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“Under construction …“ – das Präventionsgesetz in der Umsetzung

Insgesamt sollen mehr Finanzmittel für die Unterstützung von Betrieben bereitgestellt und gemeinsam durch regionale Koordinierungsstellen der Zugang vor allem für kleinere und mittelständische Betriebe zu den Unterstützungsleistungen der Krankenkassen erleichtert werden. Außerdem wurde im Bereich der medizinischen Prävention die Rolle der Betriebs- und Werksärzte gestärkt.

Die Umsetzung der neuen gesetzlichen Vorgaben ist in vollem Gange: Auf Bundes- und Landesebene haben alle wichtigen Akteure Vereinbarungen bezüglich einer engeren und koordinierten Zusammenarbeit entwickelt und weitgehend konsentiert. Es bleibt abzuwarten, ob die neuen Strukturen und Kooperationsformen einen wirksamen Beitrag zur Steigerung der Zahl der Betriebe leisten, die sich aktiv in den verschiedenen Feldern des BGM engagieren. Auch die im Wettbewerb miteinander stehenden Krankenkassen sollen auf betrieblicher Ebene zusammenarbeiten. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit den dafür wichtigen Rahmenbedingungen.

„Under construction“ … Wo steht die Umsetzung des Präventionsgesetzes nach gut eineinhalb Jahren?

Das Präventionsgesetz, das in zwei Schritten seit Mitte 2015 in Kraft getreten ist, befindet sich nach wie vor in der Umsetzung. Angesichts hoher Erwartungen in Unternehmen, bei Sozialpartnern und wichtigen Akteuren der sozialen Sicherheit kann es nicht verwundern, wenn – zwar noch zurückhaltend – Skepsis und auch zuweilen Kritik geäußert werden. Werden die Sozialversicherungsträger, die Träger der Präventionsstrategie, eine neue und bessere Qualität der Zusammenarbeit entwickeln, wie sich das Politik und Sozialpartner wünschen? Werden insbesondere die Krankenkassen unter Wettbewerbsbedingungen die neuen gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich einer stärkeren Zusammenarbeit untereinander umsetzen oder ihnen auszuweichen versuchen?

Hinsichtlich der medizinisch-betrieblichen Prävention hatte das Präventionsgesetz die Rolle der Betriebs- und Werksärzte gestärkt. Mittlerweile liegt ein Mustervertragsentwurf für die Krankenkassen für die Durchführung von Schutzimpfungen durch Betriebs- und Werksärzte vor.

Der aktuelle Stand der Umsetzung macht deutlich, dass einerseits wichtige erste Schritte zur Entwicklung neuer Kooperationsstrukturen gemacht werden konnten, andererseits jedoch die Aufgabe, insbesondere die vorhandenen Schnittstellendefizite zu verringern, noch vor uns liegt.

Gesunde Arbeit in gesunden Unternehmen – der Beitrag der (Betriebs-)Krankenkassen

Die für die Arbeitgeber freiwillige Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) hat in der Vergangenheit für zahllose Impulse in der betrieblichen Praxis gesorgt und auch ein modernes Verständnis der Zusammenhänge von Arbeit und Gesundheit vorangetrieben. Vor allem mit Hilfe der betrieblichen Gesundheitsberichterstattung ist es den Krankenkassen gelungen, Prävention für betriebliche Entscheider attraktiver zu machen. Auch die Verschränkung von individueller Verhaltensprävention mit Maßnahmen der gesundheitsgerechten Arbeitsgestaltung wird von vielen Sozialpartnern als konsensfähig bewertet und lässt flexible Vorgehensweisen in den Betrieben zu.

Ein wichtiges Schlüsselfeld ist heute der Schutz und die Förderung der Gesundheit bei psychischen Belastungen am Arbeitsplatz. Dazu gehört auch die Unterstützung von Beschäftigten mit psychischen Gesundheitsproblemen. Betriebliche Gesundheitsförderungsprogramme, die sich an den Qualitätsvorgaben der Krankenkassen orientieren, berücksichtigen auch die gesundheitlichen Folgen von wichtigen psychischen Arbeitsbelastungen (hohe Arbeitsanforderungen und -intensität, Unterbrechungen und Multitasking u. a.). Krankenkassen unterstützen Betriebe durch Qualifizierungsangebote für Führungskräfte und Beschäftigte. Gerade die Bedeutung einer hohen Qualität der Führung wird heute von den meisten Akteuren als unerlässliche Voraussetzung für eine gesunde Arbeit betrachtet. (Rau 2015; BAuA 2016).

