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Wiedereingliederung

Return to Work — Arbeitsmedizin für ein berufliches Comeback

Andreas Weber, Ludger Peschkes, Berufsförderungswerk Dortmund;
Wout de Boer, Academy of Swiss Insurance Medicine, Basel

Die Schaffung und Erhaltung guter Arbeitsplätze ist nach Auffassung von Jim Clifton, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Markt- und Meinungsforschungsunternehmens Gallup, die größte globale Herausforderung des kommenden Jahrzehnts. Nach Umfrageergebnissen seines Instituts ist gute (= fair entlohnte, gesundheitgerechte, zeitlimitierte, sichere) Arbeit weltweit der größte Wunsch der Menschen. Ist dem wirklich so oder handelt es sich eher um die Fehlwahrnehmung eines überzeugten amerikanischen Kapitalisten?

Zweifelsohne ist Arbeit seit jeher ein zentrales Thema menschlichen Lebens und ihre gesundheitsfördernden oder krank machenden Wirkungen wurden und werden oft einseitig und unausgewogen (z. B. „Arbeit macht krank“) herausgestellt. Mögliche pathogene Aspekte des Berufslebens sollen hier weder bagatellisiert noch dramatisiert werden. Der oft zitierte Wandel von Arbeitswelt und Gesellschaft in eine „24/7 Standby“ Dienstleistungsgesellschaft („Eine Börse auf der Welt hat immer geöffnet“) hat den Fokus in den letzten 2 Jahrzehnten zunehmend auf die psychosozialen Belastungen in einem globalisierten Marktfundamentalismus gelenkt. Die Globalisierung hat vielfältige Veränderungen mit sich gebracht und zu einer – auch in Deutschland spürbaren – zunehmenden sozialen und gesundheitlichen Ungleichheit geführt.

Der Primat der Ökonomie, der auch von der Mehrheit der deutschen Bevölkerung gewissermaßen als „unveränderbares Naturgesetz“ gesehen wird (TINA = „there is no alternative“), hat eine allgemeine Deregulierung und einen permanenten Wettbewerb in allen Lebensbereichen nach sich gezogen, der zu einer kompetitiven Gesellschaft, Entsolidarisierung und Gefährdung der sozialen Kohäsion führt und nicht nur von kritischen Zeitgenossen mittlerweile als totalitär empfunden wird. Arbeitsverdichtung, Termindruck, überlange Arbeitszeiten, Arbeitsplatzunsicherheit, Prekarisierung der Beschäftigung, Working Poor oder Diskontinuität der Erwerbsbiografien sind insbesondere für diejenigen belastend, die weniger gesund, mobil, begütert, gebildet, vernetzt oder einfach nur etwas älter oder krank sind.

Demgegenüber steht ein ganz erhebliches salutogenes Potenzial der Erwerbsarbeit. Bereits Sigmund Freud definierte Gesundheit als die Fähigkeit, lieben und arbeiten zu können. Auch Jim Clifton rekurriert auf gesundheitsrelevante Aspekte von Arbeit. Erwerbsarbeit ist für die meisten von uns nach wie vor Grundlage der materiellen Existenz, sie ermöglicht Konsum und Teilhabe, verleiht Status und Macht, ist auch im Internetzeitalter ein Ort realer sozialer Kontakte, ist für viele Grundlage der Tages-, der Zeit-, ja der Lebensstrukturierung und mittlerweile mehr als „nur das halbe Leben“. Kranken hilft Arbeit auf dem Weg zurück in die Normalität und ins psychosoziales Wohlbefinden. Betroffene lernen die salutogenen Wirkungen zumeist erst dann zu schätzen, wenn sie ihre Arbeit verloren haben. Die negativen Wirkungen von Langzeitarbeitslosigkeit und Ausgliederung, insbesondere auf die seelische und soziale Gesundheit, sind wissenschaftlich vielfach belegt und sowohl für das Individuum als auch die Gesellschaft gleichermaßen schädlich. Auch Politik und Wirtschaft haben im letzten Jahrzehnt Gesundheit zunehmend auf die Arbeitswelt fokussiert und sehen sie als fundamentale Voraussetzung für Beschäftigungsfähigkeit, die wiederum für das Erreichen angestrebter Wachstums- und Wohlstandsziele unabdingbar ist. Diese Sichtweise ist allerdings nicht neu. So lautete bereits 1919 nach den leidvollen Erfahrungen des ersten Weltkriegs mit einer Vielzahl verletzter und verstümmelter Soldaten eine plakative Forderung des Orthopäden Konrad Biesalski: „Der Krüppel muss zum Steuerzahler werden“. Dies heißt nichts anderes, als dass Verletzte, chronisch Kranke und Behinderte sinnvoll ins Erwerbsleben zu integrieren sind.

