisse seit kurzem vorliegen (s. „Weitere Infos“).

Dazu wurde Titandioxid in drei verschie-denen Modifikationen untersucht. So unter-schieden sich die drei Materialien in ihrer Kristallstruktur (zweimal Rutil; einmal 80 % Anatas/20 % Rutil) und ihren Oberflächen-modifikationen. Ein Material war mit Silikon beschichtet und daher hydrophob, eines mit Glyzerin behandelt und daher hydrophil. Die unbehandelte Variante war ebenfalls als hydrophil anzusehen. Die Größe der Primärpartikel der zu prüfenden Modifikationen waren mit im Mittel 20–22 nm praktisch identisch. Diese Materialien wurden vergleichend mittels subakuter Inhalationsversuche (28 Tage) an Ratten mit drei Expositionskonzentrationen hinsichtlich ihrer Wirkungen geprüft. Nach der Exposition war eine bis zu 3-monatige expositionsfreie Nachbeobachtungsphase vorgesehen. Es wurden Sektionen am Ende der Expositionsphase, 6 Wochen später sowie am Ende der 3-monatigen Nachbeobachtungsphase vorgenommen. Es zeigten sich bei der Wirkstärke der Entzündung keine größeren Unterschiede bei den verschiedenen Materialien.

Die Ergebnisse dieser Studie weisen da-mit darauf hin, dass die Oberflächenmodifikation eines Nanomaterials im Vergleich zum nichtmodifizierten Material nicht gene-rell einen höheren Einfluss auf die Toxizität des Materials nach Einatmen hat. Daraus ergeben sich Hinweise, dass in der Bewertung von Gesundheitsgefahren von Nano-materialien nicht jedes modifizierte Material einer gesonderten Gefährdungsbeurteilung unterzogen werden müsste. Neben der besseren Einordnung der gesundheitlichen Relevanz der Oberflächenmodifikation von Nanomaterialien stellte dies eine Erleichte-rung für die Arbeitsschutzpraxis dar. Weiter zeigte sich, dass die untersuchten inhalier-ten Materialien nur in sehr geringem Aus-maß in Lungengewebszellen aufgenommen wurden. Dies zeigt auf, dass Nanomaterialien nicht weitgehend ungehindert Zellmembranen passieren, was häufiger postuliert wurde. Dieser Befund liefert auch für den Arbeitsschutz weitere Entwarnung in Bezug auf die Vermutung, dass Nanomaterialien eine besonders hohe Gesundheitsgefahr darstellen. Insgesamt kann mittler-weile davon ausgegangen werden, dass nanoskalige GBS hinsichtlich ihres Wirkprinzips der Lungentoxizität mit mikroskaligen GBS verglichen werden können. Die höhere Entzündungswirkstärke der nanoskaligen GBS basiert darauf, dass die Partikelagglomerate aus nanoskaligen Primärpartikeln eine geringere Dichte besitzen als ihre mikroskaligen Pendants. Mit anderen Worten: Sie besitzen einen höheren Leerraumanteil in ihren Agglomeraten/Aggregaten. Unlösliche Partikel werden aus den Alveolen über Aufnahme in und Abtransport durch Makrophagen entfernt. Bei höherer Beladung reagieren die Makrophagen mit externalisierter Entzündung, die chronifiziert das Lungengewebe schädigt. Bei Beladung mit nanoskaligen GBS erlangen die Makrophagen die kritische Beladungshöhe aufgrund ihrer geringeren Agglomerat-/Aggregatdichte bei Bezug auf die Massenkonzentration eher. Damit wird die höhere Entzündungswirkstärke erklärt. Grob kann man davon ausgehen, dass die Entzündungswirkstärke von nanoskaligen GBS etwa um den Faktor 5 stärker als von mikroskaligen GBS ist. Dies würde bedeuten, dass der Luftgrenzwert für A-Staub bei einer Exposition mit nanoskaligen GBS um den Faktor 5 niedriger sein müsste als bei reiner Exposition gegen mikroskalige GBS. Der derzeitige A-Staub-Grenzwert wurde vor kurzem auf 1,25 mg/m³ bei Bezug auf eine für arbeitsplatztypische Stäube Dichte von 2,5 g/cm³ abgesenkt und gilt nur für mikroskalige GBS, nanoskaliger Staub wurde ausgenommen (TRGS 900, s. „Weitere Infos“). Dies lag an der beschriebenen höheren Entzündungswirkstärke und der daraus resultierenden Vermutung, ob nanoskalige GBS nicht grundsätzlich anders wirken als mikroskalige GBS. Dies ist nun ausgeräumt und es besteht die Möglichkeit, ja sogar die Notwendigkeit, den GBS-A-Staub-Grenzwert auf nanoskalige GBS zu erweitern.

