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Ausschuss für Arbeitsmedizin (AfAMed) beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales– Folge 2 –

Arbeitsmedizinische Empfehlung (AME) “Wunschvorsorge“

Vorbemerkung

Arbeitsmedizinische Empfehlungen (AME) beruhen auf gesicherten arbeitsmedizinischen Erkenntnissen. Sie werden vom Ausschuss für Arbeitsmedizin (AfAMed) aufgestellt oder angepasst und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) veröffentlicht. Im Gegensatz zu den Arbeitsmedizinischen Regeln (AMR) haben AME keine Vermutungswirkung, sondern allein Empfehlungscharakter. Im Rahmen der Empfehlungen werden die Herausforderungen der betriebsärztlichen Praxis angesprochen. Es wird aufgezeigt, welche Chancen in der betriebsärztlichen Betreuung der Beschäftigten – angesichts des demografischen Wandels in der Bevölkerung wie auch bei der Bewältigung der Herausforderungen in der sich rasant verändernden Arbeitswelt – stecken.

In 3Folgen wird ASU die AME „Wunschvorsorge“ des Ausschusses Arbeitsmedizin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vorstellen. Diese AME, die Handlungsempfehlungen zur Wunschvorsorge gibt, wurde von einem Arbeitskreis des AfAMed erarbeitet. Mitglieder und Autoren waren: Brigitte Hoffmann, Barbara Matschke, Petra Müller-Knöß, Wolfgang Panter, Gabriela Petreit-Haak (Leitung), Jens Petersen.. Der Abdruck der AME „Wunschvorsorge“ ist durch die Genehmigung des Carl Heymanns Verlags (Wolters Kluwer Deutschland) möglich gemacht.

Die Folge1 befasst sich mit den Zugangswegen zur Wunschvorsorge. Folge2 geht vertiefend auf die Zugangswege sowie auf mögliche Inhalte der Wunschvorsorge ein. Folge3 greift die Themen Bestandteile der arbeitsmedizinischen Wunschvorsorge, ärztliche Schweigepflicht und Abgrenzung zu allgemeiner Gesundheitsvorsorge und zur Eignungsuntersuchung auf. Jede Folge zeigt Praxisbeispiele auf.

Handlungsempfehlung Wunschvorsorge

Zugangswege zur Wunschvorsorge

Bei der Wunschvorsorge muss die Initiative vom Beschäftigten selbst ausgehen. Der Arbeitgeber muss dem Beschäftigten auf dessen Wunsch hin bei grundsätzlich allen Tätigkeiten regelmäßig arbeitsmedizinische Vorsorge ermöglichen, also auch bei Tätigkeiten, die im Anhang der ArbMedVV nicht genannt sind. Juristisch gesprochen wirkt die Wunschvorsorge als so genannter Auffangtatbestand.

Der Arbeitgeber muss den Beschäftigten über die Möglichkeit der Wunschvorsorge informieren, zum Beispiel im Rahmen einer Unterweisung. Entsprechend der betrieblichen Gegebenheiten sind Absprachen zu treffen, die den Beschäftigten klar vermitteln, auf welchem Weg sie die Wunschvorsorge erhalten können. Die Frage, auf welche Art und Weise der Arbeitgeber eine Wunschvorsorge ermöglichen muss, hängt eng damit zusammen, welche Möglichkeiten für den Beschäftigten bestehen, seinen Vorsorgewunsch zu äußern.

Grundsätzlich bestehen folgende Möglichkeiten:

  • Der Beschäftigte äußert seinen Wunsch zur Vorsorge beim Arbeitgeber:

Der Arbeitgeber hat eine Wunschvorsorge auf Wunsch des Beschäftigten zu er-möglichen. Dem Wunsch muss nicht entsprochen werden, wenn bei der Tätigkeit des Beschäftigten nicht mit einem Gesundheitsschaden zu rechnen ist. Demnach kann ein Beschäftigter seinen Vorsorgewunsch direkt gegenüber seinem Arbeitgeber oder gegenüber seinem unmittelbaren Vorgesetzten äußern. Dieser leitet den Wunsch entsprechend der betrieblichen Vorgabe an den Arbeitgeber oder an den Betriebsarzt weiter. Die Interessenvertretung (z.B. Betriebs- oder Personalrat) kann den Beschäftigten bei der Äußerung des Vorsorgewunsches unterstützen.