Die Betriebskrankenkassen engagieren sich in diesem Handlungsfeld seit Jahren im Rahmen des von INQA getragenen Programms „psyGA“ (psychische Gesundheit am Arbeitsplatz, www.psyga.info). Da die „Arbeitswelt 4.0“ höhere Anforderungen an die Bewältigung gerade psychischer Belastungen stellen wird, ist davon auszugehen, dass die BGF im Bereich der psychischen Gesundheit an Bedeutung weiter zunehmen wird. Die Digitalisierung wird viele heute noch erfolgreich operierende Geschäftsmodelle verändern und z. T. überflüssig machen – eine flexible Bewältigung kontinuierlicher Unsicherheit aufgrund ständiger Veränderungen bei hohen Tempo wird für immer mehr Beschäftigte zur alltäglichen Leistungsnorm.

Krankenkassen können durch eine verhältnispräventiv ausgerichtete BGF auch die gegenwärtigen Umsetzungsdefizite im Bereich des betrieblichen Arbeitsschutzes verringern helfen, da Unternehmen leichter für BGF-Maßnahmen gewonnen werden können – besonders dann, wenn die angebotenen BGF-Programme auch individuelle verhaltenspräventive Maßnahmen einschließen. Auch das Präventionsgesetz versucht, Verbesserungen an dieser Schnittstelle zu erreichen – die BGF-Maßnahmen, die von Krankenkassen unterstützt werden, sollen auf spezifische arbeitsplatzbezogene Risiken ausgerichtet werden (SGB V § 20c, Abs. 1).

Die regionalen BGF-Koordinierungsstellen haben über die Kooperation mit den Unternehmensorganisationen das Potenzial, die Verbreitung guter Praxis in der BGF deutlich zu verbessern. Viele Krankenkassen kooperieren heute schon – überwiegend in bilateralen Beziehungen – mit Unternehmensorganisationen: eine gute Ausgangsbasis, um nun systematischer die wichtigen Multiplikatoren auf Seiten der Sozialpartner für die Verbreitung der Unterstützungsleistungen der Krankenkassen zu gewinnen. Auch hier haben die Betriebskrankenkassen die konzeptionellen Grundlagen geschaffen; erfolgreich kann dieser Ansatz aber nur dann werden, wenn die gesamte GKV und ihre Selbstverwaltung die Kooperation für die Unternehmensorganisationen überzeugend vermitteln können.

Unterstützung für die Entwicklung dieser für die Verbreitung strategischen Kooperation zwischen GKV und Sozialpartnern eröffnen außerdem laufende Pilotvorhaben von Krankenkassen, die sich auf KMU richten und in unterschiedlichen Akteurskonstellationen vorgehen (BKK Dachverband 2016; INQA 2016, Kooperationen mit Metropolregionen sowie regionale Angebote für Unternehmensnetzwerke).

Konkurrenz und/oder Kooperation – betriebliche Prävention als Wettbewerbsfeld der Krankenkassen

Gesetzliche Krankenkassen können in den engen gesetzlichen (SGB V) und untergesetzlichen Vorgaben (Leitfaden Prävention, GKV Spitzenverband) ihr Engagement in der betrieblichen Gesundheitsförderung als zusätzlichen Nutzen gegenüber Versicherten und Unternehmenskunden in ihrer Kommunikation herausstellen. Insofern die Basisanforderungen hinsichtlich Qualität, Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit dabei berücksichtigt werden, ist dies legitim und funktional sinnvoll unter den wettbewerblichen Rahmenbedingungen innerhalb der GKV.

Da die praktische Umsetzung und Weiterentwicklung von BGF-Maßnahmen in Betrieben immer die jeweiligen besonderen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen des Betriebes und seiner Akteure berücksichtigen sollten, eröffnen sich schon aus den präventionsfachlichen Anforderungen Spielräume für eine besonders hohe Qualität der Beratungs- und Unterstützungsleistungen durch Krankenkassen. Ein wichtiger Parameter dafür stellt auch die Kompetenz der kasseninternen Personalressourcen dar bzw. die besondere Qualität der beauftragten Dienstleister.

