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Impfen im Betrieb — was bringt das Präventionsfördergesetz?

H aben wir es nicht alle noch in Erinnerung? 2007 kam es zu einem Masernausbruch an einer Freien Waldorfschule in Düsseldorf. Da nur ein kleiner Teil der Schüler und Lehrkräfte über einen Masern-Impfschutz verfügte, wurde die Schule im laufenden Abitur vom Gesundheitsamt geschlossen. Damals war die Autorin als Betriebsärztin in einer benachbarten Klinik tätig. Masernfälle erreichten nicht nur die Kinderabteilung, sondern auch die normalen Notaufnahmen, etliche Patienten waren über 40 Jahre alt. Und wer vom Krankenhauspersonal war immungeschützt? Wer durfte weiterarbeiten? Im Schnellverfahren wurden die Beschäftigten getestet und geimpft, wenn im Impfpass kein Impfschutz dokumentiert war. Da aber häufig Impfpässe nicht mehr vorhanden waren, wurden fortan alle Beschäftigten bei der nächsten G 42- bzw. bei der Einstellungsuntersuchung auf Antikörper getestet.

Eine solch harmlose Kinderkrankheit? Durch die impfkritische Einstellung insbesondere vieler Anthroposophen zur MMR-Impfung treten immer wieder Masernausbrüche an Freien Waldorfschulen auf. Masern sind gemäß der anthroposophischen Vorstellung eine „harmlose Kinderkrankheit“, aus der das Kind angeblich gestärkt hervorgehe. Bei „guter Pflege“ sei die Erkrankung homöopathisch „gut behandelbar“ (   Abb. 1 ).

Diskussionen zu diesem Thema werden oft sehr emotional geführt. Man würde Kindern das Erlebnis sozialer Protektion durch das familiäre Umfeld vorenthalten, wenn man sie gegen Kinderkrankheiten impfe. Als berufstätige Mutter einer Tochter, die gerade einen reitunfallbedingten Armbruch erlebt hatte, fragte die Verfasserin zurück, warum denn dieses „protektive Erlebnis“ durch eine gefährliche und durch Impfung vermeidbare Infektionskrankheit herbeigeführt werden müsse. Andere, nicht vermeidbare Krankheiten – wie Armbrüche – erlebten die Kinder sowieso und diese gäben dann den Anlass für solch soziale Erlebnisse (und Stress für die Eltern).

Grausamer Hirnzerfall bei Masern- enzephalitis

Klinikärzte konnten schwere, komplikationsreiche Masernverläufe bei Erwachsenen verfolgen. Natürlich kann man Masernpneumonien behandeln und überleben. Besonders eindrucksvoll waren die Kasuistiken, die ein Kinderarzt beim Impftag in Düsseldorf präsentierte: Im Verlauf des Düsseldorfer Masernausbruchs kam es bei einigen Kindern eine ganze Weile später zur gefürchteten Panenzephalitis. Sie endet immer tödlich, die Kinder sterben im zerebralen Dauerkrampf. Die geschilderten Fälle sowie die Computertomografiebilder vom progredienten Hirnzerfall der betroffenen Kinder waren so grausig, dass etliche Zuhörer den Vortragssaal verließen. Sind solche Krankheitsverläufe in unserer modernen Wissensgesellschaft hinnehmbar? Gestorben sind Kinder, die wegen eines Immundefekts nicht geimpft werden konnten. Angesteckt wurden sie durch ungeimpfte Kinder aus einer besserwisserischen Umgebung.

Masernimpfpflicht als Lösung?

Zuletzt führte der erneute Masernausbruch an einer Schule bei Köln zur Diskussion einer Masernimpfpflicht. Analysen der Schuleingangsuntersuchungen am Düsseldorfer Gesundheitsamt haben vor Jahren schon gezeigt, dass der Impfstatus etwa bei Kindern mit Migrationshintergrund besser ist als der bei Kindern aus akademischen Kreisen.

