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– Folge 6 –

Disability Management – Modernes Instrument zur betrieblichen Wiedereingliederung

Wissenswertes zum Schwerbehindertenrecht

Seit dem 01. Juli 2001 ist das Schwerbehindertenrecht im zweiten Teil des SGB IX verankert. In diesem Gesetzbuch wurden das Schwerbehindertenrecht und das Rehabilitationsrecht zusammengefasst. Zentraler Gedanke ist das Recht auf Teilhabe.

Das SGB IX stellt den Menschen mit seiner Behinderung in den Mittelpunkt und soll die Integration, Teilhabe und Selbstbestimmung von behinderten Menschen fördern. Der Weg in den Arbeitsmarkt soll erleichtert werden sowie der Erhalt des Arbeitsplatzes. Nach SGB XI § 2 (1) sind „Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben der Gemeinschaft beeinträchtigt ist“. Nach § 2 (2) sind Menschen schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt. Nach § 2 (3) sind behinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30 schwerbehinderten Menschen gleichgestellt, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).

Stellen, auf denen Menschen weniger als 18 Stunden pro Woche arbeiten, gelten nicht als Arbeitsplätze. Die Gleichstellung nimmt die Agentur für Arbeit, nicht das Ver-sorgungsamt vor. Die Versorgungsverwaltung liegt in der Hand der Länder, dazu gehören unter anderem die Versorgungsämter oder auch Landesversorgungsämter, in Baden-Württemberg die Landkreise, in Nordrhein-Westfalen die Kommunen.

Schwere der gesundheitlichen Beeinträchtigungen

Für die Begutachtung und Einschätzung der Kriegsbeschädigten wurden nach Verabschiedung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) im Oktober 1950 „Anhaltspunkte für die ärztliche Begutachtung im Versorgungswesen“ herausgegeben. Diese gaben bis 2008 den verbindlichen Rahmen der gutachterlichen Einschätzung nach dem Versorgungsrecht und – seit 1974 – nach dem Schwerbehindertenrecht vor. Seit Januar 2009 sind die Anhaltspunkte von den „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“ abgelöst worden, die seitdem in der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin- Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 enthalten sind.

Der Schweregrad einer Schädigung wurde bis zum 1. Januar 2008 als Minderung der Erwerbsfähigkeit MdE in % bezeichnet. Seitdem gilt nach dem SGB IX der Begriff „Grad der Behinderung“ GdB und nach dem Versorgungsrecht die Bezeichnung „Grad der Schädigung“ GdS. Die Einstufung wird entsprechend SGB IX nach gleichen Grundsätzen vorgenommen. Der GdB sagt wenig über die konkrete Leistungsfähigkeit aus. Es handelt sich um eine Art Gliedertaxe, die weniger die Funktionsbeeinträchtigung als den ideellen abstrakten Verlust einer Gliedmaße bewertet und einen Ausgleich für den Verlust an körperlicher Integrität bieten soll.

Soziales Entschädigungsrecht

Das soziale Entschädigungsrecht regelt die Versorgung bei Gesundheitsschäden, für de-ren Folgen die Gemeinschaft in Abgeltung eines besonderen Opfers oder aus anderen Gründen nach versorgungsrechtlichen Grundsätzen einzustehen hat. Personen mit Versorgungsanspruch werden in den folgenden Gesetzen definiert:

  • Opferentschädigungsgesetz,
  • Soldatenversorgungsgesetz,
  • Zivildienstgesetz,
  • Häftlingshilfegesetz sowie
  • Infektionsschutzgesetz (darunter fallen alle öffentlich empfohlenen Impfungen der Ständigen Impfkommission).

Leistungsvoraussetzung ist das Vorliegen einer Kausalbeziehung zwischen geschütztem Ereignis und dem eingetretenen Gesundheitsschaden, z. B. Verlust einer Gliedmaße.

Versorgung wird nach BVG nur auf Antrag gewährt, z. B. einkommensunabhängig eine Grundrente, eine Schwerstbeschädigtenzulage, eine Pflegezulage oder eine Kleiderverschleißpauschale sowie einkommensabhängige Leistungen wie eine Ausgleichsrente, einen Ehegattenzuschlag oder ein Kinderzuschlag.

