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§ 5 Abs. 5: Kann er den Weg zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement früh bahnen?

Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien bei psychischen Erkrankungen

Einleitung

Bei einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit (SGB V § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7) ist das humanitäre Ziel das der Gesundung, das Ziel im Rahmen des Sozialsystems das der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit auch bei ggf. weiter bestehenden eingeschränkten gesundheitlichen Gegebenheiten. Diesem zweiten Ziel, dass der arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer seine bisherige Tätigkeit wieder aufnehmen kann, dient auch das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM; SGB IX § 84 Abs. 2), das Möglichkeiten eruieren soll, wie die Arbeitsunfähigkeit zu überwinden ist und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden können. Das BEM greift aber – vorgegeben durch den Gesetzestext (6 Wochen Fehlzeiten im Jahr) – meist erst mit Latenz. Die Maßnahmen, die aus ersten klärenden Gesprächen im Rahmen des BEM erwachsen, brauchen in aller Regel ebenfalls Zeit, so dass eine frühere Kenntnis von Schwierigkeiten, die der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit im Wege stehen, wünschenswert wäre. Hier sollte das Augenmerk auf die nach meiner bisherigen Erfahrung wenig verwendete Möglichkeit des Vermerks auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach § 5 Abs. 5 Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien gerichtet werden.

§ 5 Abs. 5 Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien

§ 5 Abs. 5 Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien (Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses) gibt vor: „Liegen dem Vertragsarzt Hinweise auf (z. B. arbeitsplatzbezogene) Schwierigkeiten für die weitere Beschäftigung des Versicherten vor, sind diese der Krankenkasse in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mitzuteilen.“ Kann der Versicherte nach ärztlicher Beurteilung die ausgeübte Tätigkeit nicht mehr ohne nachteilige Folgen für seine Gesundheit oder den Gesundungsprozess verrichten, regelt § 7 Abs. 4 (Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses) den weiteren Verfahrensweg: „Die Krankenkasse kann mit Zustimmung des Versicherten beim Arbeitgeber die Prüfung anregen, ob eine für den Gesundheitszustand des Versicherten unbedenkliche Tätigkeit bei demselben Arbeitgeber möglich ist.“

Arbeitsunfähigkeit ist nicht mit Krankheit gleichzusetzen

Wie im SGB V (§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7) wird also auch in diesen Richtlinien darauf abgehoben, dass Arbeitsunfähigkeit nicht mit Krankheit allein gleichzusetzen ist, sondern dass sie erst dann vorliegt, wenn der Versicherte auf Grund von Krankheit seine zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann. Es geht also um die Frage der Passung zwischen dem Gesundheitszustand wie auch dessen Stabilität und den Anforderungen (Belastungen) durch die Tätigkeit.

Die Frage der Passung muss für alle Bereiche von Belastungen im Beruf gestellt werden. War der Arbeitnehmer z. B. aufgrund von Beschwerden durch eine Wirbelsäulenerkrankung wie etwa einem Bandscheibenvorfall – ob diese in ursächlichem Zusammenhang mit beruflichen Belastungen steht, ist für die hier behandelte Fragestellung unerheblich – arbeitsunfähig krank, so ist zu fragen, ob die zu erwartende körperliche Belastung am Arbeitsplatz geeignet ist, bei dieser Person mit ihren reduzierten körperlichen Ressourcen Beschwerden und damit die Arbeitsunfähigkeit wieder hervorzurufen. Körperliches und arbeitsfokussiertes Training des Betroffenen (das ja schon in der Rekonvaleszenz beginnen sollte), die Bereitstellung von Hebehilfen und eine Umorganisation der Arbeit durch den Arbeitgeber können geeignete Reaktionen im Rahmen der Verhaltens- wie Verhältnisprävention auf eine solche Mitteilung sein.

§ 5 Abs. 5 im Rahmen psychischer Erkrankungen und psychischer Belastungen am Arbeitsplatz

(Psychische) Erkrankungen, bei denen psychomentale Belastungen als arbeitsplatzbezogene Schwierigkeiten der Restitution der Arbeitsfähigkeit im Wege stehen, können besonders langwierige Verläufe annehmen. Besonders hier ist anzustreben, durch die frühzeitige Erkenntnis dieser Schwierigkeiten und entsprechende Konsequenzen zu einer Verringerung der Arbeitsunfähigkeitszeiten beizutragen. Verhaltensprävention durch psychopharmakologische und psychotherapeutische Interventionen im weiteren Sinne (zu denen man außer der eigentlichen Psychotherapie auch z. B. Übungen zur Stressbewältigung zählen kann) wird schon während der Arbeitsunfähigkeitsphase begonnen. Die einzelnen Aspekte der Verhältnisprävention werden weiter unten besprochen. Einen Hinweis darauf, dass der (frühzeitige) Blick auf die Verhältnisse am Arbeitsplatz notwendig und erfolgversprechend ist, gibt schon die Diskrepanz zwischen der – in den Medien häufig vereinfacht als Zunahme der Krankheitshäufigkeit dargestellten – Zunahme der durch psychische Erkrankungen verursachten Arbeitsunfähigkeitszeiten (DAK-Gesundheitsreport 2013) einerseits und den Erkenntnissen aus dem Europäischen wie auch aus dem Nationalen Gesundheitssurvey (Jacobi 2012; Wittchen et al. 2011; Wittchen u. Jacobi 2013), die eben keine relevante Zunahme der Symptomatik in der Bevölkerung feststellen konnten. Es ist daher zu fragen, inwieweit die psychomentalen Belastungen am Arbeitsplatz (neben den persönlichen Ressourcen und den psychomentalen Belastungen im privaten und gesellschaftlichen Bereich; Windemuth et al. 2010) Auswirkungen auf den Anstieg der durch psychische Erkrankungen verursachten Arbeitsunfähigkeitszeiten haben und im Rahmen von § 5 Abs. 5 der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien bzw. BEM zu betrachten sind.

