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Telemedizin und Telematik in der Arbeitsmedizin

In einzelnen medizinischen Fachdisziplinen (z. B. Dermatologie, Radiologie) ist die Telemedizin bereits fester Bestandteil des ärztlichen Leistungsangebotes. In anderen medizinischen Bereichen, wie z. B. der Arbeitsmedizin, ist die Telemedizin noch nicht weit verbreitet. Bei der betriebsärztlichen Betreuung der ca. 43 Millionen Beschäftigten in Deutschland – insbesondere in kleinen und mittelgroßen Unternehmen ohne eigene betriebsärztliche Einrichtungen – könnten telemedizinische Verfahren jedoch in Ergänzung zu dem bereits bestehenden arbeitsmedizinischen Angebot einen wesentlichen Beitrag zur betrieblichen Prävention und Gesundheitsförderung leisten.

Die Anwendung telemedizinischer Verfahren ist mit Chancen und Risiken für eine adäquate ärztliche Versorgung der Bevölkerung verbunden. Im Bereich der Arbeitsmedizin besteht hier erheblicher Informations- und Diskussionsbedarf. Es ist daher sehr erfreulich, dass ASU dieses sehr aktuelle und relevante Thema aufgreift und in einem Themenheft schwerpunktmäßig den einzelnen Facetten telemedizinischer Verfahren in der Arbeitsmedizin Raum gibt.

Einleitend werden in der vorliegenden Juni-Ausgabe von ASU von Annegret Schoeller berufsrechtliche Gesichtspunkte der Telematik in der Prävention dargestellt. Hier sind allgemeine berufsrechtliche und auch berufspolitische Prinzipien und Regelungen einzuhalten, was bei der Einführung bzw. Anwendung telemedizinischer Verfahren in der Arbeitsmedizin und Präventivmedizin ebenso beachtet werden muss.

In der deutschen Ärzteschaft wird kontrovers diskutiert, wie die Anwendung telemedizinischer Verfahren mit dem „Fernbehandlungsverbot“ für Ärzte vereinbar ist. Nach § 7 Abs. 4 der (Muster-)Berufsordnung ist den in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzten eine ausschließliche ärztliche Fernbehandlung untersagt. Oliver Erens stellt hierzu unter dem Titel „Paradigmenwechsel in der ärztlichen Behandlung: Grünes Licht für die Telemedizin“ ein Modellprojekt der Landesärztekammer Baden-Württemberg vor, in dem nach der landesspezifischen Berufsordnung im Rahmen der Telemedizin die Fernbehandlung ermöglicht wird.

Praktische Erfahrungen zur Anwendung telemedizinischer Verfahren liegen aus der Berufsdermatologie sowie bei der Mitbetreuung von Arbeitsunfällen und Notfallsituationen im Rahmen beruflichen Reisen vor.

Wobbeke Weistenhöfer und Hans Drexler (Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten und Facharzt für Arbeitsmedizin) stellen die teledermatologischen Anwendungen und die damit verbundenen Chancen für die Arbeitsmedizin dar. Abschließend kommen sie zu dem Fazit, dass gerade in der Arbeitsmedizin der verstärkte Einsatz der Teledermatologie u. a. durch die Möglichkeit der flexiblen, zeitnahen Diskussion der Befunde, der Vermeidung von langen Ausfallszeiten und der damit verbundenen Kosteneinsparung sehr zu begrüßen ist.

Stefan Eßer und Eva-Christine Dahlke berichten darüber, dass telemedizinische Assistance bei Arbeitsunfällen und anderen medizinischen Notfällen von beruflich Reisenden im Ausland ein wichtiges Versorgungstool darstellt und wie hierdurch die Betreuung der Mitarbeiter im Ausland wesentlich unterstützt werden kann.

Jens Petersen geht der Frage nach, ob Telemedizin die betriebsärztliche Versorgung von Beschäftigten in der Zeitarbeit verbessern kann. Er kommt zu dem Fazit, dass Telemedizin bei der Erstellung der Gefährdungsbeurteilung, bei Arbeitsplatzbegehungen, bei der arbeitsmedizinischen Vorsorge sowie bei der Beratung von Arbeitgebern und Beschäftigten eine unterstützende Rolle spielen kann. Durch telemedizinische Anwendungen können die derzeit bestehenden Defizite in der betriebsärztlichen Versorgung von Zeitarbeitern, die durch die besondere Situation in der Zeitarbeit begründet sind, teilweise ausgeglichen werden. Voraussetzung sei allerdings die konsequente Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben und eine entsprechende technische Ausstattung.

