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Nanotechnologien im Blick des Arbeitsschutzes

Einleitung

Vieles ist geschehen, seit der Physik-Nobelpreisträger Richard Feynman beim Jahrestreffen der American Physical Society am CALTEC im Dezember 1959 eine damals noch phantastisch klingende Zukunftsvision aufspannte. Unter dem Titel "There‘s Plenty of Room at the Bottom" leitete er durch rein theoretische Betrachtungen eine Reihe von Eigenschaften und Anwendungen her, die verfügbar würden, wenn man Materie auf atomarer Basis direkt manipulieren könnte (Feynman 1960). Er sagte ferner voraus, dass man sich im Jahr 2000 fragen würde, warum man dies nicht schon viel eher getan habe. Feynman sollte Recht behalten. In den Forschungslabors wurde nicht nur entdeckt, in welch großem Maß die Natur Nanotechnologien zu vielfältigen Zwecken verwendet, sondern es konnte auch eine zunehmend größere Zahl von Nanomaterialien neu hergestellt werden.

Viele von diesen erblicken das Licht der Welt als Laborkuriositäten wie die Fullerene (Chemienobelpreis 1996) oder das Graphen (Physiknobelpreis 2010). Dabei entwickelte Verfahren und Anwendungen wie z. B. das Rastertunnelmikroskop oder die Beobachtung der Reaktionen einzelner Moleküle auf Oberflächen waren weitere Nobelpreise wert.

Es handelt sich bei den Nanotechnologien dabei um eine Vielzahl verschiedener Verfahren und Techniken, daher ist der Plural eher angemessen. Der Einfachheit halber wird zumeist – auch im Folgenden in dieser Publikation – von der Nanotechnologie im Singular gesprochen. Charakteristisch für diese Querschnittstechnologie ist, dass meist mehrere Disziplinen in eine Problemstellung involviert sind. Es sei erwähnt, dass es auch den Phänotyp „Nanomaterial“ nicht gibt, vielmehr verbirgt sich unter den Begriff Nanomaterialien eine – zumindest theoretisch – ungeheuere Vielzahl von verschiedenen Materialien. Hierdurch steht ein reichhaltiger Baukasten für Forschung und Entwicklung zur Verfügung, diese Vielfalt erschwert allerdings gleichzeitig die Beurteilung von Risiken, da keine einfache Kategoriebildung „Nanomaterial“ (oft wird sehr vereinfachend und den Horizont ungewollt einengend der Begriff „Nanopartikel“ praktisch synonym gebraucht) möglich ist.

Seit den 1990er Jahren sind immer mehr potenzielle und auch marktreife neuartige Anwendungen von Nanotechnologien zu verzeichnen. Die Zahl der Patentanmeldungen ist in diesen zwei Dekaden exponentiell gestiegen. Die Nanotechnologie wird als eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts angesehen, auch wenn sich der Enthusiasmus der letzten Jahre gelegt hat und nun nüchternere Überlegungen ange-stellt werden. Aus der prophezeiten Revolution ist ein evolutionärer Prozess geworden, der die Zeit lässt, über Nutzen und Risiken nicht nur mit der Fachwelt, sondern mit der gesamten Gesellschaft, zu diskutieren. Eine kaum überschaubare Flut von Publikationen beschäftigt sich jährlich mit diesem Themenfeld – allein im Jahr 2008 wurden etwa 40 000 wissenschaftliche Arbeiten auf diesem Sektor publiziert –, in der überwiegenden Anzahl allerdings jedoch mit den chemischen, physikalischen und materialwissenschaftlichen Eigenschaften und damit verbundenen Anwendungen, leider nur ein geringer Teil mit Fragen von Sicherheit und Gesundheitsschutz in den Nanotechnologien. Europa ist derzeit im internationalen Umfeld in der Nanotechnologie sehr gut aufgestellt.

