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Gutachtenentschädigung im Land der Dichter und Denker

Kürzlich war in der Presse zu lesen, dass sowohl die Klinikärzte als auch die Kolleginnen und Kollegen in der Praxis mehr Geld bekommen bzw. im vergangenen Jahr deutlich höhere Einkommen erzielt haben. Und wie steht es um Gutachter, die im Rahmen von Berufskrankheitenverfahren Zusammenhangsgutachten für die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung erstatten?

Für die Erstellung von freien Gutachten gilt der Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger vom 29. 11. 2000. Nach dem seit 13 Jahren (!) unverändert gültigen Leistungskatalog erhält der Arzt für ein Gutachten mit Fragestellung zum ursächlichen Zusammenhang je nach Schwierigkeitsgrad und Umfang eine Entschädigung von € 84,05 bis maximal € 236,16 (Leitnr. 161). Die zusätzlich erbrachten Leistungen, z. B. körperliche Untersuchung, Labordiagnostik, Lungenfunktionstestungen, Röntgenuntersuchung, werden gesondert berechnet. Nicht berücksichtigt im Leistungskatalog ist jedoch die Erhebung der Arbeitsanamnese, die im arbeitsmedizinischen Zusammenhangsgutachten eine zentrale Rolle hat. Die umfassende Erhebung der Arbeitsanamnese wird beispielsweise in der S2-Leitlinie „Diagnostik und Begutachtung asbestbedingter Berufskrankheiten“ gefordert. Dort heißt es wörtlich: Es ist eine vollständige Arbeitsanamnese über das gesamte Arbeitsleben mit besonderer Berücksichtigung der Asbestfaserstaub- und ggf. PAK-Exposition und andere Karzinogene zu erheben und das Ergebnis mit den aktenkundigen Ermittlungsergebnissen zu vergleichen.

Auch in der „Reichenhaller Empfehlung“ ist zur Begutachtung der Berufskrankheiten BK 1315, BK 4301 und BK 4302 Folgendes ausgeführt: Eine detaillierte gezielte gutachterliche Anamnese zu aktuellen und früheren Expositionen, zur Entwicklung der Beschwerden (in Abhängigkeit von Exposition) sowie die komplette körperliche Untersuchung stellen die diagnostische Basis der gutachterlichen Beurteilung dar.

Wie die Erfahrungen in der arbeitsmedizinischen Praxis zeigen, dauert die sorgfältige Erhebung der Arbeitsanamnese, vor allem bei Versicherten mit einer lang jährigen Berufsvorgeschichte, in der Regel mehrere Stunden. Dieser außergewöhnlich hohe zeitliche Aufwand unterscheidet das arbeitsmedizinische Gutachten häufig von Gutachten anderer Fachrichtungen, in denen manchmal eine Arbeitsanamnese sogar fehlt.

Arbeitsmedizinische Kausalbeurteilungen bilden häufig die Grundlage für kostenintensive Entscheidungen der Unfallversicherungsträger. Dabei kann es um Kompensationsvolumina von mehreren hunderttausend Euro gehen. Hier ist höchste Gutachtenqualität gefordert, und die ist nun einmal nicht durch Kurzgutachten zu Discountpreisen zu haben. Die derzeitige Honorierungspraxis der Sachverständigen, also der technischen Experten, der Anwälte und der Ärzte, verweist Letztere an das untere Ende der Skala. Um dieses Missverhältnis von Leistung und Honorierung zu beheben, ist die Novellierung des Vertrags zwischen Ärzten und Unfallversicherungsträgern zeitnah erforderlich. Aber genau das ist das Problem! Vertragspartner sind auf der einen Seite die Bundesverbände der Unfallversicherungsträger und auf der anderen Seite die Kassenärztliche Bundesvereinigung. Die eigentlichen Akteure in der wissenschaftlichen Zusammenhangsbegutachtung, die Pneumologen, Orthopäden, Dermatologen und insbesondere die Arbeitsmediziner, sind am Verhandlungstisch nicht adäquat vertreten. Zusätzlich gilt für Arbeitsmediziner zu berücksichtigen, dass eine Finanzierung wie in anderen Fachgebieten infolge der sich anschließenden Behandlung des Patienten für die Arbeitsmedizin nicht möglich ist.

Die spezifische Situation in der Arbeitsmedizin, die uns von den anderen Fachgebieten unterscheidet, muss sich in der Entschädigungspraxis widerspiegeln. Da ein Weg durch die Instanzen wenig aussichtsreich ist, sollte zwischen den Unfallversicherungsträgern einerseits und den Vertretern der wissenschaftlichen Fachgesellschaft DGAUM sowie des Verbandes der Betriebsärzte (VDBW) eine Sondervereinbarung getroffen werden, um dieses Missverhältnis zu beseitigen. Dieses Vorgehen wäre nach unserer Auffassung ein praktikabler Weg, der auch zeitnah umgesetzt werden könnte. 

M. Kentner, Karlsruhe
G. Triebig, Heidelberg

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