Telearbeit und damit auch telemedizinische Leistungen können sowohl vom Arbeitsplatz im Unternehmen als auch von einem Telearbeitsplatz zu Hause erbracht werden. Bei der Arbeit im Homeoffice müssen auch Gesichtspunkte des Versicherungsschutzes bedacht werden. Reinhard Holtstraeter rät in seinem Beitrag jedem Versicherten, der in seinem häuslichen Umfeld verunglückt, eine Unfallanzeige zu erstatten und sich vorsorglich beim Durchgangsarzt vorzustellen. Dies gelte auch bei nur gelegentlicher oder einmaliger Arbeit in häuslicher Umgebung.

Die Lehre bzw. Ausbildung im Medizinstudium ist in manchen Bereichen noch relativ konservativ ausgerichtet. Neue digitale medizinische Anwendungsverfahren werden den Studierenden im Unterricht nur punktuell vermittelt. Besonders anerkennenswert ist daher der Ansatz von Sebastian Kuhn, der gemeinsam mit seinen Koautoren darstellt, was das digitale Zeitalter für das Medizinstudium bedeutet und zudem Vorschläge unterbreitet, wie das Studium an die digitalen Möglichkeiten adaptiert werden kann.

Im Wissenschaftsteil thematisiert Urs-Vito Albrecht zusammen mit Ute von Jan die Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps in der Prävention. Da das Angebot an Gesundheits-Apps in allen Bereichen der Medizin und verwandter Sachgebiete rasant zunimmt, ist es Ziel dieses wissenschaftlichen Beitrages, den Lesern Informationen und Hilfestellungen zu geben, wenn es um die Planung und Anwendung von App-unterstützen Präventionsmaßnahmen geht.

Sabine Sedlaczek hat eine onlinebasierte Befragung unter Betriebsärzten durchgeführt, um den Stellenwert und die Perspektiven der Telemedizin in der Arbeitsmedizin zu eruieren. Insgesamt haben 190 Kolleginnen und Kollegen an der Befragung teilgenommen. Die Ergebnisse zeigen, dass der Telemedizin in der Arbeitsmedizin eine zunehmende Bedeutung vorausgesagt wird.

Klaus Schöne stellt zusammen mit seinen Koautoren die Möglichkeiten einer Online-Analyse als Einstieg in die Gefährdungsbeurteilung an staatlichen Schulen in Rheinland-Pfalz vor. Mit Blick auf die beschränkten Ressourcen im schulischen Umfeld stellt das entwickelte Onlinetool einen praktikablen, effizienten und zukunftsorientierten Zugang in ein schulisches Risiko- und Gesundheitsmanagement dar.

Bei der Zunahme psychischer Diagnosen in unserer Gesellschaft und dem häufig damit verbundenen vorzeitigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben sind adäquate und frühzeitige Behandlungsangebote von entscheidender Bedeutung. Rüdiger Zwerenz stellt zusammen mit Manfred Beutel die Ansätze und Erfahrungen von Online-Interventionen zur Behandlung psychischer Erkrankungen vor. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass Online-Interventionen für psychisch kranke Menschen eine wichtige Ergänzung und eine Bereicherung in der Versorgung darstellen, diese aber keinen Ersatz für reguläre Behandlungen sein können. Insbesondere wird darauf hingewiesen, das schwere psychische Erkrankungen die Expertise von Psychotherapeuten und den persönlichen Kontakt erfordern.

Ergänzt wird das Themenheft mit weiteren sehr interessanten allgemeinen Beiträgen zu verschiedenen Themen.

Die Juni-Ausgabe der Zeitschrift ASU zeigt einmal mehr, dass sich das Fach Arbeitsmedizin in einer kontinuierlichen Weiterentwicklung befindet und sich neuen Herausforderungen stellt. Bei allen positiven Aspekten der Telemedizin wird jedoch eine Telearbeitsmedizin ohne Kenntnisse des speziellen Arbeitsplatzes und der Beteiligung des Betriebsarztes bei der Gefährdungsbeurteilung vor Ort nicht sinnvoll sein. Gerade die Kenntnis des Arbeitsplatzes unter individuellen gesundheitlichen Gesichtspunkten ermöglicht erst eine zielgerichtete und qualitätsgesicherte arbeitsmedizinische Betreuung. Wichtig wird es auch sein, dass die Einführung und Weiterentwicklung der Telearbeitsmedizin wissenschaftlich begleitet wird, um Fehlentwicklungen rechtzeitig zu erkennen und dem zielgerichtet entgegenwirken zu können.

    Autor

    Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. Stephan Letzel

    Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin

    Johannes Gutenberg-Universität Mainz

    Obere Zahlbacher Str. 67

    55131 Mainz

    letzel@uni-mainz.de

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