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Tuberkulose im beruflichen Umfeld

Schon seit meiner Kindheit fasziniert mich das alte Familienbild (siehe Foto rechts). Es wurde 1916 vom Königlich-bayerischen Hofphotographen aufgenommen und zeigt meinen Urgroßvater Leonhardt, dahinter meine Großmutter Marie und daneben, geradezu als dominierenden Mittelpunkt der Familie, meine Großtante Anna in Diakonissen-Tracht, damals 26-jährig.

Wenige Jahre nach der Aufnahme des Familienbildes verstarb Anna an Tuberkulose. Sie hatte zuvor jahrelang in einer Tuberkulose-Heilstätte als Diakonissin gearbeitet und sich – wie die Familien-Saga fast stolz vermerkt – für ihren Beruf „aufgeopfert“. Keiner in meiner Familie wäre später auf die Idee gekommen, die Umstände von Annas frühem Tod als skandalös zu bewerten.

Tante Anna und das Tuberkulose-Berufsrisiko

Zur Pathogenese der Tuberkulose gab es sehr unterschiedliche Erklärungs-Traditionen. Während man in Italien schon im 18. Jahrhundert eine „contagiöse“ Ursache vermutete und entsprechende Schutzmaßnahmen ergriff, war man im angelsächsischen Raum eher von erblichen Ursachen überzeugt. Eine Ungleichverteilung der Körpersäfte, unheilvolle Ausdünstungen des Bodens – die Miasmen – sowie die Verstädterung oder der Verfall der Sitten wurden ebenfalls als Tuberkulose-Genese diskutiert.

Schon in der Antike beschrieb Hippokrates die Lungenphthise. 1882 isolierte Robert Koch das Mycobacterium tuberculosis als Krankheitskeim und bewies seine Übertragbarkeit im Tierexperiment. Für diese Erkenntnisse bekam Koch 1905 den Nobelpreis. Dennoch galten die salopp „Husten-“ bzw. „Motten-Burgen“ genannten Tuberkulose-Heilstätten bis Anfang des 20. Jahrhunderts als „the safest place one can be“. Die Annahme einer Ansteckungsgefahr für Beschäftigte galt als „Phthisiophobie“.

Erst nach Gründung der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) 1929 wurde Tuberkulose als Berufskrankheit gewertet und anerkannt. Noch 1950 lag der Anteil der TBC an den gemeldeten Berufskrankheiten bei 50 % und sank bis zum Jahr 2001 auf 10 %.

Hamburger Fingerprintstudie belegt Übertragungsrisiko

Albert Nienhaus konnte 2009 in der Hamburger Fingerprintstudie nachweisen, dass 80 % der Tuberkulose-Erkrankungen bei Beschäftigten im Gesundheitsdienst durch eine beruflich erworbene Übertragung verursacht werden. Ein erhöhtes Infektionsrisiko bestehe, so Nienhaus „neben den typi-schen Einrichtungen, in denen TBC-Patien-ten behandelt werden oder Sputumproben untersucht werden …, auch für den Rettungsdienst, die Notaufnahme und die Betreuung von Risikogruppen (Obdachlose, Drogensüchtige, Immigranten aus Gebieten mit hoher TBC-Inzidenz) sowie bei Beschäftigung in der Altenpflege. Im Berufskrankheitenverfahren gelten diese Beschäftigtengruppen als infektionsgefährdet, auf den Nachweis einer Infektionsquelle (Indexperson) kann deshalb verzichtet werden. Auch wenn der Anteil beruflich verursachter Tuberkulose-Erkrankungen bei Beschäftigten im Gesundheitswesen höher ist als zuvor angenommen, weisen die laufenden Studien zur Evaluation der Interferon-Gamma-Release-Assays darauf hin, dass die Prävalenz der latenten Tuberkulose-Infektion (LTBI) bei Beschäftigten im Gesundheitsdienst mit etwa 10 % geringer ist als bisher angenommen“ (Nienhaus 2009).