Beschäftigungsfähigkeit erhalten – Ausgliederung verhindern

Die allgemein akzeptierte „Verlinkung“ von Gesundheit und Arbeit, veränderte sozialpolitische Rahmenbedingungen („Arbeiten bis 67, Fördern und Fordern“) und der demografische Wandel mit prognostiziertem bzw. tatsächlichem Fachkräftemangel lassen arbeitsmedizinisches Know How immer wichtiger werden und beinhalten für das Fach Arbeitsmedizin in Wissenschaft und Praxis ein großes Zukunftspotenzial, das allerdings konsequent und öffentlichkeitswirksam erschlossen werden muss. In diesem Kontext kommt dem Erhalt bzw. der Wiederherstellung von Beschäftigungsfähigkeit sowie der Verhinderung von Ausgliederung höchste Priorität zu. Dabei gibt es kein „entweder oder“, sondern nur ein „sowohl als auch“, d. h. Stay at Work (Maßnahmen der Primär- und Sekundärprävention wie z. B. BGF, BGM oder arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen) und Return to Work (Maßnahmen der Tertiärprävention wie z. B. Betriebliches Eingliederungsmanagement-BEM, § 84 Abs. 2 SGB IX, stufenweise Wiedereingliederung, § 74 SGB V sowie medizinische und/oder berufliche Rehabilitation) sind zwei Seiten einer Medaille, die sich im Laufe eines immer länger werdenden Arbeitslebens sinnvoll ergänzen müssen (s. hierzu auch Abb. 1). Warum ist das so?

Trotz der von Politik und arbeitsmedizinischen Meinungsführern favorisierten weiteren Verstärkung primär- und sekundärpräventiver Aktivitäten (siehe u. a. aktueller Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention im Gesundheitswesen“) wird es auch künftig nicht gelingen, alle Arbeitnehmer bis in den „Ü60-Bereich“ gesund und leistungsfähig im Erwerbsprozess zu halten (derzeitiges Renteneintrittsalter: ca. 61,3 Jahre, durchschnittliches Alter bei krankheitsbedingtem Erwerbsminderungsrentenzugang: ca. 50,5 Jahre, Zugangsalter bei psychisch bedingter Erwerbsminderung: ca. 48 Jahre). Das tatsächliche Erreichen der vormaligen gesetzlichen Altersgrenze von 65 Jahren wäre hier also schon ein sehr großer Erfolg. Darüber hinaus stehen Gesundheitsförderung und Primärprävention unverändert vor der alten Herausforderung der Erreichung der wirklich relevanten Zielgruppen. Zudem bleibt die Evidenz betrieblicher Gesundheitsförderung in Bezug auf eine nachhaltige Verbesserung von Produktivität, Leistungs- und Beschäftigungsfähigkeit nach wie vor unklar. Methodisch anspruchsvollere Evaluationen haben diesbezüglich eher enttäuscht.

Chronisch Kranke sollten in der Arbeitswelt nicht ausgegliedert, sondern „mitgenommen“ werden

In der Sekundärprävention stellt sich die Frage nach evidenzbasierten Frühindikatoren und diagnostischen Instrumenten bei veränderten Anforderungen und Belastungen. Menschen werden somit auch weiterhin krank werden, auch wenn sie sich vermeintlich gesund ernähren, jeden Tag Sport treiben und gelernt haben, mit Stress umzugehen. Wenn also „Arbeiten bis 67“ nicht nur ein Rentenkürzungsprogramm bleiben und der Fachkräftemangel nicht nur durch neue Migration behoben werden soll, sollten (chronisch) Kranke in der Arbeitswelt nicht diskriminiert oder ausgegliedert, sondern „mitgenommen“ werden. Und dafür wird in vielfältiger Weise arbeits- und sozialmedizinische Kompetenz benötigt. In diesem Kontext bleibt insbesondere die Entwicklung evidenzbasierter Assessmentinstrumente für die individuelle Begutachtung der Leistungsfähigkeit eine prioritäre Herausforderung, damit (chronisch) Kranke weder überfordert noch ihre Chancen auf eine erfolgreiche berufliche Reintegration vorschnell und sachlich unbegründet gemindert werden. Aufgrund derzeit weitgehend fehlender Evidenzen und einer falsch verstandenen Fürsorge wird Erwerbsarbeit auch von Ärzten heute noch generell als Gesundheitsrisiko und nicht als Chance und Ressource gesehen.