Bemerkenswert ist eine gewisse Diskrepanz zwischen den Möglichkeiten, die die Ergebnisse in der Forschung aufzeigen, und den Produkten, die den Weg auf den Markt finden. Während in den Laboratorien bereits im Experiment ungewöhnliche Effekte gezeigt werden können, ist doch die überwiegende Anzahl der Produkte auf dem Markt eher konventioneller Art, wenn auch mit teilweise erheblich verbesserten Eigenschaften. Dies zeigt sich auch an den Produktionsmengen an Nanomaterialien für die Weiterverarbeitung. Traditionell gehen seit vielen Jahren bereits enorme Mengen – z. B. an Carbon Black oder Siliciumdioxid – in verschiedenste Produkte.

Begrifflichkeiten

Das griechische Wort (nanos) heißt Zwerg. Die geringe Größe ist das wesentliche Kriterium für Materialien, Werkstoffe und Chemikalien, die die Silbe "Nano" im Wort führen.

Die Definition von Nanotechnologie ist nicht einfach. In der Regel wird darunter verstanden, dass es sich um verschiedene Verfahren zur Untersuchung und zur gezielten Herstellung und Anwendung von Prozessen, Strukturen, Systemen oder molekularen Materialien, die in mindestens einer Dimension typischerweise zwischen ungefähr 1 nm und ungefähr 100 nm liegen, handelt. Diese Definition geht sehr weit, auch chemische Reaktionen, physikalische Dispersionsprozesse oder sogar die Verfahren zum Aufbringen von Strukturen im Bereich einiger Nanometer in der modernen Mikroelektronik sind somit auch Nanotechnologien (z. B. Strukturen auf Chipoberflächen von Prozessoren oder der – mit einem Nobelpreis gewürdigte – GMR-Effekt ("giant magnetoresistance") in modernen Festplatten). Selbst die Vermehrung eines Virus könnte daher auch als eine Nanotechnologie aufgefasst werden. Man sieht an der Definition bereits, dass es sich nicht unbedingt um in jeder Beziehung ganz neuartige Materialien handeln muss, was jedoch auch der Fall sein kann. Die Abschneidekritierien in den Dimensionen sind bewusst unscharf gehalten, da sich die Eigenschaften in aller Regel nicht sprunghaft und genau an der 1-nm- und der 100-nm-Grenze ändern. Es ist also schwierig, völlig eindeutig und trenn-scharf Nanomaterialien von anderen Größen-verteilungen von Materie zu unterscheiden, zumal die Eigenschaften größerer Nanomaterialien denen feiner Stäube ähneln, die sich zunehmend zu gasähnlichem Verhalten wandeln können, wenn das untere Ende der Größenskala angestrebt wird.

Nach einer inzwischen weit akzeptierten Einteilung der Nanomaterialien von ISO wird zunächst zwischen den mehr oder weniger ungebundenen Nanoobjekten und den mehr oder weniger fest gebundenen nanostrukturierten Materialien unterschieden ( Abb. 1).

Verwendung

Bislang liegt der Hauptanteil der Verwendung von Nanotechnologien (abgesehen vom IT-Sektor) in der Verwendung von Nano-materialien als Zusatzstoffe zur Verbesserung von Eigenschaften konventioneller Produkte wie etwa Farben und Beschichtungsstoffen. Die Verwendung in Marktprodukten konzentriert sich bislang auf relativ wenige Nanomaterialien in größerem Maßstab. Hier konnten interessante Produkte entwickelt werden, z. B. Anstrichstoffe mit einer erheblichen Erhöhung der Kratzfestigkeit oder die Fähigkeit zur Selbstreinigung, sogar zur Beseitigung von Luftschadstoffen geeignete Anstriche. Teilweise sind in Produkte gesetzte Erwartungen auch nicht erfüllt worden, solche Produkte sind wieder vom Markt verschwunden.