Tuberkulose-Umgebungs-untersuchung und Interferon-Gamma-Release-Assay

Wenn ein Großteil der Tuberkulose-Infektionen der Beschäftigten im Gesundheitsdienst zwar beruflich erworben, die Prävalenz der Tuberkulose im Gesundheitsdienst aber geringer als befürchtet ist, wie sehen dann sinnvolle Umgebungsuntersuchungen aus?

Ursula Lang beschreibt im folgenden Artikel das Vorgehen und die Kooperation zwischen Betriebsärztlichem Dienst und öffentlichem Gesundheitsdienst. An dieser Stelle sollen ein paar Beispiele aus der Betriebsarztpraxis beigesteuert werden.

Fall 1: Multimorbide Patientin „kreist“ durchs Krankenhaus

Im Jahr 2008 kommt eine 77-jährige Patientin mit dem Bild eines Briden-Ileus in die Chirurgische Klinik. Postoperativ verbringt sie zwei Tage auf der Intensivsation. Nach dreiwöchiger Behandlung in der Chirurgischen Klinik wird sie noch zwei Wochen auf einer internistischen Station betreut. Schließlich stellt sich eine Sputum-positive, mikroskopisch offene reaktivierte alte Tuberkulose als Erklärung für ihre Hinfälligkeit heraus. Die Patientin wird zur weiteren Therapie in eine pulmonologische Klinik verlegt.

Auch nach den Kriterien des engen Patientenkontakts sind schließlich 24 Beschäftigte in der Tuberkulose-Umgebungs-untersuchung zu erfassen. Acht Wochen nach ihrem jeweils letzten Kontakt zur Patientin werden fünf Beschäftigte im Interferon-Gamma-Release-Assay (IGRA) positiv getestet:

Zwei Beschäftigte der Intensivstation weisen einen IGRA-Test im so genannten Graubereich auf (0,5 IU/ml). Die klinische Untersuchung beim Betriebsarzt und ein Thorax-Röntgenbild zwölf Wochen nach letztem Kontakt sind unauffällig. Mit Einverständnis der Betroffenen wird eine vorsorgliche Berufskrankheiten-Verdachts-anzeige bei der BGW gestellt. Thoraxkon-trolle und Nachuntersuchung erfolgen neun Monate später. Es ergeben sich keine pathologischen Auffälligkeiten im Verlauf.

Eine 59-jährige Inderin, bisher Mendel-Mantoux-Test positiv, eine 43-jährige russlandstämmige Beschäftigte mit ausgeheilter Tuberkulose und eine bekannt IGRA-positive 49-jährige Ukrainerin werden über ihren positiven IGRA-Test im Rahmen der Umgebungsuntersuchung beraten und engmaschig nachuntersucht: Thorax-Röntgenbild zwölf Wochen nach letztem Kontakt und Kontrolle sowie Nachuntersuchung in neun Monaten.

Fall 2: IGRA-Konversion beim behandelnden Arzt der Medizinischen Klinik

Ein 32-jähriger Internist ist am vorherigen Arbeitsplatz Mitte 2006 untersucht worden. Der Mendel-Mantoux-Test war damals negativ. Im März 2007 hat er engen Kontakt zu einem Patienten, bei dem eine mikroskopisch offene Lungentuberkulose besteht. Im Juli 2007 ist sein IGRA-Test positiv mit 6,6 IU/ml, das Thorax-Röntgenbild weiter-hin unauffällig. Eine Berufskrankheiten-Verdachtsanzeige wird im Juli gestellt, diese wird kurz darauf von der Unfallkasse NRW anerkannt und die Kosten des Verfahrens und der Therapie werden übernommen. Die im Juli von einem Pulmonologen ein-geleitete prophylaktische INH-Therapie wird über neun Monate durchgeführt, die Leberwerte fortlaufend beim Betriebsarzt kontrolliert. Die Kontrolle des Thorax-Röntgenbildes ein Jahr später ist unauf-fällig, ohne Anhalt für ein Frühinfiltrat. Der IGRA-Test Ende 2008 beträgt schließlich 3,0 IU/ml.