Für eine entsprechende Organisation des Arbeits- und Gesundheitsschutzes im Betrieb nach § 3 Absatz 2 Nummer 1 ArbSchG hat der Arbeitgeber Sorge zu tragen. Lehnt der Arbeitgeber den Vorsorgewunsch des Beschäftigten ab, so muss er dies im Streitfall darlegen und beweisen. Fragen des Arbeitgebers nach dem Gesundheitszustand des Beschäftigten sind nicht zulässig.

  • Der Arbeitgeber bietet eine betriebsärztliche Sprechstunde an:

Der Arbeitgeber schafft in seinem Betrieb die Möglichkeit einer betriebsärztlichen Sprechstunde, da dies aus arbeitsmedizinischer Sicht die beste Art und Weise ist, Wunschvorsorge zu ermöglichen. In einer betriebsärztlichen Sprechstunde können grundsätzlich alle Fragen im Zusammenhang mit der konkreten Tätigkeit besprochen werden. Auch für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) bieten sich verschiedene Möglichkeiten für die Gestaltung einer betriebsärztlichen Sprechstunde an.

Möglichkeiten einer betriebsärztlichen Sprechstunde für Beschäftigte können sein:

  • telefonische betriebsärztliche Beratung;
  • Angebot einer Sprechstunde bei dem Betriebsarzt außerhalb des Betriebes (ggf. nach telefonischer Terminvereinbarung bzw. Kontaktaufnahme per E-Mail);
  • Bekanntgabe fester Anwesenheitstage des Betriebsarztes im Betrieb;
  • betriebsärztliche Ambulanz.
  • nur mediale Kompartimentarthrose bei grober O-Beinigkeit,

So bietet eine telefonische betriebsärztliche Beratung dem Beschäftigten insbesondere in KMU die Möglichkeit eines Erstkontakts zum Betriebsarzt, dem bei Bedarf weitere Maßnahmen folgen können.

  • Der Termin einer Pflicht- oder Angebotsvorsorge wird zur Wunschvorsorge genutzt

Jeder Beschäftigte kann im Rahmen einer Pflicht- oder Angebotsvorsorge allgemeine Gesundheitsfragen mit Bezug auf seine Tätigkeit ansprechen. Die ArbMedVV verfolgt einen ganzheitlichen Vorsorgeansatz. Jeder Vorsorgetermin dient dazu, nicht nur eine Einzelexposition (z. B. Gefahrstoffe oder Lärm), sondern die gesamte Arbeitssituation und ihre Auswirkungen auf die Gesundheit zu thematisieren (vgl. § 2 Absatz 1 Nummer 2 und 3 ArbMedVV: alle individuellen Wechselwirkungen, Arbeitsanamnese).

Die Arbeitsmedizinische Regel „Erforderliche Auskünfte/Informationsbeschaffung über die Arbeitsplatzverhältnisse“ (AMR 3.1) gewährleistet, dass der Betriebsarzt vor einem Vorsorgetermin die gesamte Arbeitssituation des Beschäftigten kennt. Spricht der Beschäftigte sonstige arbeitsbedingte Gesundheitsfragen nicht selbst an, so erfährt der Betriebsarzt durch die Anamnese – speziell die Arbeitsanamnese –, ob Fragen bestehen und spricht den Beschäftigten gezielt darauf an. Der Termin einer Pflicht- oder Angebotsvorsorge eignet sich damit gut, einer Wunschvorsorge nachzukommen.

Darüber hinaus können Maßnahmen zur allgemeinen betrieblichen Gesundheitsvorsorge, wie zum Beispiel Gesundheitsschecks oder Gesundheitstage, ein Zugangsweg zum Betriebsarzt sein, auf dem der Beschäftigte seinen Vorsorgewunsch äußern kann.

Mögliche Inhalte der Wunschvorsorge

Gegenstand der arbeitsmedizinischen Wunschvorsorge können und sollen grundsätzlich alle Fragen zu den Wechselwirkungen zwischen der Arbeit und der Gesundheit eines Beschäftigten sein. Wunschvorsorge wird wie jede arbeitsmedizinische Vorsorge im Rahmen der Arbeitszeit vom Arbeitgeber ermöglicht.