Bei der Entwicklung von anwendungsreifen Produkten sind mitunter erhebliche technologische Schwierigkeiten zu überwinden, die die Entwicklung bremsen können. Es ist meist nicht damit getan, einfach ein paar Komponenten zusammenzurühren und zu prüfen, ob sich die gewünschten Eigenschaften eingestellt haben. Für die USA hat das Woodrow-Wilson-Center in Washington herausgefunden, das jedes Jahr ca. 200 neue Produkte mit Nanotechnolo-gie auf den Markt kommen (nicht berücksichtigt dabei sind Produkte, die man normalerweise nicht darunter versteht, z. B. aus der Mikroelektronik). Mit Stand 2013 sind dort 1628 Verbraucherprodukte aufgeführt (Woodrow Wilson Center 2013). Vergleich-bar detaillierte Daten liegen für die Bundesrepublik nicht vor, aber auch hier kann man davon ausgehen, dass mehrere hundert Produkte auf dem Markt sind, die Nanotechnologien verwenden. Angesichts des problemlosen globalen Warenverkehrs dürften die meisten der in anderen Ländern angebotenen Produkte auch in der Bundesrepublik verfügbar sein. Manches Produkt, auch reine Nanomaterialien, wird dabei importiert und schlicht mit einem neuen Etikett versehen, das den Ursprung gar nicht mehr erkennen lässt. Ausgeklammert bei der Erfassung sind – sehr breite – Anwendungsfelder wie die IT- und Mikroelektro-nik-Industrie, auch wenn dort in vielen Bereichen Strukturen im Nanometerbereich genutzt werden, z. B. in Prozessoren oder der – ebenfalls mit einem Nobelpreis gewürdigte – GMR-Effekt ("giant magnetoresistance") in modernen Festplatten.

Mitunter wird je nach adressiertem Kundenkreis einerseits mit Nanotechnologie geworben (wobei keineswegs das jeweilige Produkt eine Anwendung von Nanotechno-logie darstellen muss – gelegentlich ist das nur ein werbewirksames, jedoch inhaltsloses Label), andererseits die Anwendung oder ein Gehalt an nanoskaligen Bestandteilen auch nicht genannt oder umschrieben, um den Absatz nicht zu gefährden. Dies alles macht die Erfassung sehr schwer.

Viele der Produkte zeigen einen erheblichen Mehrwert für die Lebensqualität. Da-bei geht es nicht nur um Kleidung, die nach dem Tragen nicht riecht, oder Krawatten, die keine Flecken mehr bekommen, sondern um Verbesserungen z. B. auf ökologischem oder medizinischem Gebiet. Aus dem inzwischen großen Bereich der Beispiele (siehe z. B. Schäfer 2010) seien einige wenige herausgegriffen:

Organische Leuchtdioden (OLED) enthalten nanoskalige Halbleiterschichten. Damit können nicht nur foliendünne und durchsichtige Displays und Leuchtkörper realisiert werden, diese erlauben auch eine gegenüber herkömmlichen Energiesparleuchtkörpern weiter gesteigerte Lichtausbeute und damit Stromeinsparung.

Weitere Beispiele für Anwendungen, die es in der Art bislang nicht gab, kommen aus den medizinischen Bereich. Dort können mit Hilfe von Nanotechnologie Verfahren von Diagnostik und Therapie, z. B. bei einigen Krebserkrankungen, mit unerwarteter Geschwindigkeit, Effizienz und – auch heutzutage ein wichtiger Aspekt – kostengünstiger durchgeführt werden. Nanoska-lige „Lab-on-a-Chip“-Anwendungen bestimmen rasch und kostengünstig gleichzeitig eine Bandbreite von Parametern, "tar-geted drug delivery" mit Wirkstoffen in nanoskaligen Hüllen versprechen eine effizientere und mit weniger Nebenwirkungen versehene Therapie mit weniger Wirkstoffanteil ( Abb. 2).

