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Sitzen oder Stehen: die beste Körperhaltung für jede Tätigkeit

Biomechanik

Damit der menschliche Körper im Gleichgewicht bleibt, müssen die Eigengewichte der Körperteile (Massenkräfte) durch statische Muskelkräfte kompensiert werden. Unterschiedliche Körperhaltungen erfordern einen unterschiedlich starken Muskeleinsatz.

Grundsätzlich sollten die Körperhaltungen so gewählt werden, dass aus ihnen eine möglichst geringe Beanspruchung für die betroffene Person resultiert. Es muss dabei allerdings auch berücksichtigt werden, dass die Körperhaltungen die Funktionsräume des Menschen in ihrer Größe beeinflussen. So zeichnet sich die Körperhaltung „Liegen in Ruhelage“ beispielsweise durch eine sehr geringe Beanspruchung aus, ist aber in der betrieblichen Praxis nicht einsetzbar, da der Bewegungsraum minimal ist. In  Tabelle 1 werden für verschiedene Körperhaltungen die Erhöhung der Herzfrequenz und die Muskelbeanspruchung aufgeführt. Um Arbeitshaltungen bewerten zu können, wurden bereits 1970 von Sämann physiologische Untersuchungen durchgeführt. Es wird deutlich, dass aufrechtes Stehen und Sitzen einigermaßen günstig ist und insbesondere gebeugte Haltungen oder Arbeitstätigkeiten, bei denen die Arme über dem Kopf gehalten werden müssen, ungünstig sind. In der Arbeitsgestaltung gilt daher die Regel, dass Armhaltungen über Herzniveau zu vermeiden sind.

Neben diesen Charakteristika ist die zu wählende Körperhaltung zudem von der auszuführenden Arbeitsaufgabe abhängig.  Tabelle 2 zeigt einen Vergleich zwischen den beiden am meisten vertretenen Körperhaltungen Sitzen und Stehen.

Es ist ersichtlich, dass die Größe der Funktionsräume und die Eignung für kraftaufwändige Arbeiten im Sitzen abnehmen, wohingegen die Eignung für Präzisionsarbeiten ansteigt. Eine genaue Angabe für geeignete Arbeitshöhen, bezogen auf die Ellbogenhöhe in Abhängigkeit vom Genauigkeitsgrad der auszuführenden Tätigkeit, bietet  Abb. 1.

Ob Sitzen oder Stehen am Arbeitsplatz günstig bzw. notwendig ist, ist zunächst von der Arbeitsaufgabe abhängig. Je höher die Genauigkeitsanforderungen sind, umso eindeutiger ist ein Sitzarbeitsplatz zu bevorzugen. Je mehr grobmotorische Bewegungen notwendig sind, umso eher ist ein Steharbeitsplatz geeignet. Im Zuge einer zunehmend notwendigen differenziellen Arbeitsgestaltung muss geprüft werden, ob z. B. dauerndes Stehen am Arbeitsplatz vom Beschäftigten überhaupt möglich ist oder ob körperliche Beeinträchtigungen dies nicht erlauben.

Festlegung von Arbeitsplatzmaßen

In der DIN 33406 finden sich Anleitungen für die Berechnung von Arbeitsplatzmaßen. Die Norm gilt als Arbeitshilfe für die Auslegung von Arbeitsplätzen im Produktionsbereich (z. B. Maschinen- oder Montagearbeitsplätze) und lässt sich anwenden für Höhen-, Breiten- und Tiefenmaßen von Arbeitsplätzen, an denen im Sitzen und/oder Stehen gearbeitet wird.Arbeitsplatzmaße werden dafür in aufgabenunabhängige und aufgabenabhängige Maße eingeteilt (vgl.  Abb. 2).

Die aufgabenunabhängigen Maße werden in der Norm für die drei Arbeitsplatzformen Sitzarbeitsplatz, Steharbeitsplatz und Sitz-Steh-Arbeitsplatz in Form von Mindestwerten zur Verfügung gestellt. In  Abb. 3 sind hierzu grafische Beispiele enthalten. Die großen Unterschiede der Arbeitsplatzhöhe ergeben sich durch die unterschiedlichen Körperhöhen. Eine ergonomisch günstige Gestaltung berücksichtigt dabei bei Sitz- und Steharbeitsplätzen die Körperhöhen vom 5. Perzentil Frau („kleine Frau“) bis zum 95. Perzentil Mann („großer Mann“). Von den aufgabenabhängigen Maßen sind die Arbeitsstellenhöhe und das Konstruktionsmaß durch Arbeitsmittel, Arbeitsverfahren und Arbeitsgegenstände vorgegeben. Die Werte für die Arbeitshöhe, den Oberschenkelfreiraum und den Unterschenkelfreiraum richten sich nach der Benutzergruppe.

