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Reisemedizin

Kälteschäden — Hypothermie und Erfrierungen

Kälteschäden – Hypothermie und Erfrierungen

Hypothermie und Erfrierungen sind in der heutigen Zeit erfreulicherweise eher sehr seltene klinische Krankheitsbilder. Entsprechend gering ist die Erfahrung der einzelnen Ärzte, Leitlinien fehlen gänzlich. Daher wird die korrekte Diagnose auch in Risikosituationen oft übersehen und entsprechende Maßnahmen unterlassen. Aufgrund eigener Erfahrungen bei Expeditionen an den hohen Bergen der Welt, Fällen in der Klinik sowie einer Literaturrecherche wird in diesem Beitrag ein Überblick zu diesen Krankheitsbildern gegeben.

Schlüsselwörter:
Hypothermie – Erfrierung – Kälteschäden – Erste Hilfe – Prävention

Cold injuries – Hypothermia and frostbite

Hypothermia and frostbite are in the current times fortunately very rare clinical pictures. The experience of individual doctors is correspondingly slight, and guidelines are entirely lacking. The correct diagnosis is therefore often overlooked in risk situations and the corresponding treatment omitted. On the basis of the author’s own experience on expeditions in the high mountains of the world, clinical cases and research of the literature, this article gives an overview of these clinical pictures.

Keywords:
hypothermia – frostbite – frost damages – First Aid – prevention

U. Gieseler

(eingegangen am 14.01.2013, angenommen am 15.02.2013)

ASU Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2013; 48: 254–259

Einleitung

Kälteschäden stellen heute in unseren Breiten ein eher seltenes medizinisches Problem sowohl in Klinik als auch Praxis dar, allerdings ist die Häufigkeit auch abhängig von den Regionen innerhalb Deutschlands. Betroffene sind neben hilflosen Personen in der Regel überwiegend Alpinisten, die sich in kalten Bergregionen Erfrierungen zugezogen haben. Aber auch in den Mittelgebirgen können derartige Gesundheitsschäden bei verschiedenen Outdoor-Sportarten (z. B. Skilanglauf) bei ungünstigen Wetterbedingungen vorkommen, zumeist im Rahmen eines Unfallgeschehens, bei dem Betroffene im Gelände blockiert sind.

Aber es gibt auch bestimmte Berufe, die stärker betroffen sind. Dazu zählen Land- und Forstwirtschaft, Bauwesen, Bergführer, Bergwacht, alpine Rettungseinsätze auf Helikoptern. In Deutschland kann man von etwa 1 Million Kältearbeitsplätzen ausgehen, wovon 30 % in technisch gekühlten Kältekammern und Kühlhäusern insbesondere der Lebensmittelbranche zu finden sind. In Räumen mit Temperaturen unter –25 °C dürfen sich die Beschäftigten nicht länger als 2 Stunden ununterbrochen aufhalten. Nach dieser Zeit müssen sie den Kühlraum für mindestens 15 Minuten zum Aufwärmen verlassen.

Durch Kälteschäden gefährdet können Obdachlose, Demenzkranke oder z. B. auch Personen sein, die im Winter im Eis von Seen und Flüssen eingebrochen sind.

Auf dem Gebiet der Arbeitsmedizin stellt sich für den einen oder anderen Kollegen unter Umständen die Frage einer Beratung vor Arbeitseinsätzen oder auch anderen Reisen, wie Trekkingtouren oder Expeditionen. In Frage kommen Tätigkeiten bei Erdölbohrungen in kalten Regionen wie Alaska oder Kanada, Kraftwerksbauten in Südamerika oder Asien, also Einsätze in hoch gelegenen Regionen der Anden oder des Himalaya. Aber andererseits auch eine Beratung von Kälteschutzmaßnahmen in Kühlhäusern. Nicht vergessen werden sollte, dass Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten gegen Kälte bei +15 °C beginnen.

Die Kältetoleranz des Einzelnen ist individuell sehr unterschiedlich, abhängig von körperlicher und mentaler Konstitution, eigener früherer Erfahrung, Nässe, Wind, Ernährungszustand und Muskelmasse. Tätigkeiten im Freien bei tiefen Temperaturen verlangen eine gewisse Leidensfähigkeit, aber auch eine gute psychische Stabilität.

Der wichtigste Kälteparameter ist neben der gemessenen Minustemperatur der Wind. Kälte und Wind sind die wesentlichen Faktoren, die für spätere Kälteschäden verantwortlich sind („Windchilleffekt“, s. unten).