Im Laborstadium befinden sich bereits nanoskalige Motoren aus Nanoröhrchen. Jüngst gelang es, einen nur mit Kohlenstoff-Nanoröhrchen arbeitenden Computerchip zu entwickeln, der zwar noch weit von der Rechenleistung modernen siliziumbasierter Chips entfernt ist, jedoch das Problem der mangelnden Energieeffizienz von Computern künftig reduzieren könnte (Shulaker 2013).

Nutzen, Risiken und Maßnahmen

Die Nanomaterialien umfassen – theore-tisch – eine unüberschaubare Anzahl von Species. Selbst eine Charakterisierung als „einwandiges Kohlenstoff-Nanoröhrchen“ verkennt, dass diese Bezeichnung auf Tausende solcher Röhrchen zu treffen kann, die sich in ihren Eigenschaften mehr oder weniger unterscheiden können. Dabei sind chemische Modifikationen gar nicht eingerechnet. Es sind aber Erfolge bei der Ein-teilung in verschiedene Wirkkategorien erkennbar (AGS 2013).

Nanomaterialien können, je nach Material, müssen jedoch nicht verschiedene herausgehobene Eigenschaften aufweisen. Dies beginnt mit der enormen spezifischen Oberfläche durch den hohen Verteilungsgrad, verschiedenen chemischen und physikalischen Eigenschaften, wie katalytischer Aktivität, und physikalischen Effekten bis hin zu quantenmechanischen Effekten. Gegenstand von Untersuchungen seit Jahren ist, ob diese möglichen Eigenschaften sich beim Menschen auswirken können.

Es liegt auf der Hand, dass nanostruk-turierte Materialien, die Nanoobjekte gebunden halten, von geringerer Besorgnis als Nanoobjekte sind, soweit diese bei der Bearbeitung (wie z. B. dem Schleifen einer Kunststoffmatrix mit eingebetteten Nanopartikeln) oder beim Verwittern (z. B. einer Fassadenfarbe mit nanoskaligen Zusätzen für die photokatalytische Reinigung) die Nanoobjekte nicht wieder frei setzen. Die bislang vorliegenden Erkenntnisse zeigen jedoch, dass keine freien Nanoobjekte abgegeben werden, sondern gröbere Partikel aus der Matrix mit eingebetteten Nanoobjekten entstehen. Beim Verwittern scheint es zu Anreicherungseffekten auf der Oberfläche zu kommen, nicht jedoch zur Freisetzung. Dennoch sind Arbeitsschutzmaßnahmen bei der Bearbeitung notwendig, eine Exposition gegen den freiwerdenden Staub ist zu vermeiden. Dieser könnte auch aus Matixpartikeln bestehen, die Nanoröhrchen enthalten, die aus dem Matrixpartikel teilweise herausstehen, wobei die Wirkung auf den Organismus dann nicht klar ist.

Auch die Natur bedient sich seit jeher nanotechnologischer Prozesse. So werden hierdurch z. B. Oberflächen mit besonderen Eigenschaften geschaffen (etwa die Hafthaare an den Füßen des Geckos oder die selbstreinigenden Eigenschaften mancher Pflanzenblätter, auch als Lotuseffekt bekannt) oder besonders stabile Strukturen aufgebaut (Verbundwerkstoffe als Baumate-rial für Schalen gewisser Krustentiere). Die Vielfalt ist groß, jedoch lässt sich hieraus nicht der Schluss ziehen, dass der Mensch evolutionär an alle Arten von Nanomate-rialien angepasst sei.

Nanotechnologie wird auch vom Menschen seit vielen Jahrhunderten benutzt. Töpfer in Mesopotamien konnten bereits mit Kupfer- und Silber-Nanopartikeln einen besonderen Glanzeffekt ihrer Krüge erzeugen. Natürlich war dem mittelalterlichen Glasmacher weder der Begriff Nanotechnologie bekannt, noch kannte er die physikalisch-chemischen Hintergründe, doch konnte er in der Glasschmelze mit nano-skaligen Goldpartikeln sein feuriges Rubinglas herstellen. Seit Jahrzehnten wird Industrieruß ("carbon black"), aus nanoskaligen Primärpartikeln gebildeter Kohlenstoff, Reifen zugesetzt, um deren Eigenschaften und Lebensdauer zu verbessern. Siliciumdioxid ist Bestandteil einer Vielzahl von Produkten, beispielsweise um einigen Sorten Tomatenketchup ihre Konsistenz zu verleihen, aber auch, um besonders energieeffizient zu verarbeitende Kunststoffe zu erhalten.

