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Stufenkonzept der Medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation der Deutschen Rentenversicherung

Rehabilitation bei Patienten mit besonderen beruflichen Problemlagen

Auch wenn die Wirksamkeit der Rehabilitation in den letzten zwanzig Jahren durch Umsetzung der Ergebnisse erfolgreicher Studien deutlich verbessert werden konnte, zeigen Rehabilitanden-Befragungen acht bis zwölf Wochen nach der Rehabilitation, dass mindestens 30 % der Rehabilitanden generell keine Besserung der subjektiven Gesundheit nach der Rehabilitation feststellen (Widera 2010).

Meyer et al. stellten 2008 bei Patienten mit Rückenschmerzen fest, dass die Rehabilitation bei 31 % der Rehabilitanden mit ausgeprägten psychosozialen Belastungen vollkommen erfolglos bleibt. Dazu gehören neben einer niedrigen sozioökonomischen Schichtzugehörigkeit auch lange Arbeitsunfähigkeitszeiten, Antragstellung auf Erwerbsminderungsrente, beabsichtigte Aufgabe der Erwerbstätigkeit sowie nur geringe Erwartungen an die Arbeitsfähigkeit nach der Rehabilitation.

Dragano identifizierte 2011 die folgenden arbeitsplatzbezogenen Einflussfaktoren einer krankheitsbedingten Frühberentung:

  • geringerer Entscheidungsspielraum, nur wenig Kontrolle über die eigene Arbeit,
  • Arbeitsstress, hohes Arbeitstempo, hohe psychische Arbeitsanforderung,
  • Konflikte am Arbeitsplatz,
  • fehlende Entwicklungsmöglichkeiten,
  • fehlende soziale Unterstützung,
  • problematische Arbeitsorganisation und Managementkultur,
  • geringes monatliches Haushaltsnettoeinkommen,
  • reduziertes soziales Funktionsniveau.

Aktuelle Forschungsarbeiten zur beruflichen Orientierung der medizinischen Rehabilitation

Innovative Reha-Konzepte für Patienten mit besonderen beruflichen Problemlagen wurden insbesondere für die Indikation Orthopädie im Rahmen von wissenschaftlich-klinischen Forschungsprojekten in den letzten zehn Jahren entwi-ckelt und evaluiert. Ein über-zeugendes Beispiel ist das Integrierte Medizinisch-Be-rufsorientierte Orthopädi-sche Reha-Konzept (IMBO) der Paracelsus-Klinik in Bad Gandersheim, das mit einem prospektiven, clusterrandomisierten Forschungsdesign von Bethge et al. (2010) evaluiert wurde. Das Programm IMBO sieht die folgenden, über das übliche Reha-Angebot hinausgehende Therapien vor:

  • zwei motivierende Gruppensitzungen zur Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit und Klärung sozialrechtlicher Fragen,
  • sechs Gruppengespräche zum Thema „Veränderung arbeitsbezogener Einstellung und Verbesserung des Bewältigungsverhaltens“ sowie
  • fünf Trainingsstunden zur Besserung be-rufsbezogener Funktionen.

In die Studie wurden 236 Rehabilitanden eingeschlossen, die entweder seit mehr als drei Monaten arbeitsunfähig waren, ihre Berufstätigkeit als gefährdet sahen oder arbeitslos waren. Die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung in den Entlassungsberichten attestierte eine günstigere Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens der Interventionsgruppe (p 

Weitere Studien belegen die Wirksamkeit berufsorientierter Reha-Maßnahmen bei Versicherten mit besonderen beruflichen Problemlagen für die Indikation Orthopädie (Streibelt et al. 2006; Bönisch et al. 2012; Greitemann et al. 2006) sowie für weitere Indikationen (Kardiologie: Kittel u. Karoff 2008; Neurologie: Menzel-Begemann 2012; Psychosomatik: Hillert et al. 2007).

Das Anforderungsprofil der Medizinisch-beruflich orientier-ten Rehabilitation (MBOR)

Die Deutsche Rentenversicherung hat auf der Grundlage einer Bestandsaufnahme der berufsbezogenen Leistungen in medizinischen Reha-Einrichtungen (Neuderth u. Vogel 2000) ein stufiges Anforderungsprofil für die Rehabilitationseinrichtungen zur Durchführung der MBOR entwickelt und erprobt (Bethge et al. 2012, s. Weitere Infos). Dieses Konzept sieht folgende Stufen vor:

  • MBOR-Basisangebote,
  • MBOR-Kernangebote,
  • MBOR-spezifische Angebote.

Alle Reha-Einrichtungen, die von der Rentenversicherung belegt werden, sollen den Rehabilitanden den Bezug der Rehabilitation auf die Erwerbsfähigkeit verdeutlichen und folgende Basisangebote für alle behandelten DRV-Versicherten bereithalten:

  • diagnostische Elemente zur Erkennung einer erwerbsbezogenen Problemlage,
  • berufsbezogene Motivationsförderung.