Schwerbehindertenrecht

Der GdB soll die gesundheitlichen Funk-tionsbeeinträchtigungen im Berufs- und Alltagsleben ausdrücken und körperliche und geistige Beeinträchtigungen im allgemeinen Erwerbsleben angemessen berücksichtigen sowie seelische Begleiterscheinungen und außergewöhnliche Schmerzen zusätzlich bewerten. Der GdB ist ein Rechtsbegriff, der von der Verwaltung und den Rechtsgerichten festgestellt wird, für die Einschätzung zugrunde gelegt werden ärztliche Gutach-ten. Er wird auf einer Skala von mindestens 10 bis höchstens 100 festgestellt, und zwar nach Zehnergraden abgestuft. Liegen mehrere Beeinträchtigungen vor, wird die Gesamtauswirkung beurteilt und ein Gesamt-GdB ermittelt (der jedoch nicht der Summe der Behinderungsgrade ent-spricht).

Paradigmenwechsel

Mit der Verabschiedung des SGB IX im Jahr 2001 erfolgte ein Paradigmenwechsel hin zu mehr Eigenverantwortung und Selbstbestimmung. Die Definition für Behinde-rung lautet von jetzt an: „Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben der Gemeinschaft beeinträchtigt ist“. Die Beurteilung wird gemäß des biopsychosozialen Modells der ICF (= Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit) vorgenommen. Nicht mehr die Orientierung an Defiziten ist wegweisend, sondern der Blick auf die Ressourcen. Eine Behinderung ist fortan jede Beeinträchtigung der funktionalen Gesundheit einer Person. Die Wechselwirkungen zwischen Schädigung, Beeinträchtigung der Aktivitäten und der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben können mit Hilfe der Kontextfaktoren umfassend und differenziert beschrieben werden.

Es gilt das Finalitätsprinzip, d. h. allein die Tatsache der Behinderung und ihr Ausmaß sind Voraussetzung für die Hilfen der Gemeinschaft. Die Leistungen werden zusätzlich zum Einkommen oder einer Rente gewährt.

Seit 1976 konnten die Versorgungsämter gesundheitliche Merkmale in den Ausweis Behinderter eintragen, die die Inanspruchnahme von Vergünstigungen ermöglichten. 1986 wurde hierfür der Begriff „Nachteilausgleich“ geprägt.

Merkzeichen sind:

  • G – erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr
  • GL – Gehörlosigkeit
  • B – Berechtigung für eine ständige Begleitung bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln
  • Hilflosigkeit, d. h. dass bei einer von regelmäßig erforderlichen Verrichtungen zur Sicherung der persönlichen Existenz fremde Hilfe erforderlich ist (wie z. B. An- und Auskleiden)
  • aG – außergewöhnliche Gehbehinde-rung
  • BL – Blindheit
  • RF – Befreiung von der Rundfunkgebühr

Weitere Nachteilsausgleiche, die nicht in den Schwerbehindertenausweis eingetragen werden, sind:

  • Kündigungsschutz (SGB IX §§ 85–92): Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses bedarf der Zustimmung des Integrationsamtes.
  • Zusatzurlaub: Schwerbehinderte Menschen haben einen Anspruch auf einen bezahlten Zusatzurlaub von fünf Tagen im Jahr.
  • Altersrente: nach einer Wartezeit von 35 Jahren können Schwerbehinderte eine vorzeitige Rente ab dem 63. Lebensjahr (schrittweise Anhebung auf das 65. Lebensjahr) mit Abschlägen in Anspruch nehmen.
  • Steuerfreibetrag: in Abhängigkeit vom GdB können Pauschbeträge, Haushaltsfreibeträge und KFZ- Steuerermäßigungen geltend gemacht werden.

    Für die Autorinnen

    Dr. med. Jutta Kindel

    Fachärztin Innere Medizin/

    Arbeitsmedizin

    Berner Weg 16b

    22393 Hamburg

    jutta.kindel@gmx.de

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