Es genügt keineswegs, Nanobjekten regelmäßig ein hohes Freisetzungspotenzial zuzumessen. Mehrere Effekte können dazu führen, dass nur ein geringes Verstauben zu beobachten ist. Nanoplättchen können in einzelnen Fällen so groß und dabei doch nanometerdünn sein, dass ein Verstauben kaum anzunehmen ist. Ein Beispiel ist fein ausgehämmertes Blattgold, das Dicken bis hinab zu 100 nm aufweisen kann und damit per definitionem ein Nanoobjekt darstellt. Fast immer ist zu beobachten, dass Nanoobjekte in einer Form vorliegen, die erst einmal gar nicht nanoskalig ist. Wenn diese nicht frisch hergestellt sind oder nach Herstellung nicht rasch mit einer schützenden Schicht überzogen wurden, so liegen diese in der Regel als Agglomerate oder Aggregate vor. Während die Agglomerate sich aus nanoskaligen Primärpartikeln zusammensetzen, die durch relativ schwache Wechselwirkungen eher locker zusammengehalten und auch wieder aufgebrochen werden können, sind in Aggregaten eine Vielzahl auch stärkerer Wechselwirkungen zu beobachten, die zu einer relativ festen Bindung führen. Die Primärpartikel können hier sogar zu Sekundärpartikeln an den Grenzflächen verschmolzen sein. Während die Gesamtoberfläche der Agglomerate im Wesentlichen der Summe der Oberflächen der Primärpartikel entspricht, ist die Oberfläche von Aggregaten diesen gegen-über deutlich verringert ( Abb. 3). Diese Sekundärpartikel sind viel größer als die Primärpartikel und stellen auch keine Nano-objekte dar, sondern sind feine oder größere Stäube. Diese Zusammenlagerungen können in technischen Prozessen Schwierigkeiten bereiten, da in der Regel ja die Primärpartikel zurückgewonnen werden sollen und dazu die Sekundärpartikel wieder aufgebrochen werden müssen. Für den Arbeitsschutz bedeutet dies, dass sich spezifische Nanoeffekte erst dann erwarten lassen, wenn z. B. in der Lunge solche Vereinzelung der Primärpartikel wieder auftritt, was nach dem Stand der Erkenntnis nicht die Regel ist.

Es ist daher wichtig, etwas über das Ver-staubungsverhalten und die Art der freigesetzten Objekte zu erfahren, um Schutzmaßnahmen angemessen treffen zu können. Chemisch sehr ähnliche Nanomaterialien können in einem Fall sehr leicht große Zah-len von Nanoobjekten freisetzten, im ande-ren Fall unter gleichen Bedingungen praktisch gar nicht. Es ist kaum möglich, dies ohne weitere Kenntnisse vorauszusagen, so dass es unbedingt zu empfehlen ist, Ergebnisse von Verstaubungsprüfungen, die inzwischen als international genormte Verfahren vorliegen, in die Gefährdungsbeurteilung einzubeziehen.

Die Besorgnis richtet sich derzeit besonders auf die technisch und wissenschaftlich besonders vielversprechenden Nanofasern (Nanoröhrchen, -stäbchen, -drähte). Insbesondere die Kohlenstoffnanoröhrchen zeichnen sich durch herausragende mechanische und elektrische Eigenschaften aus. In der Literatur werden verschiedene Effekte beschrieben, die an den verschiedensten Nanoobjekten gesehen worden sind. Darunter befinden sich entzündliche Prozesse, und – bei bestimmten faserförmigen Nanoobjekten – auch potente fibrotische Prozesse. Beim Menschen liegen – bis auf ganz wenige Einzelfälle bei Erkrankungen unter Arbeitsbedingungen, die keine sinnvollen Rückschlüsse auf die tatsächliche Gefährdung ermöglichen – keine entsprechenden Erkenntnisse vor. Erkenntnisse aus längeren Expositionsdauern bei praxisrelevanten Konzentrationen fehlen bisher.