Die Kernangebote gelten für Rehabilitanden mit besonderen Problemlagen, wie beispielsweise Arbeitslosigkeit, lange AU-Zeiten, offener Antrag auf Erwerbsminde-rungsrente oder subjektive Gefährdung der Berufstätigkeit (insg. ca. 25– 50 % der Rehabilitanden, je nach Indikation).

Unter den Kernangeboten hat die berufs-bezogene Diagnostik einen hohen Stellenwert. Sie beinhaltet die sorgfältige Analyse der physischen und psychischen Belastungsfähigkeiten und den Vergleich mit dem individuellen beruflichen Anforderungs-profil. Neben einer vertiefenden Berufsanamnese gehören dazu standardisierte schriftliche Tests, Belastungstests (z. B. die Exploration der funktionellen Leistungsfähigkeit nach Isernhagen/EFL), die Beob-achtung des Verhaltens an fiktiven Arbeits-plätzen und/oder eine psychologische Einzelexploration. Um die Anforderungen am Arbeitsplatz sicher beurteilen zu können, werden die Informationen des Rehabilitanden über seinen Arbeitsplatz durch möglichst objektive Unterlagen ergänzt. Sehr hilfreich sind dabei Arbeitsplatzbeschreibungen des Betriebsarztes.

Überforderungssituationen und Defizite werden analysiert. Wichtig ist aber auch die Erkennung eigener Ressourcen. Die Dia-gnostik läuft in der Regel multidisziplinär. Die Ergebnisse der beteiligten Berufsgruppen werden im Team diskutiert. Konkrete Ziele für die Rehabilitation werden dann gemeinsam mit dem Rehabilitanden definiert und die Therapie dementsprechend bedarfsgerecht geplant. Die Konsequenzen für die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung werden dem Rehabilitanden mitgeteilt.

Zu den typischen Therapien der Kernangebote zählen:

  • berufsspezifisches Funktionstraining, berufsorientierte Einzelkrankengymnastik, Work-hardening,
  • Training an realitätsnahen Modell-arbeitsplätzen, individuelle Erprobung ergonomischer Hilfsmittel, Ergonomieschulung,
  • intensive Berufs- und Sozialberatung bei Beratungsbedarf wegen Veränderung der beruflichen oder sozialen Lage, Berufsinformation, Bewerbungstraining,
  • berufsbezogene Gruppen unter der Leitung eines Psychologen zu den Themen „realistische Einschätzung eigener Kom-petenz“, „Verhaltens- und Einstellungsänderung“, „Strategien zur Verarbeitung belastender Situationen“.

Schließlich werden spezifische MBOR-Angebote in ausgewählten Kliniken, häufig in Kooperation mit Einrichtungen der beruflichen Bildung, für Rehabilitanden bereitgehalten, bei denen über die Kernangebote hinausgehende Maßnahmen erforderlich sind (ca. 3–5 % aller Rehabilitanden).

Als Beispiele hierfür können genannt werden:

  • Überprüfung beruflicher und sozialer Kernkompetenzen im Hinblick auf einen Arbeitsplatzwechsel, sonstige Berufsfindungsmaßnahmen
  • Vorbereitung, Einleitung und Begleitung einer externen Belastungserprobung.

Die Rolle des Betriebsarztes bei der MBOR

Eine enge Einbindung der Betriebsärzte in die Reha-Prozesse, wie sie beispielsweise in der Vereinbarung der DRV Nord mit den Landesvertretungen HH, SH und MVP des VDBW geregelt ist, kann helfen, das Potenzial der MBOR auszuschöpfen:

  • Bei der rechtzeitigen Erkennung von beruflichen Problemlagen und Rehabilita-tionsbedarf:
  • Der Betriebsarzt hat die Möglichkeit bei Vorsorgeuntersuchungen, bei der Begutachtung der Einsatzfähigkeit im Hinblick auf einen speziellen Arbeitsplatz, bei Arbeitsplatzbegehungen, im Rahmen des betriebsinternen Fehlzeitenmanagements oder des Eingliederungsmanagements den Rehabilitationsbedarf frühzeitig zu erkennen. Er kann besondere berufliche Problemlagen identifizieren, den Arbeitnehmer über Ziele und Inhalte der MBOR informieren und ihn zur Reha-Antragstellung motivieren.
  • Bei der Weitergabe relevanter Informationen an die Reha-Einrichtung:
  • Sehr hilfreich sind betriebsärztliche Informationen, wie berufliche Anamnese, Arbeitsanforderungen und -belastungen, Funktionseinschränkungen, betriebliches Umfeld, geplante weitere Maßnahmen nach der Rehabilitation wie beispielsweise eine innerbetrieb-liche Umsetzung oder stufenweise Wiedereingliederung (STWE).
  • Durch den direkten Kontakt mit der Reha-Einrichtung:
  • Falls erforderlich kann der direkte Kontakt mit der Reha-Einrichtung helfen, betriebliche Eingliederungsmöglichkeiten zu finden, z. B. durch Veränderung von Arbeitsabläufen, den Einsatz technischer Hilfsmittel oder eine innerbetriebliche Umsetzung. Der Betriebsarzt kann auch die STWE in der Planungs- und Einleitungsphase unterstützen.
  • Durch die Unterstützung der Umsetzung ausgearbeiteter Lösungsansätze nach der Rehabilitation.