Bei kalten Temperaturen verändert sich nicht nur das Wohlbefinden eines Arbeitnehmers, es kann auch eine erhöhte Unfallgefahr bestehen, was mit der verschlechterten Beweglichkeit, Reaktionsvermögen und Leistungsfähigkeit zusammenhängt.

Klimazonen unserer Erde

Die Klimazonen hängen entscheidend von geografischen und topografischen Parametern ab. Im Einzelnen sind dies die Breitengrade; es ist zu berücksichtigen, ob das Reiseziel nördlich oder südlich des Äquators gelegen ist. Der jeweiligen Höhenlage ist ebenso eine große Bedeutung beizumessen, wie auch der Tatsache, ob es sich um ein Meeresklima oder Kontinentalklima handelt.

Das Ausmaß der thermischen Belastungen, denen der menschliche Körper in Hitze oder Kälte ausgesetzt ist, hängt von verschiedenen äußeren Umweltfaktoren ab. Besonders sind hier Intensität und Länge der tageszeitlichen Sonneneinstrahlung zu berücksichtigen, ebenso wie Wind und Windchillfaktor, Luftfeuchtigkeit und Lufttemperatur (   Abb. 1 ).

So unterscheiden wir fünf verschiedene Klimazonen im Bereich unterschiedlicher Breitengrade auf unserem Globus. Da ein heißes oder aber kaltes Klima völlig unterschiedliche Auswirkungen auf den menschlichen Körper hat, sind Kenntnisse über die klimatischen Bedingungen des Reiselandes bzw. bei Arbeitnehmern des Entsendelandes für eine qualifizierte Beratung unerlässlich.

Physiologie

Der menschliche Körper ist auf eine konstante Wärmeregulation mit Aufrechterhaltung einer Kerntemperatur von 37 °C angewiesen. Dies gelingt nur über verschiedene Regulationsprozesse mit dem Ziel, ein Gleichgewicht zwischen Wärmeproduktion einerseits und Wärmeabgabe andererseits aufrechtzuerhalten. Dabei spielen äußere Maßnahmen wie vermehrte warme Flüssigkeitszufuhr oder geeignete Kleidung eine unterstützende Rolle. Wesentlicher sind aber die autonomen Regulationsvorgänge des Körpers, wie der Wärmetransport vom Körperkern an die Peripherie mittels der Blutzirkulation, einer zunehmenden peripheren Dilatation der Gefäße mit vermehrter Hautdurchblutung und Schweißsekretion und -verdunstung sowie Wärmeabgabe über Konvektion und Abstrahlung.

Kalte äußere Temperaturen führen zu einer Vasokonstriktion der Hautgefäße, verminderter Blutzirkulation, metabolischer Wärmeproduktion und insbesondere Kältezittern, was zwar eine extrem effektive Wärmequelle, jedoch auch einen starken energieverbrauchenden Prozess darstellt. Durch Kältezittern kann eine Steigerung der Wärmeproduktion auf das 5- bis 6fache erreicht werden. Auf hohem Niveau kann diese Wärmeproduktion für 4–6 Stunden stabil gehalten werden. Gerade bei Patienten mit einem Diabetes mellitus ist dies zu beachten, da Hypoglykämien drohen, wenn keine Zufuhr von Energie in Form von Kohlehydraten erfolgt.

In einem gewissen Maß kann sich der menschliche Organismus an die äußeren klimatischen Bedingungen anpassen. 1 bis 2 Wochen braucht man, um sich an Hitze- oder Kältebedingungen zu akklimatisieren. In der Kälte reagiert der Körper nicht mehr mit heftigem Muskelzittern, wodurch der Energieverbrauch sinkt und bei vorgeschädigtem Herz-Kreislauf-System die Gefahr kardialer Ereignisse sinkt. Generell wird eine trockene Kälte wesentlich besser toleriert als feuchte Kälte um die null Grad.

Kältebereiche

Bevor Kältearbeiter ihre Tätigkeit z. B. in Kältekammern aufnehmen, müssen sie sich bestimmten typischen Vorsorgeuntersuchungen unterziehen. Hier werden das Herz-Kreislauf-System, Atmungsorgane, Haut, Nervensystem, Nieren und Gelenke auf deren Eignung untersucht. Nach DIN 33403-5 unterscheidet man in der Arbeitsmedizin fünf Kältebereiche (   Tabelle 1 ; N.N. 1996).

Hypothermie

Ganz allgemein lassen sich Kälteschäden in eine Hypothermie und lokale Erfrierungen einteilen.