Return to Work (RTW) – ein multidimensionaler Prozess

Aus internationaler Perspektive lässt sich das Handlungsfeld der Wiederherstellung von Beschäftigungsfähigkeit und die Verhinderung der Ausgliederung aus der Arbeitswelt mit dem kurzen und prägnanten Label „Return to Work (RTW)“ umschreiben. Das in den letzten Jahren insbesondere von niederländischen Experten vorangetriebene Konzept RTW versteht sich als ein multidimensionaler Prozess unter aktiver Einbindung der Betroffenen, der maßgeblichen Akteure des Versorgungssystems, der Unternehmen und der Sozialversicherungsträger („Vernetzung“) mit dem Ziel, den Erkrankten frühst möglich an seinen Arbeitsplatz zurückzubringen (Integrations- und Arbeitsmarktorientierung) oder in Fällen, die bereits zu einem Arbeitsplatzverlust geführt haben, eine neue berufliche Perspektive und Reintegration („2. Chance“) zu erreichen. RTW ist somit ein arbeitsweltbezogener, fachübergreifender multiprofessioneller Ansatz, mit dem sowohl die Schnittstellen zwischen den Segmenten und Sektoren des Gesundheits- und Versorgungssystems (Haus-/Facharzt, Klinik, medizinische/berufliche Rehabilitation) und Arbeitswelt (Unternehmen, Betriebsarzt) als auch zwischen den unterschiedlichen Zuständigkeiten des deutschen gegliederten Systems der sozialen Sicherung überwunden werden können. In diesem Sinne gilt es, das umfangreiche Portfolio an einzelnen Maßnahmen und Interventionen, über das Unternehmen, Leistungserbringer und Sozialversicherungsträger verfügen, auf das gemeinsames Ziel zu fokussieren.

Wie Abb. 2 verdeutlicht, wird der RTW-Prozess in vielfältiger Weise beeinflusst. Über die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit eines stringenten RTW-Prozesses besteht international ein breiter Konsens. Aus politischer, gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Sicht sprechen vor allem die schon eingangs erwähnten Argumente (u. a. demografischer Wandel, verlängerte Lebensarbeitszeit, längere Lebenserwartung, Finanzierbarkeit von Transferleistungen, Inklusionsleitbild der Vereinten Nationen, salutogene Effekte von Arbeit) für ein verstärktes diesbezügliches Engagement. Bei den einzelnen Menschen bestehen allerdings noch manche Widerstände: So ist der subjektive Wunsch nach frühzeitiger Berentung nach wie vor weit verbreitet. Auch in der Retrospektive des eigenen Lebens findet sich häufig die Einschätzung, „zu viel gearbeitet“ zu haben. Dabei ist auch unter individueller Perspektive (gute) Erwerbsarbeit zumeist eine bessere Alternative als Minirente oder Langzeitarbeitslosigkeit („Hartz IV“).

Auf deutsche sozialrechtliche und -politische Rahmenbedingungen übertragen, bedeutet RTW im Sinne einer Schnittstellen überwindenden, konsequenten Arbeitsweltorientierung (immer noch) eine „kleine Revolution“. Im historisch gewachsenen pluralistischen deutschen Sozialversicherungssystem werden gesundheits-/krankheitsbedingte Lebensrisiken (z. B. Unfall/Krankheit, Arbeitsunfähigkeit, vorzeitige Erwerbsminderung, (Langzeit)Arbeitslosigkeit) traditionell unter den Trägern geteilt, gewissermaßen „segmentiert“. Daraus resultieren „Zuständigkeiten“ und „Schnittstellen“, an denen nicht nur Informationen, Zeit und Geld, sondern gelegentlich auch kranke Menschen verloren gehen, wenn sie durch die „Maschen fallen“. Diese Defizite zu überwinden ist u. a. die Intention der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) und der mit dem neunten Sozialgesetzbuch (SGB IX, 2001) geschaffenen, derzeit ca. 450 Gemeinsamen Servicestellen für Rehabilitation, die jedoch – von positiven Ausnahmen in einzelnen Bundesländern abgesehen – bundesweit bisher noch nicht die erhoffte „systemische Wirkung“ erzielt haben. Auch mehrere in den letzten 10 Jahren vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderte Modellprojekte, so u. a. das Projekt „Gesunde Arbeit“, hatten die „Vernetzung“ und Überwindung von Schnittstellen zum Thema. In der täglichen Praxis beobachtet man allerdings, auch mitbedingt durch politische Vorgaben, begrenzte Ressourcen und eine anhaltende öffentliche Diskussion über Effektivität und Effizienz des deutschen Systems der sozialen Sicherung eine Zunahme des „Budgetdenkens“, das der RTW-Philosophie diametral entgegen steht.