Können und sollen Betriebsärzte im Präventionssetting der Arbeitswelt neben den Ärzten des Öffentlichen Gesundheitsdienstes bei Kindergarten- und Schuleingangsuntersuchungen die Impfquoten fördern?

Berliner Dialog zum Thema Prävention und Impfen

Im April dieses Jahres veranstaltete GlaxoSmithKline im Rahmen seines Dialog-Forums in der Berliner „Kalkscheune“ die Diskussionsrunde „Gesetz zur Förderung der Prävention – wo bleibt das Impfen?“ Auf dem Podium waren Sabine Reiter vom Bundesministerium für Gesundheit vertreten, Ulrike Elsner vom Verband der Ersatzkassen (vdek), Sieghart Dittmann als ehemaliges Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO), Albrecht von Schrader-Beielstein, ein praktizierender Allgemeinmediziner, sowie die Verfasserin als praktizierende Betriebsärztin (   Abb. 2 ). Über die Berliner Diskussion sei im Folgenden berichtet.

Impferfolge und Impfskepsis in Deutschland

Sabine Reiter nannte die Elimination der Polio in Europa einen großen Erfolg der Impfprävention 2002. Das Infektionsschutzgesetz von 2001 hat dazu beigetragen, die Impfquote zu erhöhen. Bei den Schuleingangsuntersuchungen für die zweite Masernimpfung stieg sie von 25 % im Jahr 2001 auf über 90 % im Jahr 2011 an. Aber nach wie vor – so Frau Reiter – seien viele Eltern impfskeptisch. Eine Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Elternstudie 2011) ergab, dass zwar 61 % der Eltern Masern für gefährlich halten, aber 68 % der Befragten meinten, dass Kinderkrankheiten für die kindliche Entwicklung gut seien. Da ist sie wieder, die anthroposophische Vorstellung. Nach Sabine Reiter werden ca. 90 % aller Impfungen von niedergelassenen Ärzten, überwiegend den Kinderärzten vorgenommen. Seit 2007 sind STIKO-empfohlene Impfungen Pflichtleistungen der Gesetzlichen Krankenkassen. Während die Impfziffern bei Kindern mittlerweile sehr gut seien, würden wegen mangelnder Erinnerungssysteme die Auffrischungsimpfungen im Jugend- und Erwachsenenalter häufig vergessen. Eine Verbesserung wäre hier durch betriebsärztliche Aktionen und die Veränderung der Finanzierung von Präventionsleistungen möglich. Im geplanten Präventionsfördergesetz wird ausdrücklich auf vertragliche Inhalte der Gruppentarife zwischen Krankenkassen und Arbeitgebern hingewiesen. Auch Betriebsärzte können nun direkte Impfvereinbarungen mit Krankenkassen schließen.

HPV-Immunschutz ausgerechnet in Deutschland unzureichend

Sieghart Dittmann fand es bemerkenswert, dass ausgerechnet im Heimatland von Harald zur Hausen, dem Wegbereiter der HPVImpfung und Nobelpreisträger, die HPV-Impfquote absolut unzureichend sei. Die Bedeutung der Impfungen solle in den Ausbildungsgängen der Gesundheitsberufe betont werden. Es fehle ein qualifiziert organisiertes Impfprogramm mit Surveillance und Erfassung auch kleinräumiger Impfquoten, ferner seien die Auffrischungsimpfungen bei Jugendlichen und Erwachsenen ein großes Problem. Albrecht von Schrader-Beielstein bemerkte, dass in seinen Sprechstunden auch impfskeptische Fragen gestellt würden, in seine Praxis kämen natürlich überwiegend Impfinteressierte.