Die Ursachen einer Unterkühlung sind in der Regel Unfälle wie z. B. wenn Outdoorsportler bei kaltem Wetter draußen blockiert sind, ein Sturz in eine Gletscherspalte, Verschüttung durch eine Lawine, kalte Gewässer oder einfach körperliche Erschöpfung in kalter Umgebung, z. B. auch bei beruflichen Tätigkeiten. Sie führt zur Zentralisation mit zunehmender Minderdurchblutung der Peripherie. Nach Empfehlungen der ICAR MedCom (Zafren 2001) hat sich eine einfache Stadieneinteilung der Hypothermie im Gelände bewährt (   Tabelle 2 ). Für die Erstmaßnahmen im Gelände ist es von besonderer Wichtigkeit, das „Abwehrstadium“ (HT 1, vorhandenes Muskelzittern) vom „Erschöpfungsstadium“ (HT 2–5) zu unterscheiden: bei Ersterem ist Kalorienzufuhr und aktive Wiedererwärmung angesagt, während die Verhinderung weiterer Auskühlung das primäre therapeutische Ziel aller anderen Stadien ist.

Extrem tiefe Körperkerntemperaturen, die letztlich folgenlos überlebt wurden, sind immer wieder berichtet worden (z. B. Küpper u. Mann 1992). Die tiefste, klinisch dokumentierte Kerntemperatur eines Menschen betrug 13,7 °C. Erst knapp drei Stunden nach dem Unfall konnte eine erfolgreiche Wiedererwärmung in einer Klinik eingeleitet werden. Das Ereignis wurde ohne Folgeschäden überlebt (Skagseth et al. 2001).

Lang anhaltendes Muskelzittern ist ein Prozess mit einem hohen Energieverbrauch und Entleerung der Glykogenspeicher. Ausgeprägtes Kältezittern kann die Körperkerntemperatur um 3–4 °C erhöhen und den Grundumsatz um das 5- bis 6fache steigern. Ein Nachlassen bedeutet daher keine Besserung der Hypothermie, sondern im schlimmsten Falle ein Abgleiten in die Bewusstlosigkeit. Diabetiker können bei fehlender oder aber nicht adäquater Kohlenhydrat- und Wärmezufuhr sehr schnell in eine Hypoglykämie abrutschen. Gleiches gilt für Personen, die bei Eintritt der Unterkühlung bereits ihre Energiereserven weitgehend aufgebraucht haben. Die dramatischen Ereignisse beim Zugspitzlauf vor einigen Jahren sind dafür ein beeindruckendes Beispiel. Gleiches gilt, wenn ein tief Unterkühlter wieder erwärmt wird: Das neu einsetzende Muskelzittern bedeutet – falls nicht daran gedacht und entsprechend (parenteral) gegen gesteuert wird – eine enorme Hypoglykämiegefahr für den Patienten.

Im Gelände wird man sich überwiegend auf rein klinische Zeichen der Hypothermie verlassen müssen. Die Beurteilung durch Ersthelfer oder Arzt orientiert sich daher zunächst einmal an der simplen Frage: Muskelzittern: ja – nein? Zittert der Patient (noch), so befindet er sich im „Abwehrstadium“: erste Maßnahmen wie zusätzlicher Kälteschutz (z. B. Decken), Zufuhr warmer, gezuckter Getränke und Verlassen des Arbeitsplatzes mit Hilfe sind dann angezeigt. Im Gelände ist die schnellst mögliche Benachrichtigung des Rettungsdienstes eine wichtige Maßnahme. So konnten Küpper et al. zeigen, dass es in einer Region wie Zermatt mit entsprechender Infrastruktur gelingt, etwa drei Viertel aller Unfallopfer aus dem Hochgebirgsgelände ohne Unterkühlung zu retten, wenn die Benachrichtigung des Rettungsdienstes umgehend mittels Mobiltelefon erfolgt (Küpper et al. 2003). Umgekehrt sind bei verzögertem Notruf (z. B. fehlendes Mobiltelefon) praktisch alle unterkühlt.

Sofortmaßnahmen bei Hypothermie

Die wesentliche Sofortaßnahme der HT 1 ist der Schutz des Patienten vor Wind und weiterer Auskühlung sowie aktive Bewegung solange die Muskeln noch zittern. Die Zufuhr von warmen, gezuckerten Getränken oder Schokolade und Müsliriegeln füllen die entleerten Depots wieder auf. Diabetikern muss der Blutzucker kontrolliert werden und bei zusätzlicher diabetischer Polyneuropathie an Erfrierungen denken.