Des Weiteren ist das deutsche Gesundheits- und Versorgungssystem strukturbedingt von jeher durch eine gewisse Arbeitsweltferne gekennzeichnet, obwohl es anteilig durch Beiträge aus (sozialversicherungspflichtiger) Beschäftigung finanziert wird. So erfolgt z. B. die Attestierung von Arbeitsunfähigkeit durch Vertragsärzte, (im Regelfall) ohne Kenntnisse der Arbeitsplatzanforderungen oder arbeitsmedizinisches Grundwissen. Medizinische Rehabilitation fand auch bei Kranken im erwerbsfähigen Alter jahrzehntelang in landschaftlich reizvollen Gegenden ohne jeden Bezug zum realen Arbeitsleben statt und wurde auch nicht kritisch hinterfragt. Erst in jüngerer Zeit wird insbesondere von Seiten der Rentenversicherungsträger verstärkt darauf geachtet, dass berufliche Aspekte frühzeitig thematisiert und abgearbeitet werden. Mit dem MBOR-Konzept (medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation) entstand ein neuer Rehabilitationstyp.

Last but not least sind deutsche Arbeitgeber außer mit den anteiligen Beiträgen zur Rentenversicherung und einem etwaigen Personalersatz wenig involviert in das Risiko der Langzeitarbeitsunfähigkeit und Frühinvalidität ihres Beschäftigten. Nach 6-wöchiger Lohnfortzahlung „verschwindet“ der (chronisch) kranke Mitarbeiter von der Gehaltsliste und geht in den Krankengeldbezug (maximal für 18 Monate) der Krankenkasse über.

Wenn ein Unternehmen nicht über ein standardisiertes BEM (§ 84 Abs. 2 SGB IX), ein systematisches Nachhalten bei Langzeiterkrankten oder einen proaktiven Betriebsarzt verfügt, der potenziellen Reha- und Unterstützungsbedarf frühzeitig erkennt und sich als „Kümmerer“ versteht (derartige „Leuchttürme“ und Aktivitäten im Rahmen innovativer Projekte gibt es durchaus), wird es schwierig, Impulse für ein zeitnahes, erfolgversprechendes RTW zu geben. Diese müssen dann vom Erkrankten selbst, seinen behandelnden Ärzten, der Krankenkasse (oder MDK) oder dem Rentenversicherungsträger kommen, was immer noch zu spät oder gar nicht geschieht. Und wenn doch, behindern Budgetgrenzen, Koordinations- und Kapazitätsprobleme nicht selten das Rückkehrmanagement.

Unternehmen sollten Impulse für eine erfolgversprechende berufliche Wiedereingliederung geben

In den Niederlanden sind Arbeitgeber viel unmittelbarer monetär in das Risiko Langzeitarbeitsunfähigkeit eingebunden (u. a. längere Lohnfortzahlung, Malus bei Frühinvalidität). Von daher besteht ein auch ein größeres ökonomisches Interesse an RTW.