Nun sollte man in der Praxis allerdings nicht davon ausgehen, dass bei Tätigkeiten mit nanoskaligen GBS der A-Staub komplett aus nanoskaligem Material besteht. Das liegt zum einen daran, dass man bei nanoskaligen GBS nicht generell eine starke Verstaubung erwarten muss. Weiter wird immer parallel ein vermutlich relativ hoher Massenanteil an mikroskaligem A-Staub vorliegen. Dies resultiert daraus, dass bei allen Tätigkeiten eine gewisse Menge an (Hintergrund-)Staub „aufgewirbelt“ wird. Aufgrund der sehr viel größeren Primär-partikel hat der mikroskalige Staub in Bezug auf den gesamten A-Staub in der Luft rasch einen hohen Massenanteil. Leider liegen für arbeitsplatztypische Stäube dazu bisher keine quantitativ belastbaren Daten vor. Aus pragmatischer und dennoch vermutlich konservativer Sicht könnte man davon ausgehen, dass beide Staubvarianten bei Tätigkeiten mit nanoskaligen GBS zu je 50 % als Massenkonzentration im A-Staub vorliegen. Da man vom gleichen Wirkprinzip ausgeht, müsste dann der Luftwertgrenzwert dieses Mischstaubs aus dem Mittelwert der beiden Luftgrenzwerte für nano- und mikroskalige GBS abgeleitet werden. Dieser Wert läge dann etwa einen Faktor 2 unterhalb des derzeit geltenden A-Staub-Werts für mikroskalige GBS. Diese Betrachtung kann als konservativ angesehen werden, da die bisherigen Luftmessungen von Nanopartikeln nur auf vergleichsweise geringe Massenkonzentrationen hinweisen, wenn man solche Werte aus den üblichen Messungen zur Partikelanzahlkonzentration abschätzt. Ein quasi identischer Wert für den A-Staub, der nanoskalige GBS einbezieht, wurde in der BekGS 527 als Beurteilungsmaßstab für nanoskalige GBS bereits vorgeschlagen (s. „Weitere Infos“) und kann auch aufgrund der obigen Überlegungen aus Sicht des Gesundheitsschutzes als gerechtfertigt angesehen werden.

Fazit

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahre verdichten sich, dass in der beruflichen Verwendung eines großen Teils marktrelevanter Nanopartikel hauptsächlich das Einatmen von alveolengängigen Feinstäuben bei der gesundheitlichen Bewertung im Vordergrund steht. Es gibt bisher keine Hinweise darauf, dass Nanopartikel grundsätzlich andere Wirkungen haben als herkömmliche Feinstäube. Dies scheint auch für oberflächenmodifizierte Nano-partikel zu gelten. Zwar besitzen inhalierte Nanopartikel, die zu den granulären biobeständigen Stäuben mit geringer Toxizität (GBS) zuzuordnen sind, bei gleicher Massenkonzentration eine etwas höhere Entzündungswirkstärke. Allerdings tragen die Nanostäube auch an „Nano“-Arbeitsplätzen von der Masse her vermutlich nur wenig zum Gesamtfeinstaub bei. Zu erreichende Zielwerte bei der Staubbelastung sollten daher etwas niedriger liegen. Generell gilt, die Entstehung von Feinstäuben so gering wie möglich zu halten. Insgesamt ergibt sich für die arbeitsmedizinische Praxis keine besonderer genereller Handlungsbedarf für Nanostäube, der über das, was für herkömmliche Feinstäube zu berücksichtigen ist, hinausgeht. 

    Weitere Infos

    Dispersion und Retention von Ultrafeinstaub/Nanopartikeln in der Lunge

    http://www.baua.de/de/Forschung/Forschungsprojekte/f2133.html

    Toxische Wirkungen verschiedener Modifikationen eines Nano-partikels nach Inhalation

    http://www.baua.de/de/Forschung/Forschungsprojekte/f2246.html

    Technische Regel für Gefahrstoffe 900

    http://www.baua.de/de/Themen-von-A-Z/Gefahrstoffe/TRGS/TRGS-900.html

    Bekanntmachung zu Gefahrstoffen 527

    http://www.baua.de/de/Themen-von-A-Z/Gefahrstoffe/TRGS/Bekanntmachung-527.html

    Autor

    Prof. Dr. rer. nat. T. Gebel

    Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)

    Fachbereich 4 Gefahrstoffe und biologische Arbeitsstoffe

    Friedrich-Henkel-Weg 1–25

    44149 Dortmund

    gebel.thomas@baua.bund.de

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