Im HT 2 ist insbesondere bei stärkerer Verlangsamung oder Orientierungslosigkeit immer eine Klinikeinweisung erforderlich. Ein Wiedererwärmen im Gelände oder am Arbeitsplatz ist nicht möglich, sondern nur Schutz vor weiterer Auskühlung.

Zur Notfallversorgung bei HT 1 und 2 eignen sich im Gelände ein Biwaksack oder Schlafsack und Lagerung des Patienten auf einer Isomatte. Am Arbeitsplatz Anziehen warmer Bekleidung, in einen vorgewärmten Raum bringen und aktive Bewegung bei HT 1. Ist der Betroffene noch ansprechbar, so gibt man ihm Kohlenhydrate und warme Getränke.

Eine aktive oder auch passive Bewegung sollte jedoch immer vermieden werden im Stadium HT 2, da dies durch den weiteren akuten Abfall der Kerntemperatur um bis zu 6 °C durch einströmendes sehr kaltes Schalenblut („Afterdrop“) zum Bergungstod durch Kammerflimmern führen kann. Vor der Feststellung des Todes im HT 4 und 5 gilt immer noch das Gregory‘s Prinzip von 1972: „Nobody is dead until rewarmed and dead“! (Sumann 2005). Ein Transport in eine dafür speziell ausgerüstete Klinik mit der Möglichkeit zum Extrakorporalkreislauf ist immer indiziert.

Prophylaxe der Hypothermie

Die Prophylaxe der Hypothermie besteht am Arbeitsplatz durch die Benutzung passender persönlicher Schutzausrüstung, abgestimmt auf die zu erwartenden Temperaturen, im Gelände aus Fleece- oder Wollbekleidung oder auch Daune sowie Goretex als Windschutz, Handschuhe, Kopfbedeckung, Biwaksack, warme Getränke und Kohlenhydrate sowie ein guter Trainingszustand. Zu beachten ist natürlich die Einhaltung von vorgeschriebenen Arbeitsschutzmaßnahmen. In den hoch gelegenen Regionen wie den Anden oder in Tibet empfindet man z. B. –20 °C Lufttemperatur nicht so wie in der Ebene. Die hypobare Hypoxie in der Höhe führt zu einer Vasokonstriktion über eine sympatikotone Reaktion, sie fehlt in den niederen Regionen.

Erfrierungen

Erfrierungen sind im Gegensatz zur Hypothermie lokale Kälteschäden, die ein verschieden starkes Ausmaß erreichen können. Ursächlich spielen neben den Minustemperaturen Faktoren wie Wind, Luftfeuchtigkeit und Hypothermie eine entscheidende Rolle. Auf der unbedeckten Hautoberfläche entwickeln sich unter Windeinfluss und Feuchtigkeit sehr schnell extrem tiefe Temperaturen, die innerhalb weniger Minuten an der unbedeckten Haut zu Erfrierungen führen („Windchill“,   Tabelle 3 ). Betroffen sind Finger, Zehen, Nasenspitze Ohrmuscheln und Wangen (   Abb. 2 ).

Im Hospital in Chamonix beziffert man die Anzahl der Erfrierungen bei Bergsteigern mit 80 pro Jahr und 1750 in 22 Jahren. 57 % betrafen die Fußregion, 46 % die Hand-Finger-Region. Also insgesamt ist die Anzahl der Fälle trotz der Nähe der hohen Gipfel recht überschaubar.

Zusätzlich zu den niedrigen Temperaturen spielen in den hoch gelegenen Regionen der Anden oder des Himalaya Windgeschwindigkeiten von 100 und mehr Kilometern pro Stunde eine entscheidende Rolle bei Erfrierungen. Diese Beziehung wird in der Meteorologie durch den Wind-Chill-Faktor beschrieben (s. Tabelle 3). Weitere Risikofaktoren sind die Behinderung der peripheren Zirkulation durch zu enge Schuhe oder Handschuhe und natürlich Immobilisation. Behinderung des Blutflusses und Viskositätserhöhung (Dehydratation) bedingen eine zunehmende Verschlechterung der Mikroperfusion in der Peripherie mit der Gefahr von Erfrierungen. Alkohol, Schlafmittel, Nikotin erhöhen das Risiko zusätzlich.