Es ergibt sich nach wie vor kein einheitliches Bild aus der Literatur. Insbesondere erschwert die ungeheure Vielfalt von Nanomaterialien die Charakterisierung und das Verständnis der Wirkmechanismen. Eine spezifische Nanotoxizität scheint nach dem Stand der Erkenntnis nicht ableitbar zu sein. Vielmehr sind es neben den Effekten, die faserförmige Strukturen haben können, die Wirkungen des oder der Stoffe, aus denen das Nanomaterial besteht, allerdings der wegen der großen Oberflächen höheren Verfügbarkeit in entsprechend stärkerer Form (Donaldson u. Poland 2013). Dabei ist eine entscheidende Frage die nach der Biopersistenz des Materials. Eine rasche Löslichkeit verhindert die mechanische Wirkung, führt jedoch zu einer höheren lokalen Konzentration in kürzerer Zeit. Bei faserförmigen Materialien sind auch die Fragen der Dimensionen (WHO-Faserkriterium) und der Steifigkeit bedeutsam.

Übersehen wird gelegentlich, dass entzündbare Nanomaterialien eine gegenüber dem gröberen Material teilweise deutlich herabgesetzte Mindestzündenerge haben können, teilweise auch selbstentzündlich sind. Entsprechende Explosionsschutzmaß-nahmen können aus diesem Grund notwendig sein.

Bei der Herstellung mancher Nanomaterialien bestehen ebenfalls Gefährdungen durch besonders gefährliche Chemikalien oder auch Gemische, die nicht unerkannt bleiben dürfen.

Einige wenige Empfehlungen für Beurteilungsmaßstäbe oder Grenzwerte sind von der DGUV, vom NIOSH und der Industrie erstellt worden (IFA der DGUV 2013; NIOSH 2013). Diese Empfehlungen können mit der entsprechenden Fachkunde als Kriterien für eine Entscheidung herangezogen werden, da nun für die Messung am Arbeitsplatz inzwischen auch einfachere und kostengünstigere Messsysteme verfügbar sind, die auch im Rahmen von Labor-untersuchungen erstmals vergleichend qualifiziert wurden ( Abb. 4). Im Rahmen der durch einige namhafte deutsche Institutionen veröffentlichen gestuften Ermittlungsstrategie kann damit eine deutlich bessere Bewertung der zunehmenden Arbeitsplätze erfolgen (VCI et al. 2013).

Hilfestellungen mit Hinweisen zur Ge-fährdungsbeurteilung oder auch konkreten Hinweisen sind mittlerweile verfügbar, so neben der BGI/GUV-I 5149 z. B. eine Empfehlung zur Gefährdungsbeurteilung von VCI und BAuA (BAuA VCI 2012)oder eine konkrete Handlungsanleitung für die Handhabung im Labor aus dem DGUV-Sachgebiet Laboratorien (SG Laboratorien der DGUV 2012).

Die Erfahrungen mit den Einsatz konventioneller Schutzmaßnahmen sind bis-lang positiv. Sowohl technische Maßnahmen, insbesondere Lüftungsmaßnahmen, wie auch persönliche Schutzmaßnahmen führen zu einer sehr geringen Exposition, allerdings nur, wenn diese korrekt angewandt werden. Wissenstransfer in die Praxis ist also erforderlich. Das Arsenal an Arbeitsschutzmethoden ist also nach dem, was wir wissen, gut gefüllt für die Beherrschung von Risiken der Nanotechnologien, auch wenn eine Risikoquantifizierung an den Wissenslücken bei den Wirkungen scheitern muss.