Anders als in der Individualprävention, in der Krankenkassen Kostenerstattung nur für die jeweils bei ihnen Versicherten gewähren können, können und müssen in der betrieblichen Prävention auch Maßnahmen unterstützt werden, die Versicherten anderer Krankenkassen zu Gute kommen. Dies ist ausdrücklich im Leitfaden Prävention so geregelt und wird in der Praxis auch gelebt. Krankenkassen können auf betrieblicher Ebene autonom Kostenaufteilungen untereinander vereinbaren, wobei ausdrücklich eine Krankenkasse nicht verpflichtet werden kann, Kostenanteile von Maßnahmen zu übernehmen, die eine andere Kasse veranlasst hat.

Grundsätzlich bestimmt der gesetzliche Rahmen gleichwohl, dass Krankenkassen auch und gerade auf betrieblicher Ebene zusammenarbeiten sollen (§ 20b Abs. 2 SGB V). Dabei gelten einschränkend die oben dargestellten Prinzipien für die Kostenübernahme, wie auch insgesamt die generellen Ausgaben- und Budgetgrenzen. Bedenkt man, dass mit dem Ausgaberahmen vor Präventionsgesetz rund 11 000 Betriebe im Jahr 2015 laut Dokumentation des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen erreicht wurden und man einen linearen Zuwachs unter den neuen Budgetbedingungen (2,– Euro Mindestausgabe pro Versicherten und Jahr für die BGF) unterstellt, wird sofort deutlich, dass Krankenkassen sich ohnehin auf eine Impuls- und Anstoßfunktion begrenzen müssen. Eine flächendeckende Unterstützung über die Kofinanzierung von BGF-Leistungen in Betrieben ist nicht möglich (Medizinischer Dienst der Krankenkassen 2016).

Aufgrund der wachsenden Attraktivität der Prävention, besonders in der Arbeitswelt, kann es auch zu unerwünschten Folgen im Hinblick auf das Prinzip des Vorrangs der Eigenverantwortung auf Seiten der Unternehmen und Beschäftigten für die Gesunderhaltung und Gesundheitsförderung kommen, wenn die vertrieblich orientierte Steuerung der Präventionsmaßnahmen bei Krankenkassen überwiegt. Vor allem größere Unternehmen können mit ihrer starken Nachfrageposition zudem den Wettbewerb zwischen den Kassen für eigene Vorteile nutzen, wodurch die Spielräume für Unterstützungsleistungen für kleinere Unternehmen zusätzlich eingeschränkt werden können. Unter den gegenwärtigen Anreizbedingungen ist es zudem für Krankenkassen nicht ausreichend vorteilhaft, in überbetriebliche Maßnahmen zu investieren, deren Beitrag zur eigenen Wettbewerbsfähigkeit unsicher oder nicht einschätzbar ist.

Insofern verändert das Präventionsgesetz mit den regionalen BGF-Koordinierungsstellen das Anreizgefüge für die GKV im Hinblick auf überbetrieblich gemeinschaftliche Vorgehensweisen. Aus Sicht der Betriebskrankenkassen eröffnet dieser Ansatz im Sinne der Netzwerkbildung außerdem erhebliche Potenziale für die Stärkung des Handlungsfeldes und dadurch vermittelt auch für die präventionspolitische Rolle der GKV insgesamt.

Ausblick: Wo liegen die zukünftigen Entwicklungspotenziale der GKV-unterstützten BGF?

Eine der bislang nicht ausreichend gestalteten Schnittstellen ist die zwischen der betrieblichen Primärprävention und der arbeitsplatznahen Versorgung. Dazu gehört das Zusammenspiel zwischen betrieblicher Früherkennung gesundheitlicher Risiken (Arbeitsbedingungen, Arbeitsfähigkeit) und gesundheits- bzw. krankheitsrelevanten Einschränkungen (körperlich, psychisch, verhaltensbezogen), betrieblicher Rehabilitation und Wiedereingliederung bis hin zur primären Betrieblichen Gesundheitsförderung und den Arbeits- und Gesundheitsschutzvorkehrungen. In der bisherigen Praxis sind diese Handlungsstränge nur in Ausnahmefällen miteinander verbunden.