Nicht vergessen sollte man auch bestimmte internistische Erkrankungen, wie eine periphere Neuropathie bei langjährigem Diabetes mellitus (   Abb. 3 ) oder den Morbus Raynaud, der mit einem Vasospasmus der peripheren Gefäße der Finger einhergeht (s. Abb. 6).

In Verbindung mit Nikotin verstärkt sich die Kälteempfindlichkeit deutlich. Diese Patienten sind durch ihre geringe Kältetoleranz sehr anfällig für Erfrierungen.

Schweregrade von Erfrierungen

Erfrierungen kann man schulmedizinisch in 3 Stadien einteilen, nur hilft dies bei der Akutversorgung nicht weiter. Denn die Nekrosen einer Erfrierung 3. Grades sind nicht sofort erkennbar. Zu Recht ist eine solche Unterteilung im Laufe der Jahre wieder mehr in den Hintergrund getreten (Küpper et al. 2010; Sumann 2005). Bei der Erstdiagnose ist daher niemals eine sichere Angabe der Schwere der Erfrierungen möglich. Erst nach mehreren Tagen bis zu einer Woche und länger lässt sich eine einigermaßen sichere prognostische Aussage treffen.

Zur Akutversorgung ist die einfache Einteilung in oberflächliche und tiefe Erfrierungen ausreichend.

  • Oberflächliche Erfrierungen
    • Betroffen sind Haut und die Subkutis
    • Nach Wiedererwärmung treten Blasen auf, die mit klarer Flüssigkeit gefüllt sind und ein prognostisch gutes Zeichen darstellen ( Abb. 4).
  • Tiefe Erfrierungen
    • Betroffen sind Muskulatur, Bänder und Gelenke
    • Nach Wiedererwärmung treten ebenfalls Blasen auf, die jetzt jedoch blutgefüllt sind und damit auf tiefe Erfrierungen hinweisen und somit ein prognostisch schlechteres Zeichen sind.

Akutversorgung von lokalen Kälteschäden

Bei Erfrierungen und Hypothermie werden beide Kälteschäden simultan versorgt, wobei der Hypothermie immer der Vorrang eingeräumt wird. Die Wiedererwärmung einer Erfrierung erfolgt im ansteigend handwarmen Wasserbad von etwa 37 °C. In Amerika erwärmt man mit über 40 °C warmen Wasser, was aber nur nach Applikation eines Sedativums oder Schmerzmittels möglich ist (Zafren 2001). Einreiben mit Schnee ist strikt kontraindiziert.

Man erkennt in Abb. 4 Blasen mit klarer bis leicht blutig tingierter Flüssigkeit der End-/Mittelglieder beider Hände sowie blutige Flüssigkeit am Daumen nach Wiedererwärmung im Basecamp eines hohen Berges in Tibet. Die Therapie erfolgte mit ASS und Antibiotika sowie sterilen Verbänden. Blasen werden unterwegs nicht eröffnet, zu groß wäre die Gefahr einer schweren Infektion. Man verbindet sie lediglich steril. Eine erneute Erfrierung der geschädigten Areale, z. B. bei einem langwierigen Abtransport eines Verletzten, muss unter allen Umständen vermieden werden. Erst wenn dies sicher ausgeschlossen werden kann, darf die Wiedererwärmung einsetzen. Falls möglich, ist eine Hämodilution hilfreich zur Absenkung des Hämatokrits und damit Verbesserung der Fließeigenschaften des Blutes. Als medikamentöse weitere Maßnahmen haben sich ASS, ein Breitbandantibiotikum und Ibuprofen oder andere Schmerzmittel bewährt. Effektiv ist aus eigener klinischer Erfahrung auch eine Stellatumblockade. Die Vasokonstriktion löst sich durch diese Sympathikolyse, was zu einer deutlichen Verbesserung der Durchblutung führt.

Man sieht in   Abb. 5 oben die deutlich weiß verfärbten „Leichenfinger“ als Folge der Vasokonstriktion. Im Bild unten die wieder gut durchblutete Hand nach Sympathikolyse. Es handelte sich um eine ältere Patientin mit Erfrierungen nach einem nächtlichen Aufenthalt im Freien bei –15 °C. Zusätzlich zur Stellatumblockade gaben wir ASS, Breibandantibiotikum sowie eine lokale Wundversorgung. Die Schäden heilten folgenlos ab.

Auch Patienten mit Morbus Raynaud leiden sehr stark unter der Kälte (   Abb. 6 ). Eine medikamentöse Behandlung mit einem Phosphodiesterase Hemmer wie Cialis ® oder Viagra ® wurde in der Literatur als effektiv beschrieben, ebenso mit Ca-Antagonisten (Nifedipin; Caspary u. Creutzig 2006).