An technischen Maßnahmen sind sicher-lich der Einsatz staubarmer Verwendungsformen (Masterbatch oder Suspension statt Pulver), Arbeiten in geschlossenen Anlagen oder die Verwendung fachkompetent ausgelegter Ablufteinrichtungen, in Laboratorien geprüfte Laborabzüge oder Glove-boxen die vornehmlichen Schutzmaßnahmen. Messungen zeigen die Wirksamkeit dieser Einrichtungen. Versuche im Labor des Autors ergaben keine Hinweise darauf, dass Laborabzüge nicht ausreichend gegen solche Expositionen schützen würden.

Die bekannten persönlichen Schutzmaßnahmen sind ebenfalls wirksam. Partikelfilter bieten einen hohen Atemschutz, da hier kleine Partikel sogar effizienter zu-rückgehalten werden als größere. Handschuhe und gegebenenfalls Schutzkleidung bieten ausreichende Barrierefunktionen. Auch wenn ein Durchdringen intakter Haut bislang kein Problem darstellt, sind die allgemeinen Grundsätze der Hygiene unverzichtbar. Nicht zu unterschätzen bei Einwirkungen durch Feststoffe und Flüssigkeiten ist die orale Aufnahmemöglichkeit durch Hygienemängel an den Händen und im Gesicht. Zur Hygiene gehört beispielsweise auch die Beseitigung von Leckagen, bevor diese eingetrocknet sind und stauben können.

Die immer wieder erhobene Forderung nach der Kennzeichnung von Produkten, die Nanomaterialien enthalten oder Nano-objekte freisetzen könnten, stößt auf die Schwierigkeit zu bestimmen, welche Bedingungen für eine Kennzeichnung anzuwenden wären und was aus einer solchen Kennzeichnung konkret abzuleiten wäre. Wäre pasteurisierte Milch, die nanoskalige Lipidtröpfchen enthält, dann ein kennzeich-nungspflichtiges Produkt, und, wenn ja, welche Schlüsse wären daraus zu ziehen? Für die betriebliche Praxis erforderlich sind dagegen entsprechende Informationen im Sicherheitsdatenblatt.

Risikokompetenz bedeutet hier, nach allen Erfahrungen sachkundig abzuschätzen, ob eine relevante Gefährdung erwartet werden muss, die so nicht beherrscht wird. Wollte man im Sinne eines „starken“ Vorsorgeprinzips für ein Moratorium plädieren, so sähe man sich der ethischen Frage ausgesetzt, ob man angesichts eines voraussichtlich vergleichbar kleinen Risikos auf erkennbar große Nutzeffekte für Mensch und Umwelt verzichten will oder gar darf. Vollkommene Sicherheit ist derzeit nicht zu erreichen. Sicher bedarf es ständiger Aufmerksamkeit und einer adäquaten Vorsicht bei Tätigkeiten bis zum Nachweis der Unbedenklichkeit.

Anstatt sich auf irgendwelche neuen technischen Ausstattungen zu verlassen ("nano proven" ist ein Label, das inzwischen auf manchen Schutzeinrichtungen auftaucht), wäre oftmals ein Umgang nach dem Stand der Technik der Schlüssel zum Erfolg. Unverzichtbar für einen wirkungsvollen Arbeitsschutz ist daher eine kompetente Unterweisung, die die „risk awareness“ fördert, mitunter gar erst herbeiführt, jedoch ohne zu übertriebenen Reaktionen oder Maßnahmen zu führen.

Ausblick

Die Nanotechnologie wird einen immer deutlicheren Einfluss auf den Verbraucherbereich haben, damit aber auch auf die Hersteller und Weiterverarbeiter, somit wiederum auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz, den Umweltschutz. Das World Economic Forum zählte mehrere Nanotechnologien zu den Top Ten Emerging Technology Trends 2013 (World Economic Forum 2013). Die verfügbaren Maßnahmen des Arbeitsschutzes sind nach dem Stand der Erkenntnis wirksam genug, um verantwortungsvoll und mit angemessener Vorsicht Nanotechnologien anwenden zu können.