Return to Work – fördernde und hemmende Faktoren

Bezogen auf deutsche Verhältnisse lassen sich Interventionen zur Förderung des RTW insbesondere nach den in diesem Kontext relevanten gesetzlichen Rahmenbedingungen und „federführenden Akteuren“ differenzieren (z. B. Sozialversicherungsträger, Unternehmen, Betriebsarzt/behandelnder Arzt). Beispielhaft für die Sozialversicherung seien in diesem Zusammenhang die in Abb. 3 dargestellten Instrumente angeführt. Im internationalen Vergleich verfügt Deutschland über ein breites, ausdifferenziertes Angebot an Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA – nach alter Nomenklatur: berufliche Rehabilitation), die sowohl ambulant als auch in hoch spezialisierten Einrichtungen erbracht werden. Dabei kommen Arbeitsmarktorientierung, Unternehmensbezug und konkreten Anforderungen des Arbeitsplatzes (RTW-Orientierung) eine immer größere Bedeutung zu, was den wachsenden Bedarf an arbeitsmedizinischer Kompetenz auch in diesem Versorgungssektor unterstreicht.

International steht ein allgemeiner Konsens hinsichtlich der Klassifizierung von RTW-Interventionen noch aus. Diskutiert wird derzeit eine Differenzierung nach:

  • Zielgruppe: Arbeitnehmer mit oder ohne Bezug auf entsprechende Erkrankungsgruppen, z. B. Psyche, Muskel/Skelett, Krebs;
  • Zeitpunkt: früh (innerhalb der ersten 6 Wochen), mittel (> 6 Wochen bis < 6 Monate), spät (> 6 Monate);
  • Art/Intensität: einmalig, mehrmalig, längere Zeitdauer und
  • nahme, Beschäftigungszeit: > 6–12 oder 24–Monate, Wohlbefinden, Arbeitszufriedenheit.

Insbesondere gibt es derzeit noch keinen Konsens, wie Ergebnisse von RTW zu messen oder zu evaluieren sind. Unveränderter Forschungsbedarf besteht auch hinsichtlich der Objektivierung evidenzbasierter Determinanten des RTW-Prozesses. Zahlreiche Studien aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen sozialen Sicherungssystemen haben mit diversen methodischen Ansätzen zahlreiche potenzielle Einflussfaktoren postuliert und teilweise divergierende Ergebnisse gebracht. So bleibt z. B. die Größe eines Unternehmens für den RTW-Erfolg unklar: Zum einen soll der RTW mit der Unternehmensgröße zunehmen, zum anderen gibt es aber auch gegenteilige Beobachtungen.

Auf der Grundlage neuerer wissenschaftlicher Untersuchungen liegt allerdings weitgehende Einigkeit vor, dass die RTW-Perspektive (unabhängig von der zugrunde liegenden Erkrankung) so früh wie möglich in den ärztlichen Behandlungsprozess integriert werden sollte („time is job“). Darüber hinaus ist festzuhalten, dass medizinische Behandlungen oder Interventionen für den RTW-Erfolg offenbar weniger entscheidend sind als bisher angenommen, sondern vielmehr berufsbezogenen und psychosozialen Aspekten (u. a. ökonomische Situation, proaktives Vorgehen des Arbeitgebers, Anpassung der Anforderungen, technische Hilfsmittel, Lösung vorbestehender Arbeitsplatzkonflikte, Qualität der Führung, Betriebsklima, Arbeitszufriedenheit) eine hohe Wertigkeit zukommt.

Neben der Frühintervention konnten in einem aktuellen niederländischen Review einschlägiger Studien folgende RTW-fördernde Faktoren diskriminiert werden: multiprofessionelles Team („Vernetzung“), fortbestehender Kontakt zum Arbeitgeber, Aktivierung der Erkrankten (insbesondere bei Muskel- und Skeletterkrankungen), Kommunikation/Kooperation zwischen Versorgungssystem und Arbeitgebern, feste Zeitkontingente für RTW-Maßnahmen. Darüber hinaus erwies sich die Möglichkeit einer teilweisen Wiederaufnahme der Arbeit als positiv. Bezogen auf RTW-fördernde Bedingungen bei bestimmten Erkrankungsgruppen liegen mittlerweile insbesondere für psychische Leiden zahlreiche Studien vor. Dabei lassen sich verschiedene Perspektiven ( z. B. Unternehmen, Individuum, Interventionen/Versorgungssystem) abgrenzen. Auf Seiten des Unternehmens ist der wichtigste Faktor ein positives Votum des Arbeitgebers („AG will“). Die als ungleich empfundene Verteilung der „Macht“ zwischen den Akteuren (Arbeitgeber hat die „Trumpfkarte“) ist oft entscheidend für ein Gelingen des RTW. Im Weiteren wurden eine allgemeine Kultur des Vertrauens, gute innerbetriebliche Kommunikation, ausreichende „Top-Down“-Unterstützung (Leitbild), finanzielle und personelle Investitionen in den RTW-Ansatz als förderlich ausgemacht.