Im Rahmen des Innovationsfonds erproben die Betriebskrankenkassen in den kommenden Jahren modellhafte Versorgungsansätze, die sowohl sektorenübergreifend als auch akteursübergreifend ausgerichtet sind (Moormann 2017). Mittel- und langfristig sind integrierte Unterstützungssysteme unter Beteiligung aller Sozialversicherungsträger, des überbetrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes und weiterer Dienstleister entlang der Präventions- und Versorgungskette auch praktisch realisierbar. Diese Systeme müssen so gestaltet werden, dass Eigensteuerung und Eigenverantwortung bei den Unternehmen und den Beschäftigten gestärkt werden.

Effizient sind integrierte Lösungen besonders dann, wenn es gelingt, aus den Analyseergebnissen der Sekundär- und Tertiärprävention Rückschlüsse auf die Arbeits- und allgemeinen Lebensbedingungen zu ziehen, die durch die Primärprävention und ressourcenorientierte Gesundheitsförderung erfasst und beeinflusst werden können. Möglicherweise sind solche integrierten Lösungen auch aus Sicht der betrieblichen Entscheider überzeugender, weil die Folgen unterlassener primär-präventiver Maßnahmen besser nachverfolgt und verstanden werden können.

Aus den verfügbaren Zwischenergebnissen des Forschungsvorhabens der BAuA „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“ (s. „Weitere Infos“) lassen sich klare Orientierungen für allgemeine primär-präventive Gestaltungsgrundsätze ableiten: Optimierte Handlungsspielräume in der Aufgaben- und Arbeitsorganisation sowie ein unterstützendes Betriebsklima einschließlich vertrauensvoller Sozialbeziehungen sind die wichtigsten gesundheitlichen Ressourcen auf Seiten der Arbeitsbedingungen. Gleichzeitig sollte die Qualität der Führung alle Formen destruktiver Verhaltensweisen vermeiden bzw. ausschließen. Die drei genannten Faktoren (Ressourcen und Risikofaktoren) liegen in der Kontrolle und geteilten Verantwortung in den Betrieben und können durch Qualifizierungsmaßnahmen und Beratung durch die Sozialversicherungsträger, aber auch durch externe Dienstleister unterstützt werden. Investitionen hier verringern negative gesundheitliche Folgen zu späteren Zeitpunkten in der Erwerbsbiografie der Beschäftigten, sichern die Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit und unterstützen damit mittelbar dann auch die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und der sozialen Sicherheitssysteme.

Literatur

Breucker G: Prävention und Gesundheitsförderung – Schlüsselfelder für eine nachhaltige Gesundheitspolitik. In: Knieps F (Hrsg.): Gesundheitspolitik. Berlin: MWV, 2017, S. 131–144.

Grimm S, Siebeneich A, Siewerts D: Präventionsgesetz 4.0. Prävention und Gesundheitsförderung für kleine und mittelständische Betriebe. Betriebliche Prävention 2017; 2: 10–14.

Knieps F: Chronische Erkrankungen und Multimorbidität – das Krankheitspanorama im Wandel. In: Knieps F (Hrsg.): Gesundheitspolitik. Berlin: MWV 2017, S. 123–129.

Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (Hrsg.): Präventionsbericht 2016.

Moormann T: „BGM-innovativ“: Wie ein nachhaltiges betriebliches Gesundheitsmanagement gelingen kann. Gesundheit und Sozialpolitik 2017; 1: 17–21.

Rau R: Risikobereiche für psychische Belastungen. iga.Report 2015; 31.

    Weitere Infos

    BKK Dachverband (Hrsg.): Gesund. Stark. Erfolgreich. Der Gesundheitsplan für Ihren Betrieb. Berlin, 2016

    www.der-gesundheitsplan.de/fileadmin/user_upload/nh/Broschuere_Gesundes_Unternehmen.pdf

    Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2016: Projekt „psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“

    www.baua.de/de/Themen-von-A-Z/Projekt-Psych-Gesundheit/Projekt.html

    Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) (Hrsg.): Grünbuch Arbeiten 4.0. Berlin, 2015

    www.bmas.de/DE/Schwerpunkte/Arbeiten-vier-null/arbeiten-vier-null.html;jsessionid=F5344444C486FF208457766286451BD7

    GeMit-INQA-Projekt

    www.inqa.de/DE/Mitmachen-Die-Initiative/Foerderprojekte/Projektdatenbank/gesunder-mittelstand-deutschland-gemit.html

    Für die Autoren

    Dr. phil. Gregor Breucker

    Leiter Abteilung Gesundheitsförderung

    BKK Dachverband e. V.

    Mauerstraße 85

    10117 Berlin

    Gregor.Breucker@bkk-dv.de

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