Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Blicksteuerung für Haushaltsgeräte

Blickerfassungssysteme sind seit geraumer Zeit kommerziell verfügbar und bewährt. Blickdaten werden vor allem in der menschlichen Verhaltensforschung und bei Marketing-Analysen eingesetzt, um Psychologen oder Marktforschern als Metrik für objektive Messungen zu dienen.

Um das Blickverhalten beim Autofahren in Simulatorstudien und Realfahrten besser untersuchen zu können, wurde am Lehrstuhl für Ergonomie der TU München 2005 das Blickerfassungssystem DIKABLIS entwickelt, das es ermöglicht, die Blickrichtung und das Blickverhalten von Personen aufzuzeichnen und zu analysieren (Lange et al. 2006). Dieses System besteht aus einem brillenartigen Gestell mit Miniaturkameras, die ein Auge und das Blickfeld der Versuchsperson aufzeichnen, und einem Funksender, der die Daten an einen Auswertungslaptop sendet und so dem Träger freie Bewegung innerhalb des Empfangsbereichs ermöglicht. Die Videos der Augenkamera und der Blickfeldkamera werden überlagert. Nach einer Kalibrierung der beiden Kameras zueinander zeigt die Blickerfassungssoftware den Fixationspunkt als Fadenkreuz im Blickfeldvideobild. Das Blickverhalten wird als Blickfilm aufgezeichnet und kann während der Aufnahme betrachtet werden. Im Nachhinein ist im Blickfilm eine Festlegung spezieller Areas of Interest (AOIs) und eine automatisierte Auswertung der Blickzuwendung auf diese Flächen möglich.

Gerätesteuerung durch gezieltes Einsetzen der Blickrichtung

Im Rahmen des Projekts „Blickgesteuerte Interaktion mit Peripheriegeräten“ wurde die Funktionalität von DIKABLIS erweitert, um die Zuwendung des Blickes auf vorher definierte AOIs in Echtzeit erkennen zu können, während eine Person die Blickerfassungsbrille trägt (Breuninger et al. 2011). Wird detektiert, dass der Träger für eine gewisse Zeit in eine AOI blickt, lassen sich beliebige Interaktionsbefehle auslösen. Durch gezieltes Einsetzen der Blickrichtung lassen sich so Geräte nur mit den Augen ohne Einsatz der Hände steuern (Jacob 1991). Die Blickerfassung überwacht somit nicht nur die Interaktion, sondern ist selbst das Medium der Interaktion. Mit so einer Blicksteuerung lassen sich auch multimodale Interaktionskonzepte realisieren (Lange 2010). Durch eine Netzwerkschnittstelle sind fast alle Software-basierten Peripheriegeräte ansteuerbar.

Für dieses Projekt wurden gelähmte Menschen als primäre Zielgruppe gewählt. Vor allem Menschen mit Querschnittslähmung und Locked-in-Syndrom (je etwa 6000 in Deutschland) sowie anderen Formen von Tetraplegie (Lähmung der vier Gliedmaßen) könnte eine Blicksteuerung eine Möglichkeit der Interaktion mit Geräten in ihrer Umgebung bieten. Der Versuchsaufbau, der in diesem Projekt realisiert wurde, besteht aus einem Fernseher, bei dem sich mit der Blicksteuerung die Kanäle wechseln und die Lautstärke ändern lassen. Dazu werden an den Rändern des Fernsehers Referenzmarker angebracht, die von der DIKABLIS-Software im Videobild der Blickfeldkamera in Echtzeit erkannt werden. Die Interaktionsflächen sind in Abhängigkeit dieser Marker definiert: Verweilt der Blick etwas links neben dem Fernseher schaltet der einen Kanal zurück, rechts einen Kanal weiter. Um der Versuchsperson einen Fixationspunkt zu bieten, sind die Interaktionsflächen durch entsprechend beschriftete Schilder gekennzeichnet. Die Interaktionsflächen lassen sich beliebig gestalten und im Raum platzieren.

In Versuchen mit Experten für Mensch-Maschine-Interaktion zeigte sich, dass die Blicksteuerung einfach erlernbar ist und bei geeigneter Parametrierung nicht zu Fehlauslösungen führt. Die gezielte Fixation von Interaktionsflächen bedarf allerdings der Konzentration und wird von Ungeübten bei längerer Benutzung als anstrengend empfunden. Dennoch erscheint sie für das geplante Anwendungsszenario geeignet. 

Literatur

Breuninger J, Lange C, Bengler K: Implementing gaze control for peripheral devices. In: Proceedings of the 1st International Workshop on Pervasive Eye Tracking & Mobile Eye-Based Interaction. New York: ACM (PETMEI ’11), 2011, pp. 3–8.

Jacob RJK: The use of eye movement in humancomputer interaction techniques: What you look at is what you get. ACM Transactions of Information Systems 1991; 9: 152–169.

Lange C, Wohlfarter M, Bubb H: DIKABLIS – Engineering and application area. Proceedings IEA 2006 16th World Congress on Ergonomics; Maastricht, the Netherlands, 2006.

Lange C: Blickgesteuerte Interaktion mit Peripheriegeräten – technische Lösung und ergonomische Absicherung. In: Pantke K-H (Hrsg.): Mensch und Maschine. Frankfurt: Mabuse Verlag, 2010.

    Weitere Infos

    Carsten Schröter: Amyotrophe Lateralsklerose

    https://www.wicker.de

    Diagnosedaten der Patienten und Patientinnen in Krankenhäusern (einschl. Sterbe- und Stundenfälle)

    https://www.gbe-bund.de/gbe10/owards.prc_show_pdf?p_id=14491&p_sprache=d&p_uid=&p_aid=&p_lfd_nr=1

    Versuchsaufbau DIKABLIS

    https://www.youtube.com/watch?v=OLR17TE3i4k

    Autor

    Dipl.-Ing. Jurek Breuninger

    Lehrstuhl für Ergonomie

    Technische Universität München

    Boltzmannstraße 15

    85747 Garching

    breuninger@lfe.mw.tum.de

    Jetzt weiterlesen und profitieren.

    + ASU E-Paper-Ausgabe – jeden Monat neu
    + Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
    + Exklusive Webinare zum Vorzugspreis

    Premium Mitgliedschaft

    2 Monate kostenlos testen