Wesentliche Bedingung seitens des Betroffenen ist zunächst einmal die Motivation zur Rückkehr („AN will“). Eine sehr große Bedeutung kommt auch der wahrgenommenen subjektiven Gesundheit (Erwerbsprognose) zu, die durchaus bestimmend für den gesamten RTW-Prozess werden kann. Das Gefühl der Wertschätzung und des gegenseitigen Vertrauens tragen ebenso zu einem positiven Ergebnis bei, wie der nicht abgebrochene Kontakt zum Unternehmen.

Hinsichtlich des Versorgungssystems scheint der Arbeitsplatzbezug der interventionellen, insbesondere auch rehabilitativen Maßnahmen eine entscheidende Determinante zu sein.

So haben Beobachtungen aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Gesundheits- und sozialen Sicherungssystemen (u. a. Niederlande, Schweden, Norwegen, Australien) übereinstimmend gezeigt, dass ein frühzeitiges Einbinden arbeitsmedizinischer Expertise (z. B. Kooperation mit Betriebsärzten) noch während des Behandlungs- und Rehabilitationsprozesses mit Klärung berufsbedingter Problemlagen und Konflikte – in diesem Kontext zumeist als „usual care and workplace oriented intervention/occupational care“ bezeichnet – den RTW verbessert.

Darüber hinaus erwies sich die Steuerung des RTW-bezogenen Dialogs zwischen Krankem und Unternehmen und eine „Vernetzung“ der beteiligten Akteure als förderlich. Demgegenüber wirkt eine „Dauerkrankschreibung“ ohne Optionen auf eine Klärung der beruflichen Perspektive kontraproduktiv. Es dürfte mittlerweile zum „Allgemeinwissen“ gehören, dass die Dauer der Arbeitsunfähigkeit eng mit dem RTW zusammenhängt („Je länger die AU, desto unwahrscheinlicher wird ein RTW“). Auch zahlreiche RTW-hemmende Faktor bei psychischen Erkrankungen wurden im letzten Jahrzehnt objektiviert. Diese lassen sich – in Anlehnung an die ICF – wie in Abb. 4 skizzieren. Größte Bedeutung kommt dabei einer schlechten subjektiven Gesundheit, einem Lebensalter über 50 und einer schlechten Kommunikation zwischen erkrankten Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu. Allgemein gilt, dass eine Symptombesserung nicht mit einer erfolgreichen Reintegration korreliert.

Die Rolle der Berufsförderungswerke

Sollte die Wiedereingliederung am alten Arbeitsplatz aufgrund der Art oder Schwere der Erkrankung(en) nicht gelingen oder es bereits zum Verlust des Arbeitsplatzes mit längerer Arbeitslosigkeit gekommen sein, eröffnen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA – nach alter Nomenklatur: berufliche Rehabilitation) eine „2. Chance“. Die wichtigsten Träger derartiger Maßnahmen sind die Bundesagentur für Arbeit (BA)/Jobcenter, die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV – nach mindestens 15 Beitragsjahren) und die Gesetzliche Unfallversicherung (GUV – nach Arbeitsunfällen und bei Berufskrankheiten). Neben zahlreichen ambulanten Dienstleistern qualifizieren deutschlandweit 28 Berufsförderungswerke (BFW), gewissermaßen als „stationäre Einrichtungen“ der beruflichen Rehabilitation (auf der Grundlage von § 35 SGB IX), erwerbsfähige Erwachsene, die aufgrund von Krankheit und/oder Behinderung ihren erlernten Beruf nicht mehr ausüben können, für eine neue Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt.

Es handelt sich in der Regel um chronisch, häufig multimorbide Kranke, mit leistungsrelevanten Funktions- und Aktivitätseinschränkungen, nicht selten in Kombination mit zusätzlichen sozialen Problemlagen (z. B. Langzeitarbeitslosigkeit, Armut, Verschuldung). Einen Einblick in das Morbiditätsspektrum der Rehabilitanden des BFW Dortmund gibt Abb. 5.