Frühzeitige Interventionen sind wichtig

Psychomentale Belastungen können aus der Tätigkeit selbst, aus der Arbeitsorganisation, den betrieblichen Rahmenbedingungen, der materiellen Arbeitsumgebung, aber auch aus dem sozialen Umfeld bei der Arbeit erwachsen (Windemuth et al. 2010). Die ersten vier Ursachenfelder werden in der Regel ähnlich wie oben für die körperlichen Belastungen beschrieben insbesondere durch organisationale Änderungen behandelt, soweit dies der Betrieb zulässt. Eine Besonderheit besteht für das letzte Ursachenfeld, nämlich wenn die Krankheit (z. B. Depression, Angst-, phobische Erkrankung) ihre Ursache im sozialen Umfeld hat oder sie zumindest darauf projiziert wird. Dann werden nämlich nicht nur organisationale Änderungen im materiellen Umfeld, sondern auch von anderen, zumindest vordergründig „funktionierenden“ Personen gefordert. Auch hier gibt es klare Konstellationen, z. B. Mobbing-Situationen, die abgestellt werden müssen. Häufig ist aber die Situation bei Weitem nicht so klar, z. B. wenn die Erkrankung auf die chronische Konfliktsituation mit Vorgesetzten oder Teamkollegen zurückgeführt wird. Jeder, der den Verlauf solcher Konstellationen begleitet, weiß, wie wichtig hier frühzeitige Interventionen sind, solange Kommunikation noch möglich und relativ einfach zu veranlassen ist. Hier könnte ein wesentlicher Gewinn darin liegen, mit Hilfe der Meldung nach § 5 Abs. 5 Arbeitsunfägkeitsrichtlinien diese Belastungen ins Bewusstsein der beteiligten Akteure zu bringen. Fragt sich zum Schluss, weswegen dieses Instrument bisher so wenig Verbreitung gefunden hat: Es ist zu vermuten, dass dies mit der Unsicherheit bei Ärzten und Patienten zusammenhängt, welche Reaktionen auf eine solche Meldung von Krankenkassen und insbesondere vom Arbeitgeber zu erwarten sind. Hier ist informative Aufklärung nötig.

Arbeitsmedizinisches Fazit

Der § 5 Abs 5 Arbeitsunfähigkeitsrichtlinien ist von seinem Ansatz her geeignet, die Ursachen einer andauernden Arbeitsunfähigkeit, gerade auch bei Erkrankungen aus dem Bereich der psychischen und Verhaltensstörungen, aufzuzeigen und möglicherweise zu beseitigen. Betriebsärztliche Aufgabe hierbei sollte es sein, auf dieses Instrument und seine Aufgabe im Bereich der niedergelassenen Ärzteschaft wie auch im Betrieb hinzuweisen, aber auch, die betrieblichen und außerbetrieblichen Reaktionen darauf zu beobachten und im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten und Notwendigkeiten zu intervenieren. 

Literatur

Jacobi F: Treten psychische Erkrankungen häufiger auf? Vortrag 11. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung und 4. Nationaler Präventionskongress Dresden 2012.

Windemuth D, Jung D, Petermann O: Das Dreiebenenmodell psychischer Belastungen im Betrieb. In: Windemuth D, Jung D, Petermann O (Hrsg.): Praxishandbuch psychische Belastungen im Beruf. Wiesbaden: Universum Verlag, 2010, S. 13–15.

Wittchen HU, Jacobi F et al.: ECNP/EBC REPORT 2011 The size and burden of mental disorders and other disorders of the brain in Europe 2010. European Neuropsychopharmacology 2011; 21: 655–679.

Wittchen HU, Jacobi F: Zur Häufigkeit psychischer Störungen in der Bevölkerung 2012. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) im November 2012. Zitiert nach Jachertz N: Psychische Erkrankungen: Hohes Aufkommen, niedrige Behandlungsrate. Dtsch Arztebl 2013; 110: A-269/B-250/C-250

    Weitere Infos

    DAK-Gesundheitsreport 2013

    http://www.presse.dak.de/ps.nsf/Show/998583CFE0F4B967C1257B18004DA198/$File/Gesundheitsreport_2013_Druckfassung%2015.2.2013.pdf

    Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB V

    https://www.g-ba.de/downloads/62-492-633/AU-RL_2012-06-21.pdf

    SGB IX § 84 Abs. 2

    http://www.sozialgesetzbuch.de/gesetze/09/index.php?norm_ID=0908400

    SGB V § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7

    http://www.sozialgesetzbuch.de/gesetze/05/index.php?norm_ID=0509200

    Autor

    Dr. med. Detlev Jung

    HA Personal, Betriebsärztliche Station

    55100 Mainz

    jung.d@zdf.de

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