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“Harmlose“ Drogen aus dem Baumarkt

Vor zwei Jahren habe ich an einem Samstagabend ehrenamtlich die notärztliche Betreuung einer großen Konzertveranstaltung in Stuttgart übernommen. Der Interpret war mir auf Anhieb nicht bekannt, aber ich freute mich auf einen schönen, ruhigen Konzertabend – eventuell unterbrochen durch die eine oder andere ärztliche Hilfeleistung. Sehr schnell wurde mir aber klar, dass dies kein ruhiger Abend werden würde. Langsam dämmerte es mir, dass mir der Interpret Paul Kalkbrenner doch mehr sagte, als ich zunächst erinnerte. Es handelte sich um einen der bekanntesten deutschen Vertreter der Technoszene, der u. a. durch den Film „Berlin Calling“ bekannt wurde, in dem er – neben den Drogen – die Hauptrolle spielte.

Der erste Notfall ließ nicht lange auf sich warten. Ich wurde zu einer jungen Frau gerufen, die angeblich kollabiert und nun bewusstlos war. Ich traf die ca. 25-Jährige in den Armen ihres Freundes zusammengesunken, aber bei Bewusstsein an. Eine Sicherheitskraft erklärte mir, die junge Frau hätte „PBI“ eingenommen, was mir aber nichts sagte. Auf dem Weg zur Sanitätswache konnte sich die junge Frau aber insoweit äußern, dass sie nicht „PBI“, sondern „GBL“ eingenommen hatte. Ihr Begleiter erklärte mir, dass dies eine harmlose legale Droge sei, die man in jedem Baumarkt kaufen könne. Seine Freundin und er hätten nur 2 ml getrunken. Das sei eine ganz normale Dosis und völlig harmlos. Man müsse nur aufpassen, dass man nicht einschlafe.

Sofort läuteten bei mir alle Alarmglocken, insbesondere da die junge Frau auf der Sanitätswache bald wieder in einen tiefen Schlaf verfiel. Ich ordnete eine stationäre Einweisung mit RTW an. Kaum waren die Rettungskräfte vor Ort, war die Patientin wieder putzmunter und verweigerte die Einweisung mit Händen und Füßen. Nach weiteren 30 Minuten wurde sie dann wieder somnolent und wach im Wechsel und erbrach. Daraufhin erzwang ich endgültig die stationäre Einweisung.

Selbstverständlich war diese Patientin nicht die einzige, die in dieser Nacht eingewiesen werden musste. GBL, Ecstasy und die Kombination mit Alkohol und möglichen anderen Drogen waren in vielen Fällen der Grund.

Was ist GBL?

GBL steht für Gamma-Butyrolacton und ist ein Pro-Drug, das im Körper zur Gamma-hydroxybuttersäure (GHB) hydrolisiert. GHB wiederum unterliegt seit 2002 dem Betäubungsmittelgesetz. Daher ist GBL, das in etwa die gleichen Wirkungen wie GHB hat, beliebter – weil leichter zu beschaffen – und wird deshalb auch häufiger verwendet. GBL ist eine Partydroge, die in der Szene auf Namen wie „Fantasy“, „Gamma“, „Liquid Ecstasy“ oder „Liquid X“ heißt. Es wird aber oft auch zu Hause konsumiert und ist als KO-Tropfen und somit als Rape-Drug bekannt. Chemie und Wirkung von GBL haben trotz des Namens Liquid Ecstasy nichts mit Ecstasy (MDMA) zu tun.

In den vergangenen 10 Jahren ist es in Deutschland zu einer deutlich zunehmenden, wenn auch regional unterschiedlichen, Verbreitung gekommen. Laut einer Umfrage im Jahr 2009 an 120 psychiatrischen Kliniken in Deutschland, gab es regionale Häufungen vor allem in Baden-Württemberg und Bayern und in mehreren Großstädten. Dabei waren sowohl Einrichtungen der Jugendpsychiatrie als auch die Erwachsenenpsychiatrie betroffen. Jede dritte befragte Klinik führte auch GBL-Entzugsbehandlungen durch und konnte auf schwere Verläufe hinweisen.

GBL ist eine Industriechemikalie, die in großen Mengen produziert wird – allein in Deutschland jährlich tausende Tonnen. GBL wird als Industriereiniger vielfach verwendet, z. B. als Felgenreiniger, Nagellackentferner und Graffiti-Entferner. Im Internet wird es literweise z. B. als Felgenreiniger angeboten, wobei der Literpreis bei ca. 70 € liegt. Die Einzeldosis von einem Gramm kostet somit nicht einmal 10 Cent.

Wer konsumiert GBL und welche Wirkungen treten ein?

Die Konsumenten sind typischerweise zwischen 20 und 30 Jahre alt. Oft findet ein Mischkonsum zusammen mit Alkohol und Benzodiazepinen statt. Schwer Abhängige konsumieren alle 2 Stunden bis zu einer Tagesdosis von 50 g. GBL hat einen leicht sauren, seifenartigen Geschmack und einen klebstoffähnlichen Geruch.

Die Rauschwirkung ist abhängig von Dosierung und Toleranzentwicklung. Die therapeutische Breite ist gering und besteht ein hohes Intoxikationsrisiko. Die Halbwertszeit liegt bei ca. 30 Minuten.

In niedriger Dosis (1 g) ähnelt die Wirkung einem Alkoholrausch mit erhöhtem Selbstbewusstsein und erhöhter Risikobereitschaft sowie Euphorie. Die Wirkung ist angstlösend und antidepressiv. In mittlerer Dosis (1–2,5 g) tritt eine starke Euphorie ein, die emotionale Wahrnehmung wird intensiver, es kommt zu einem gesteigerten Mitteilungsbedürfnis, zum Bewegungsdrang und einer Steigerung von Antrieb und Libido. In hoher Dosierung (über 2,5 g) treten Somnolenz, Bewusstseinsstörung, Schwindel, Brechreiz und Sehstörungen auf. Dosierungen ab 4 g führen zu tiefer Bewusstlosigkeit, Atemdepression und Koma.

GBL hat ein erhebliches Suchtpotenzial und führt zu physischer und psychischer Abhängigkeit. Bereits nach 2- bis 3-wöchigem Gebrauch stellen sich Entzugserscheinungen ein, die mit starkem Schwitzen, Muskelzittern, psychomotorischer Unruhe, Durchfall, Übelkeit, Aggressivität, Schlaflosigkeit und evtl. psychotischen Symptomen einhergehen. Es sind schwerste Entzugsverläufe möglich, insbesondere bei Mischkonsum mit Alkohol oder zentral dämpfend wirkenden Drogen.

Bei Akutintoxikation kommt es zu Bewusstlosigkeit, Verwirrtheit, Bradykardie und schließlich Atemdepression und Kreislaufversagen. Auch epileptische Anfälle können auftreten. Typisch sind auch die schnell einsetzende Bewusstlosigkeit sowie das plötzliche Erwachen mit scheinbar vollständiger Erholung, wie es in dem beschriebenen Fall aufgetreten ist.

Patienten mit akuter Intoxikation sollten stationär eingewiesen und evtl. einer intensivmedizinischen Überwachung zugeführt werden. 

    Autor

    Dr. med. Rainer Hakimi

    Facharzt für Allgemeinmedizin

    Direktion – Ärztlicher Dienst

    Hallesche Krankenversicherung a.G.

    70178 Stuttgart

    rainer.hakimi@hallesche.de

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