Kennzeichnende Strukturmerkmale eines BFW sind insbesondere multiprofessionelle Qualifizierungs- und Integrationsteams sowie begleitender medizinischer und psychologischer Fachdienst vor Ort. Nach dem für die BFW maßgeblichen Neuen Reha Modell (NRM) sind Individualisierung und Integrationsorientierung die wesentlichen Prinzipien der täglichen Arbeit. Die Qualifizierung in über 30 von der IHK anerkannten Berufsbildern, die z. B. im BFW Dortmund möglich sind, erfolgt handlungsorientiert (u. a. Förderung personaler, sozialer, methodisch-fachlicher und gesundheitlicher Kompetenz) im Rahmen verschiedener Modelle (Reha-Vorbereitung, zweijährige Hauptmaßnahmen, Kurzzeitmodelle, Kooperationen mit Unternehmen der Region, Teil- oder Anpassungsmaßnahmen) und wird durch das Reha- und Integrationsmanagement gesteuert. Die Indikation für mehrmonatige „klassische“ berufliche Rehabilitationsmaßnahmen nach dem Grundsatz „first train, then place“ (Ausbildungsfähigkeit herstellen, Stabilisierung/Aktivierung erzielen, strukturierte, IHK geprüfte berufliche Qualifizierung gewährleisten), die zum Kerngeschäft eines BFW gehören, ist insbesondere bei Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben oder langjährig aus dem Arbeitsleben ausgegliedert sind, unverändert gegeben. Daneben gewinnen insbesondere bei Erkrankten, bei denen noch ein Arbeitsverhältnis besteht, modulare, arbeitsplatzbezogene Kurzzeit- und Individualmodelle zunehmend an Bedeutung („first place, then train“). Flexible, an den Bedarfen der Unternehmen und individuellen Ressourcen der Betroffenen ausgerichtete Maßnahmen unter der Prämisse „time is job“ können dazu beitragen, eine drohende Ausgliederung mit sozialem Abstieg zu vermeiden. In diesem Kontext ist insbesondere das Modellprojekt „Reha Futur Real“ der Deutschen Rentenversicherung Westfalen zu nennen, dem man durchaus eine Schrittmacherfunktion für die Weiterentwicklung innovativer deutscher RTW-Ansätze zuschreiben kann.

Neuere internationale Studien unterstreichen die besondere Bedeutung einer arbeitsplatzorientierten Rehabilitation sowie unterstützender Maßnahmen in den Unternehmen für einen erfolgreichen RTW.

(Arbeits)Medizinisches Wissen ist in vielfältiger Weise in die Multiprofessionalität und praktische Arbeit eines BFW eingebunden: Neben dem leistungsbezogenem Assessment (Objektivierung und Quantifizierung von Funktions-, Aktivitäts- und Teilhabestörungen und individuellen Ressourcen und Fähigkeiten) im Rahmen einer, der beruflichen Reha zumeist vorgeschalteten, mehrwöchigen Berufsfindung/Arbeitserprobung stellt die individuelle medizinischen Betreuung und Sicherung der Ausbildungsfähigkeit (Stabilisierung, Notfallintervention) während der laufenden Qualifizierungsmaßnahmen einen Arbeitsschwerpunkt dar. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Aktivierung und Kompensation individueller krankheitsbedingter Integrationshemmnisse (lernen, mit Krankheit zu leben und zu arbeiten) und der Förderung der Gesundheitskompetenz zu. Darüber hinaus ist arbeitsmedizinischer Sachverstand im individuellen Case Management spezieller arbeitsplatzbezogener Maßnahmen von Wichtigkeit. In Abb. 6 ist das Leistungsangebot des Medizinischen Dienstes im BFW Dortmund zusammenfassend dargestellt.