Wie lassen sich Impfabstinente erreichen? Der Betrieb als Präventions-Setting für Impfungen

Die Verfasserin verwies als Vertreterin der Betriebsärzte auf die großen Chancen im betrieblichen Setting. Bereits beim oben beschriebenen Masernausbruch wurden die Impfangebote im Betriebsärztlichen Dienst gerne in Anspruch genommen. Routinemäßig wurde sodann bei allen Einstellungsuntersuchungen der Impfstatus kontrolliert und bei Bedarf Impflücken geschlossen. Die Beschäftigten empfanden das durchgehend als eine fürsorgliche Geste ihres neuen Arbeitgebers. Neben den im Gesundheitsdienst üblichen Hepatitis-Impfungen waren häufig auch Tetanus-, Diphtherie- und Pertussis-Auffrischungsimpfungen nötig. Als beauftragte Ärztin des Bundesamtes für den Zivildienst betreute die Autorin damals ebenfalls die Zivildienstleistenden. Fast jeder der 18- bis 20-Jährigen benötigte eine Auffrischimpfung. Hier ist nun, nach Abschaffung des Wehr- und Zivildienstes, die nächste große Impflücke zu befürchten. Während junge Frauen im Allgemeinen bei ihrem Gynäkologen einen Impfpass-Check und ggf. auch Impfungen erhalten können, fielen die jungen Männer durchs Raster. Kaum einer dieser jungen Gesunden hat einen Hausarzt, und erst recht nicht kommt er nur zum Impfen in die Praxis. Aber alle diese jungen Leute beginnen mit einer Berufsausbildung oder steigen in einen Beruf ein. Im Rahmen von Azubi-Begrüßungsveranstaltungen, die in vielen Betrieben aufwändig gestaltet werden, könnte der Betriebsarzt sie willkommen heißen und bei dieser Gelegenheit den Impfpass checken. Im Rahmen betrieblicher Gesundheitstage wäre solch ein Angebot mit unmittelbar durchführbaren Auffrischimpfungen ebenfalls möglich.

Wer trägt die Impfkosten?

Das wäre alles leicht zu organisieren und würde auch den betriebsärztlichen Dienst als Teil des Betriebs vorstellen. Aber vielen Arbeitgebern ist schwer zu vermitteln, dass sie für Impfkosten aufkommen sollen, die in der Praxis des niedergelassenen Arztes selbstverständlich von den Krankenkassen übernommen werden. In der abschließenden Diskussion wurde deutlich, dass mit dem geplanten Präventionsfördergesetz Gruppenvertragsregelungen zwischen Krankenkassen und Betriebsärzten leichter möglich werden als bisher in vereinzelten Fällen. Bei Klein- und Mittelunternehmen könnte etwa die Industrie- und Handelskammer den Vertragspart der bei ihr organisierten Kleinbetriebe übernehmen. Die Krankenkassen, so Ulrike Elsner, könnten als Betriebskrankenkassen mit ihren jeweiligen Großbetrieben aktiv werden, die übrigen Kassen über Vertragskonstrukte mit der IHK. Auf solche Weise ließe sich die betriebliche Landschaft in Zusammenarbeit mit allen Gesetzlichen Krankenkassen im Sinne des Präventionsfördergesetzes in sinnvolle Parzellen aufteilen.

Der Bundestag hat das Präventionsgesetz am 27. Juni 2013 beschlossen. Dass der Bundesrat das sehr umstrittene Gesetz noch in dieser Legislaturperiode durchwinkt, gilt jedoch als sehr unwahrscheinlich: Erst am 20. September 2013 – zwei Tage vor der Bundestagswahl – beraten die Länder das Präventionsgesetz. Es ist zwar nicht zustimmungspflichtig, die SPD-Ländermehrheit könnte jedoch den Vermittlungsausschuss anrufen. Damit wäre die schöne Vision dahin, endlich auf ein Präventionsgesetz zurückgreifen zu können! Man kann also gespannt sein, was nach den Wahlen im September 2013 aus der Gesetzesvorlage wird. 

    Autorin

    Dr. med. Ulrike Hein-Rusinek

    Leitende Betriebsärztin im Gesundheitsmangement

    REWE-Group

    Domstraße 20 – 50668 Köln

    hein-rusinek@asupraxis.de

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