Bei Hypoxie und großer Kälte reagiert unser Körper über eine sympatikotone Zentralisation mit Engstellung der peripheren Gefäße. Dies lässt sich zumindest teilweise mit einem Ca-Antagonisten kompensieren. Menschen mit der Neigung zu einer überschießenden Vasokonstriktion bei Morbus Raynaud werden in der Regel von dieser Behandlung profitieren. Nebenwirkungen im Sinne einer Hypotonie sind bei retardierten Präparaten eher selten, was durch die Aktivierung des Sympathikus bei Kälte und hypobarer Hypoxie auch nicht zu erwarten ist.

Prophylaxe von Erfrierungen

Da schwere Erfrierungen sehr oft mit einem Verlust von Gliedmaßen einhergehen, kommt der Prophylaxe eine entscheidende Bedeutung zu. Handschuhe mit Daunen- oder Primaloftfüllung sowie ein winddichter Gesichtsschutz leisten gute Hilfe. Ebenso die Verwendung von Wärmepackungen, die man im Handel käuflich erwerben kann. In diesen kalten Regionen (   Abb. 7 ) haben sich sog. „Vapor barrierer“ für Hände und Füße bewährt (Küpper et al. 2010). Das sind Dampfsperrschichten, die verhindern, dass das Innere eines Handschuhs oder einer Wollsocke feucht werden, denn sie trocknen in großer Kälte nicht! Über eine dünne Socke zieht man einen Plastikbeutel und über ihn die Wollsocke. Dadurch verdunstet keine Feuchtigkeit mehr, die der Haut die Wärme entzieht und Ursache der kalten Zehen ist. Für die Hände kann man Seidenhandschuhe und darüber einfache Erste Hilfe Handschuhe aus Plastik nehmen. Die Augen sind unter einer mit der Haut gut abschließenden Skibrille geschützt.

Literatur

Caspary L, Creutzig A: Raynaud-Phänomen – Aktuelle Diagnostik und Therapie Dtsch Med Wochenschr 2006; 131: 1223–1227.

Küpper T, Ebel K, Gieseler U: Moderne Berg- und Höhenmedizin. Stuttgart: Gentner, 2010.

Küpper T, Mann A: Zur Hypoxietoleranz und Prognose schwerstunterkühlter Verletzter: Beispiel eines Sturzes in eine Gletscherspalte in 4000 Meter Höhe. Notarzt 1992: 172–174.

Küpper T, Steffgen J, Jansing P: Cold exposure during helicopter rescue operations in the Western Alps. Ann Occup Hyg 2003; 47: 7–16.

N.N. DIN 33403.5: Klima am Arbeitsplatz: Kältearbeitsplätze. 1996.

Siple P, Passel C: Measurements of dry atmospheric cooling in subfreezing temperatures. Proc Am Philosoph Soc 1945; 89: 177–199.

Skagseth A, Gilbert M, Busund R, Nilsen PA, Solbo JP: Reanimation nach akzidenteller Hypothermie von 13,7°C mit Herz-Kreislauf-Stillstand In: Brugger H, Sumann G, Schobersberber W, Flora G (Hrsg.): Jahrbuch 2001 der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- & Höhenmedizin. Innsbruck: Österreichische Gesellschaft für Alpin- & Höhenmedizin, 2001, S. 31–38.

Sumann G. Grenzen der Kältetoleranz. In: Domej W, Schobersberber W, Waanders R, Berghold F (Hrsg.): Jahrbuch 2005 der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- & Höhenmedizin. Innsbruck: Österreichische Gesellschaft für Alpin- & Höhenmedizin, 2005, S. 31–44.

Zafren K: Prehospital diagnosis and staging of hypothermia (ICAR). In: Brugger H, Sumann G, Schobersberber W, Flora G (Hrsg.): Jahrbuch 2001 der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- & Höhenmedizin. Innsbruck: Österreichische Gesellschaft für Alpin- & Höhenmedizin, 2001, S. 11–15.

Verfasser:

Dr. med. Ulf Gieseler

Internist, Kardiologe/Angiologe

Intensiv-, Sport- und Reisemedizin

Alpin- und Expeditionsarzt

Kardinal-Wendel-Straße 71 – 67346 Speyer

ulf-gieseler@high-mountains.de

Fußnoten

Medizinische Kommission der Union Internationale des Associations d’Alpinisme (UIAA MedCom), Bern/Schweiz

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