Rechtliche Aspekte

In der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) wird im Anhang unter Abschnitt 3.3, Absatz 2 ausgeführt: „Kann die Arbeit ganz oder teilweise sitzend verrichtet werden oder lässt es der Arbeitsablauf zu, sich zeitweise zu setzen, sind den Beschäftigten am Arbeitsplatz Sitzgelegenheiten zur Verfügung zu stellen. Können aus betriebstechnischen Gründen keine Sitzgelegenheiten unmittelbar am Arbeitsplatz aufgestellt werden, obwohl es der Arbeitsablauf zulässt, sich zeitweise zu setzen, müssen den Beschäftigten in der Nähe der Arbeitsplätze Sitzgelegenheiten bereitgestellt werden“.

Vollständige Arbeitsplätze

In der betrieblichen Praxis wird oft vergessen, dass Arbeitsplätze vollständig eingerichtet bzw. ausgestattet werden müssen. Bei Sitzarbeitsplätzen heißt das z. B., dass die Tischhöhe auf den Benutzer eingestellt wird, dass eine Fußstütze vorhanden ist und dass insbesondere die Beschäftigten auch in der Benutzung der Arbeitsmittel, also z. B. die korrekte Einstellung des Arbeitsstuhls, unterwiesen werden.

Bei Steharbeitsplätzen ist zu prüfen, ob durch elastische Matten auf dem Fußboden das Stehen angenehmer und physiologisch günstiger gestaltet werden kann. Auch Stehhilfen am Arbeitsplatz reduzieren die statische Muskelbelastung und sind dem Wohlbefinden förderlich. Stehpulte im Bürobereich können zur Abwechslung für viele Aufgaben wie z. B. telefonieren oder lesen eingesetzt werden. Die Unterweisung zu sicherem und gesundheitsgerechtem Verhalten am Arbeitsplatz ergänzt als verhaltenspräventive Maßnahme die Verhältnisprävention. In der ArbStättV ist seit November 2016 der § 6 „Unterweisung“ neu enthalten. Der Arbeitgeber wird verpflichtet, die Beschäftigten ausreichend und angemessen zu informieren.

Fazit

Ob Sitzen oder Stehen ist primär von der Arbeitsaufgabe abhängig. Günstig ist immer ein Wechsel zwischen unterschiedlichen Körperhaltungen. In Produktionsbetrieben wird dieses oft durch Sitz-Steh-Arbeitsplätze realisiert. Hier wird primär im Sitzen gearbeitet, aber der Arbeitsplatz ist so ausgelegt, dass auch im Stehen gearbeitet werden kann. Dass dann tatsächlich auch die Körperhaltung verändert wird, ist unter anderem Zielsetzung der betrieblichen Präventionskultur und Gesundheitskompetenz. Es soll „normal“ sein, in wechselnden Körperhaltungen zu arbeiten, auch im Büro. Hier sind z. B. Stehpulte kein unnötiger Luxus.

Literatur

Bullinger H-J: Ergonomie – Produkt- und Arbeitsplatzgestaltung. Stuttgart: Teubner-Verlag, 1994.

DIN 33406: Arbeitsplatzmaße im Produktionsbereich: Begriffe, Arbeitsplatztypen, Arbeitsplatzmaße. Berlin: Beuth, 1988.

Hettinger T, Wobbe G: Kompendium der Arbeitswissenschaft: Optimierungsmöglichkeiten zur Arbeitsgestaltung und Arbeitsorganisation. Ludwigshafen: Kiehl, 1993.

Schmauder M, Spanner-Ulmer B: Ergonomie – Grundlagen zur Interaktion von Mensch, Technik und Organisation. Berlin: Hanser, 2014.

Sämann W: Charakteristische Merkmale und Auswirkungen ungünstiger Arbeitshaltungen. Arbeitswissenschaft und Praxis, Band 17. Berlin: Beuth, 1970.

    Weitere Infos

    BAuA: Auflistung der ergonomischen Anforderungen an Büroarbeitsmöbel und Arbeitsmittel

    https://www.bghm.de/arbeitsschuetzer/fachinformationen/ergonomie-und-arbeitsgestaltung/

    BGHM: Ergonomie und Arbeitsplatzgestaltung

    www.baua.de/de/Themen-von-A-Z/Bueroarbeit/Ergonomische-Anforderungen.html

    Autor

    Prof. Dr.-Ing. M. Schmauder

    Professur Arbeitswissenschaft

    Institut für Technische Logistik und Arbeitssysteme

    Technische Universität Dresden

    Dürerstraße 26 – 01062 Dresden

    martin.schmauder@tu-dresden.de

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