Wohin die Reise letztlich führt, ist schwer abzuschätzen. Die Fähigkeit zur Selbstorganisation von Nanoobjekten kann im Labor bereits demonstriert werden, ob die – theo-retisch denkbare – Selbstreplikation, die die Natur in beeindruckender Weise auch im Nanomaßstab vorlebt, Wirklichkeit werden kann, ist völlig unklar. Romane wie „Prey“ von Michael Crichton oder „Nano“ von Robin Cook zeichnen derzeit noch phantastische Welten selbstständig handelnder Nanoeineiten. Aber, wie zahlreiche prominente Irrtümer über die Unmöglichkeit wissenschaftlich-technischer Entwicklungen zeigen, ist es – mit den Worten des Physikers Michio Kaku – „gefährlich, eine Wette gegen die Zukunft abzuschließen“. Wohin die Reise auch gehen mag, Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sind gut beraten, weiterhin aufmerksam zu bleiben. 

Literatur

Donaldson K, Poland CA: Nanotoxicity: challenging the myth of nano-specific toxicity. Curr Opin Biotech-nol 2013; 24: 724–734.

Feynman R: There’s Plenty of Room at the Bottom – An Invitation to enter a new Field of Physics. Caltech Engineering and Science 1960; 23: 22–36.

Schäfer H-E: Nanoscience. Berlin, Heidelberg: Springer, 2010.

Shulaker MM: Carbon Nanotube Computer. Nature 2013; 26: 526–530.

    Weitere Infos

    Ausschuss für Gefahrstoffe des BMAS: Bekanntmachung 527: Hergestellte Nanomaterialien, 2013

    https://www.arbeitssicherheit.de/de/html/library/law/5773604%2C1%2C20130621

    BAuA VCI: Empfehlung für die Gefährdungsbeurteilung bei Tätigkeiten mit Nanomaterialien am Arbeitsplatz. 2012

    http://www.baua.de/de/Publikationen/Fachbeitraege/Gd4.pdf;jsessionid=85308AB44E23981358BBD794578F20BB.1_cid389?__blob=publicationFile&v=10)

    IFA der DGUV: Maßstäbe zur Beurteilung der Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen, 2013

    http://www.dguv.de/ifa/Fachinfos/Nanopartikel-am-Arbeitsplatz/Beurteilung-von-Schutzma%C3 %9Fnahmen/index.jsp

    NIOSH: Current Intelligence Bulletin 65: Occupational Exposure to Carbon Nanotubes and Nanofibers, 2013

    http://www.cdc.gov/niosh/docs/2013-145/

    SG Laboratorien der DGUV: Nanomaterialien im Labor – Hilfe-stellungen für den Umgang, 2012

    http://www.bgrci.de/fileadmin/BGRCI/Downloads/DL_Praevention/Fachwissen/Laboratorien/Nanomaterialien_im_Labor20120305.pdf)

    VCI et al., BAuA, BG RCI, DGUV, IUTA, TU Dresden: Tiered Approach to an Exposure Measure-ment of Nanoscale Aerosols Released from Engineered Nanomaterials in Workplace Operations, 2013

    https://www.vci.de/Downloads/Tiered-Approach.pdf

    Woodrow Wilson Center, 2013

    https://nanotechproject.org

    World Economic Forum: Global Agenda Council on Emerging Technologies 2012–2014, 2013

    https://www.weforum.org/communities/global-future-councils/

    Autor

    Dr. rer. nat. Thomas H. Brock

    Leiter des Fachbereichs Gefahrstoffe und biologische Arbeitsstoffe der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie

    Kurfürsten-Anlage 62

    69115 Heidelberg

    thomas.brock@bgrci.de

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