Return to Work (RTW) – Fazit

Zur Vermeidung von beruflicher Ausgliederung, sozialem Abstieg und zusätzlichen psychosozialen Belastungen ist es wesentlich, bei (chronischen) Erkrankungen mit und ohne Multimorbidität oder Folgen von Unfällen und Verletzungen so früh wie möglich die RTW-Perspektive einzunehmen. Dabei ist eine schnittstellenüberwindende Kommunikation und Kooperation zwischen betroffenen Arbeitnehmern, Arbeitgebern, Leistungserbringern und Leistungsträgern unter Berücksichtigung gesetzlicher Rahmenbedingungen und regionaler Besonderheiten zielführend. Der RTW-Ansatz beinhaltet diesbezüglich viele Optionen der Weiterentwicklung auch innerhalb des deutschen Versorgungs- und sozialen Sicherungssystems. Eine Dauerkrankschreibung mit drohendem Krankengeldverlust, fraglichem (Mini)Rentenanspruch oder vorprogrammierter (Langzeit) Arbeitslosigkeit kann weder für den einzelnen kranken Menschen noch für die Solidargemeinschaft erstrebenswert sein. Es gilt, sowohl langjährig etablierte Interventionen (z. B. stufenweise Wiedereingliederung, BEM) als auch die Chancen neuerer Modell-Projekte (z. B. Web-/Job Reha, Reha Futur Real) konsequent zu nutzen. Darüber hinaus sollten aber auch die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und die Möglichkeiten der beruflichen Rehabilitation, die in der Ärzteschaft zu Unrecht häufig noch „im Schatten“ der medizinischen Rehabilitation steht, ausgeschöpft werden

Im Weiteren beinhaltet der RTW-Prozess für die (klinische) Arbeitsmedizin ein Handlungsfeld mit großem Zukunftspotenzial. So wird jenseits aller präventiven Aktivitäten die Früherkennung von spezifischem medizinischen und/oder beruflichen Rehabilitationsbedarf bei Menschen, die (noch) aktiv im Arbeitsleben stehen, immer bedeutsamer („die richtige Person zur richtigen Zeit in die richtige Maßnahme“). Zum anderen ist das „Health Assessment“ mit dem Abgleich zwischen beruflichen Anforderungen und individuellen Fähigkeiten sowohl aus praktischer als auch aus wissenschaftlicher Sicht ein lohnendes Arbeitsfeld (u. a. Etablierung von praxistauglichen Assessmentinstrumenten, Validierung/Qualitätssicherung, Evidenzbasierung).

Nicht zu unterschätzen bleibt auch die frühzeitige, aktive arbeitsmedizinische Begleitung der Reintegration („occupational care“), die derzeit noch viele Entwicklungsmöglichkeiten offen lässt. Letztlich ist die Umsetzung der RTW-Philosophie eine immense politische und gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Um chronisch Kranken und behinderten Menschen Teilhabe am Arbeitsleben gewähren zu können, ist eine ausreichende Anzahl an menschenwürdigen, leidens- und altersgerechten Arbeitsplätzen nötig. Diese unter den gegebenen Rahmenbedingungen einer „24/7-Wettbewerbsgesellschaft“ zu schaffen, bleibt eine der größten Herausforderungen des kommenden Jahrzehnts, womit wir wieder beim Eingangsstatement von Jim Clifton wären, vielleicht noch ergänzt um ein „geht nicht, gibt’s nicht“.

    Für die Autoren

    Prof. Dr. med. habil. A. Weber

    Leitung Fachdienst Medizin
    Berufsförderungswerk Dortmund
    Hacheneyer Straße 180
    44265 Dortmund
    E-Mail: awe@bfw-dortmund.de

    RtW — 10 Kernbotschaften

    • Arbeit ist primär Chance, nicht Risiko
    • Demografischer Wandel verschärft den Fachkräftemangel und stellt soziale Sicherungssysteme vor Probleme
    • „Arbeiten bis 67“ darf nicht nur ein Rentenkürzungsprogramm sein
    • Primär- und Sekundärprävention werden zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit nicht ausreichen
    • (Chronisch) Kranke und Unfallgeschädigte müssen „mitgenommen“ werden
    • Die Sicherung von Beschäftigungsfähigkeit und Verhinderung von Ausgliederung (chronisch) Kranker aus der Arbeitswelt ist eine arbeitsmedizinische Aufgabe
    • RTW als fächerübergreifender , multidimensionaler, arbeitsweltbezogener Ansatz überwindet Zuständigkeiten, Sektoren und Schnittstellen zwischen Versorgungssystem, sozialer Sicherung und Arbeitswelt
    • RTW beinhaltet ein großes Zukunftspotenzial für die Arbeitsmedizin
    • Die Chancen der beruflichen Rehabilitation sollten konsequenter genutzt werden
    • Die Schaffung menschenwürdiger, leidens- und altersgerechter Arbeitsplätze in einer globalisierten Wettbewerbsgesellschaft ist eine der größten Herausforderungen

    Weitere Infos

    Eine ausführliche Literaturliste zum Thema kann beim korrespondierenden Autor angefordert werden: awe@bfw-dortmund.de

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