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– Auf dem Weg zur MMS 2.0 –

Usability für Medizingeräte

Im Jahr 2012 gab es 8211 in Deutschland registrierte Behandlungen mit Medizingeräten, bei denen Komplikationen auftraten – die höchste Anzahl, die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) seit 2000 registriert hat ( Abb. 1). Das BfArM erstellt jährlich eine Statistik zu Risikomeldungen bzw. unerwünschten Ereignissen im Zusammenhang mit Medizingeräten. Deutschland steht bei diesem Trend nicht allein da. Auch in Großbritannien und den USA werden immer mehr Risikomeldungen verzeichnet (FDA 2011; MHRS 2011).

Warum besteht dieses Problem und welche Folgen resultieren daraus?

In der wissenschaftlichen Aufarbeitung des BfArM (2013) sind Design- und Konstruktionsfehler bei Medizingeräten als Fehlerquelle identifiziert. Allein 2012 konnten dieser Kategorie ca. 700 Risikomeldungen mehr als im Jahr 2011 zugeschrieben werden (BfArM 2013). Die in dieser Kategorie ausgewiesenen unerwünschten Ereignisse sind auch auf Usability-Probleme zurückzuführen. Besonders häufig entstehen unerwünschte Ereignisse in Folge von Interaktionsschwierigkeiten zwischen Anwendern und Medizingeräten. Jedes zweite unerwünschte Ereignis kann auf eine schlecht gestaltete Mensch-Maschine-Schnittstelle (MMS) bzw. auf eine unzureichende Integration in das bestehende Kliniksystem zurückgeführt werden (Backhaus 2010).

Wie kann diesen unerwünschten Ereignissen begegnet werden?

Durch die Anpassung der Technik an den Menschen bzw. mit Hilfe von menschengerecht gestalteten Betriebsmitteln ist es möglich, die physische und psychische Beanspruchung des Anwenders zu senken und die Zufriedenheit, Sicherheit und Produktivität zu steigern. Im Feld des Gesundheitswesens bedeutet das, dass durch Medizingeräte und deren MMS die Zufriedenheit des Klinikpersonals und die Sicherheit der Patienten entscheidend beeinflusst werden können. Usability hat zudem Auswirkungen auf das finanzielle Budget der Kliniken. Medizingeräte, die aufgrund schlecht gestalteter MMS das Entstehen von Fehlern begünstigen, verursachen Unzufriedenheit bei dem anwendenden Klinikpersonal, gefährden die Sicherheit des Patienten und verursachen erhebliche Kosten beispielsweise in Form von zusätzlichen Schulungen, Nachbehandlungskosten und eventuellen Klagen.

Welche Hinweise liefert die Forschung?

In einer Studie der Professur Arbeitswissenschaft und Innovationsmanagement der Technischen Universität Chemnitz werden derzeit Medizingeräte im Operationssaal untersucht. Der Fokus liegt auf der Gestaltung der MMS und der Bewertung der Gebrauchstauglichkeit. Dazu wurde OP-Personal als Anwender von Medizingeräten, anhand eines Fragebogens in zwei großen Kliniken (330–450 Betten) befragt. Der Fokus der Befragung lag auf der Identifikation von Medizingeräten, deren Benutzung besondere Schwierigkeiten hervorruft, sowie nach den Gründen für diese Schwierigkeiten.

Die Ergebnisse zeigen, dass die angestrebten Behandlungsziele erreicht werden können. Eine Analyse der Faktoren der Usability ( Abb. 2) zeigt, dass diese Effektivität, durch einen erhöhten Einsatz von Ressourcen erreicht wird (geringe Effizienz). Dementsprechend zeigt sich auch, dass Anwender mit der Gebrauchstauglichkeit der Medizingeräte unzufrieden sind (geringe Zufriedenstellung).

Bei OP-Besteck beispielsweise treten Probleme mit der Dimensionierung von Griffen auf. Speziell Scheren seien aus Sicht der anthropometrischen Gestaltungsregeln verbesserungsfähig (Schubert et al. 2013). In Bereichen, in denen elektronisch gesteuerte Geräte verwendet werden, zeigt sich, dass einige Geräte eine komplexe Menüführung aufweisen und die Änderung von Geräteeinstellungen unübersichtlich konzipiert wurden. Ein weiterer Kritikpunkt sind uneindeutig gestaltete Anschlüsse, die besonders bei elektrisch-chirurgischen Hilfsmitteln zu Verwechslungen führen können.  Abbildung 3 zeigt beispielhaft zwei Aussagen der Befragten.

Aufbauend auf der Studie wurde ein Patientenmonitoring mittels heuristischer Evaluation (Nielsen u. Molich 1990) und Feldbeobachtungen detailliert geprüft, um die beschriebenen Schwierigkeiten zu präzisieren. Das Ergebnis dieser Tiefenevaluation bestätigte die Erkenntnisse der Befragung. Zahlreiche Gestaltungsfehler, die Usability-Prinzipien verletzten und somit die Arbeit mit diesem Gerät erschweren, wurden identifiziert. Zum Beispiel führten Bedienungsprobleme zu einer 20-minütigen Verzögerung einer Operation.

Um solchen Fehlern zukünftig entgegenzuwirken, müssen Hersteller von Medizingeräten, Universitäten und Kliniken dem Thema bewusster begegnen und gemeinschaftlich agieren. Auch Themen wie die Fehlerkultur in Kliniken und Beschaffungsrichtlinien sind dabei von Interesse.

Die Studie ist im Rahmen des durch den ESF und Sachsen geförderten Projekts „InnoTech4Health“ entstanden (Projektnummer: 100098208). 

Literatur

Backhaus C: Usability-Engineering in der Medizintechnik. Berlin: Springer, 2010.

Nielsen J, Molich R: Heuristic evaluation of user interfaces. Proceedings of the ACM CHI 90 Human Factors in Computing Systems Conference, 1990, pp. 249–256.

Norm DIN EN ISO 9241 Teil 110: Ergonomie der Mensch-System-Interaktion – Teil 110: Grundsätze der Dialoggestaltung (ISO 9241-110: 2006). Deutsche Fassung EN ISO, 9241-110. 2008.

Schubert D, Dittrich F, Leiber P, Bullinger A: Usability von Medizingeräten im Bereich der OP-Anwendung – eine Anwenderstudie. In: Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e.V. (Hrsg.): Chancen durch Arbeits-, Produkt- und Systemgestaltung – Zukunftsfähigkeit für Produktions- und Dienstleistungsunternehmen. Dortmund: GfA Press, 2013, S. 677–680.

    Weitere Infos

    Autor

    Dipl.-Wirtsch.-Ing. D. Schubert

    Technische Universität Chemnitz

    Institut für Betriebswissenschaften und Fabriksysteme

    Professur Arbeitswissenschaft und Innovationsmanagement

    09107 Chemnitz

    daniel.schubert@mb.tu-chemnitz.de

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