Fazit

Trotz ständiger Optimierung der medizinischen Rehabilitation reicht die normale Rehabilitation für Rehabilitanden mit besonderen beruflichen Problemlagen nicht aus, sondern bedarf einer stärkeren Fokussierung auf die Anforderungen des Arbeitsplatzes und die eigenen beruflichen Belastungen und Ressourcen. Die Deutsche Rentenversicherung hat ein stufiges, bedarfsgerechtes Modell für die Durchführung der Medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation entwickelt und setzt es zurzeit um. Betriebsärzte können einen entscheidenden Beitrag zum Erfolg der Rehabilitation leisten. 

Literatur

Bethge M, Herbold D, Trowisch L, Jacobi C: Beruf-liche Wiedereingliederung nach einer medizinisch-beruflich orientierten orthopädischen Rehabilitation: Eine clusterrandomisierte Studie. Rehabilitation 2010; 49: 2–12.

Bönisch A, Dorn M, Ehlebracht-König I: „Berufliche Zukunft“ – Kurzzeiteffekte eines Behandlungs-programms bei sozialmedizinisch relevanten Problem-lagen im Verlauf einer medizinischen Rehabilitation. Rehabilitation 2012; 51: 39–51.

Dragano D: Psychosoziale Arbeitsbelastungen als Prädiktoren der krankheitsbedingten Frühberentung: Ein Beitrag zur Beurteilung des Rehabilitationsbedarfs. Rehabilitation 2011; 50: 28–36.

Greitemann B, Dibbelt S, Büschel C: Integriertes Orthopädisch -psychosomatisches Konzept zur medizinischen Rehabilitation von Patienten mit chronischen Rückenschmerzen des Bewegungs-apparates – Langfristige Effekte und Nachhaltigkeit eines multimodalen Programms zur Aktivierung und beruflichen Umorientierung. Z Orthopädie 2006; 144: 255–266.

Hillert A, Koch S, Hedlund S: Stressbewältigung am Arbeitsplatz: Ein stationäres berufsbezogenes Gruppen-programm. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2007.

Kittel J, Karoff M: Lässt sich die Teilhabe am Arbeits-leben durch eine berufsorientierte kardiologische Rehabilitation verbessern? Ergebnisse einer randomi-sierten Kontrollgruppenstudie. Rehabilitation 2008; 47: 14–22.

Menzel-Begemann A: Berufliche Orientierung in der Medizinischen Neurorehabilitation. Problemstellung, Intervention, Ergebnisse. Weinheim: Beltz/Juventa, 2012.

Meyer T, Pohontsch N, Maurischat C, Raspe H: Pa-tientenzufriedenheit und Zielorientierung in der Reha-bilitation. Lage: Jacobs-Verlag, 2008.

Neuderth S, Vogel H: Berufsbezogene Maßnahmen in der Rehabilitation. Bericht über die Expertentagung am 25. und 26.01.2000 in Würzburg. Frankfurt am Main: Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, 2000.

Streibelt M, Hansmeier T, Müller-Fahrnow W: Effekte berufsbezogener Behandlungselemente in der ortho-pädischen Rehabilitation der Rentenversicherung – Ergebnisse einer randomisierten Verlaufsstudie. Reha-bilitation 2006; 445: 161–171.

    Weitere Infos

    Bethge et al.: Abschlussbericht zum Projekt „MBOR-Management – formative Evaluation der Medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation (MBOR)“

    http://forschung.deutsche-rentenversicherung.de/ForschPortalWeb/ressource?key=MBOR_Management_Abschlussbericht.pdf

    Widera T (2010): Aktuelles aus der Reha-Qualitätssicherung – neue Ergebnisse der Rehabilitandenbefragung. RVaktuell 4: 153–159.

    http://www.deutsche-rentenversicherung.de/cae/servlet/contentblob/208142/publicationFile/12250/artikel_rehabilitandenbefragung_2010.pdf

    Anforderungsprofil zur Durchführung der Medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation (MBOR) im Auftrag der Deut-schen Rentenversicherung

    http://www.deutsche-rentenversicherung.de/Allgemein/de/Inhalt/3_Fachbereiche/01_sozialmedizin_forschung/downloads/konzepte_systemfragen/konzepte/mbor_datei.html

    Autorin

    Dr. med. N. Glaser-Möller

    Deutsche Rentenversicherung Nord

    Reha-Strategie

    Ziegelstraße 150 – 23556 Lübeck

    nathalie.glaser-moeller@drv-nord.de

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