Fall 3: Lungeninfiltrat bei einer Ärztin der Endoskopie-Abteilung

Eine 49-jährige Ärztin in einer Endoskopie-Abteilung hat im April 2007 während einer Bronchoskopie Kontakt zu einem Patienten mit mikroskopisch offener Tuberkulose. Da sie früher mit ständigem Kontakt zu Tuberkulosepatienten in einer Pulmonologie arbeitete, waren die Tuberkulinhautteste bei ihr zwar immer positiv, ihre Thorax-Röntgenbilder aber bisher unauffällig.

Der IGRA-Test beträgt im August 2007 15 IU/ml, das Thoraxbild zeigt Infiltrationen im rechten Lungenoberlappen, die Computertomografie mit entsprechenden Schichtungen ergibt den Verdacht auf spezifische Infitrate, die Bronchoskopie ist unauffällig, die Lavage zeigt weder mikroskopisch noch kulturell Mycobacterium tuberculosis. Eine BK-Anzeige wird gestellt und von der BGW anerkannt. Die Kosten der Tuberkulosebehandlung (durchgeführt in einer pulmonologischen Ambulanz) werden übernommen. Weitere Röntgenkontrollen zeigen schließlich nur noch diskrete, narbige Residuen im rechten Lungenoberfeld. Der IGRA-Test beträgt nach zwei Jahren 8 IU/ml.

Resümee für die Prävention

Viele Jahre schleusten wir bei jedem Tuberkulosefall in der Klinik zum Teil hundert Beschäftigte und mehr durch Umgebungsuntersuchungen beim Betriebsärztlichen Dienst. Der Tuberkulinhauttest (TT) war gelegentlich stark positiv und hinterließ unschöne Narben. Lästig und fürs Personal extrem zeitaufwändig war auch das Ablesen der Hautveränderung nach 72 Stunden. Häufig ließ sich das Ablesen zum richtigen Zeitpunkt auch gar nicht realisieren, da die Beschäftigten frei hatten oder die Kontrollen schlicht vergaßen. Monate später wurde dann darüber diskutiert, ob der TT nun positiv gewesen war oder nicht. Bis auf fragwürdige Thorax-Röntgenuntersuchungen hatte das Ganze gar keine Konsequenz, es bedeutete lediglich einen gewaltigen Papier-krieg.

Die oben beschriebenen Kasuistiken zeigen, dass heute durch die Definition des „engen Patientenkontakts“ die Personenzahl in Umgebungsuntersuchungen klein gehalten werden kann und auch im Sinne des Infektionsschutzgesetzes kleingehalten werden soll.

Der heute durchgeführte IGRA-Test hat eine deutlich höhere Spezifität und eine höhere Sensitivität als der frühere Tuberkulinhauttest (TT). Der IGRA-Test ist damit in seiner Aussage verlässlicher und die Empfehlung einer präventiven Therapie bei posi-tivem IGRA-Test sinnvoller als früher bei positivem TT.

Beschäftigte, die zwar nicht nach den Definitionskriterien in einer Umgebungsuntersuchung nach dem Infektionsschutzgesetz erfasst werden müssen, können im Rahmen der G 42-Untersuchung bei entsprechender beruflicher Exposition den IGRA-Test in Anspruch nehmen. Dieser steht ihnen als anlassbezogene Angebotsuntersuchung zu.

Beschäftigte, die regelmäßig berufsbedingten Kontakt zu Tuberkulosebakterien haben, wie in pneumonologischen Abteilungen in Krankenhäusern oder Facharztpraxen sowie in entsprechenden Laboren, müssen im Rahmen der G 42-Untersuchungen regelmäßig untersucht werden.

Zwar ist die Tuberkulose bei weitem nicht mehr so verbreitet, wie zu Anfang des letzten Jahrhunderts, die Kasuistiken zeigen jedoch, dass mit dieser Infektion immer noch zu rechnen ist. 

Literatur

Nienhaus A. Tuberkulose im Gesundheitswesen.Pneumologie 2009; 63: 23–30.

    Weitere Infos

    Autorin

    Dr. med. Ulrike Hein-Rusinek

    Leitende Betriebsärztin im Gesundheitsmangement

    REWE-Group

    Domstraße 20 – 50668 Köln

    hein-rusinek@asupraxis.de

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