In der modernen Arbeitswelt bestehen vielfältige Belastungen, die Auswirkungen auf die Gesundheit haben können. Mit der Änderungsverordnung zur ArbMedVV im Jahr 2013 wurde ausdrücklich klargestellt, dass der Gesundheitsbegriff die physische und psychische Gesundheit umfasst. Die Wunschvorsorge beinhaltet eine individuelle arbeitsmedizinische Aufklärung und Beratung zu allen arbeitsbezogenen Gesundheitsfragen. Wenn ein Beschäftigter beispielsweise einen Zusammenhang zwischen einer psychischen Belastung am Arbeitsplatz und vorhandenen Beschwerden vermutet, ist der Betriebsarzt eine wichtige erste Anlaufstelle und die Wunschvorsorge ein gutes Instrument zur persönlichen Aufklärung und Beratung. Dies gilt auch im Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankung und Arbeitsplatzbedingungen. Hierbei ist die individuelle Arbeitsplatzgestaltung und Arbeitsorganisation von besonderer Bedeutung.

Im Rahmen einer Wunschvorsorge kann ein Beschäftigter sich auch dazu beraten lassen, ob der Einsatz auf seinem aktuellen Arbeitsplatz mit seiner Gesundheit oder bestehenden Vorerkrankungen vereinbar ist. Dabei kann es auch um die Frage gehen, wie längere Lebensarbeitszeiten gemeistert werden können, ohne dass die Gesundheit Schaden nimmt. Denn arbeitsmedizinische Vorsorge soll auch zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit beitragen.

Auch geschlechtsspezifische Aspekte können Inhalte der Wunschvorsorge sein. Ebenso können Fragen zu organisatorischen oder strukturellen Benachteiligungen am Arbeitsplatz und damit verbundene gesundheitlich negative Auswirkungen im Rahmen einer Wunschvorsorge thematisiert werden.

Praxisbeispiele

Bei der Wunschvorsorge ist ebenso wie bei der Pflicht- und Angebotsvorsorge der individuelle Aspekt von besonderer Bedeutung. Im Sinne einer ganzheitlichen Vorsorge sollten individuelle Disposition, bestehende Erkrankungen, Alter, aber auch der soziokulturelle Hintergrund mit betrachtet werden. Mit folgenden Beispielen soll Erfahrungswissen von Ärzten weitergegeben werden, die schon längere Zeit Wunschvorsorge im Betrieb praktizieren. Die Beispiele geben Anregungen zu verschiedenen Themen und zeigen Umsetzungsmöglichkeiten auf.

Beispiel 5Gefahrstoffe: Unspezifische Beschwerden

Ein 43-jähriger Beschäftigter beklagt in der betriebsärztlichen Sprechstunde bei Abfüllung eines bestimmten chemischen Produkts regelmäßig Übelkeit, Schweißausbrüche und Oberbauchschmerzen zu bekommen. Er vermutet einen Zusammenhang zwischen seinen Beschwerden und dem Umgang mit dem Produkt.

Die Prüfung des Gefahrstoffkatasters des Betriebs, der Sicherheitsdatenblätter sowie die Befragung anderer Beschäftigter mit identischem Arbeitsplatzprofil ergeben, dass sich die Rezeptur eines abzufüllenden Stoffgemischs geändert hat. Die weiterführende Literaturrecherche zeigt, dass Übelkeit eine typische Produktwirkung der neu eingesetzten Substanz sein kann. Weitere Beschäftigte berichten auf Nachfrage über ähnliche Symptome. Die Messprotokolle der routinemäßigen Arbeitsplatzkonzentrationsmessungen sind unterhalb zulässiger Grenzen. Ein Biomonitoring zur Erfassung der individuellen Belastung ist für dieses Produkt nicht verfügbar und kann den Beschäftigten daher auch nicht angeboten werden. Die Abfüllung wird auf ein geschlossenes Verfahren umgestellt. Nach dieser Umstellung treten keine erneuten Beschwerden auf.

Beispiel 6Pflichtvorsorge „Lärm“: Zufallsbefund Depression

Ein 34-jähriger Schlosser berichtet im Rahmen der Pflichtvorsorge wegen Tätigkeiten mit Lärmexposition über eine ihn sehr belastende Konfliktsituation mit den Kollegen am Arbeitsplatz.

Aus der Anamnese ist eine Depression im Jahr 2005 bekannt. Der Beschäftigte klagt über zunehmende Antriebslosigkeit und zwanghaftes Grübeln. Auch im Urlaub nahmen die Beschwerden nicht ab. Die Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz hat erheblich nachgelassen. Es besteht der dringende Verdacht auf ein Rezidiv einer Depression, die entsprechend zu behandeln ist.

Der Betriebsarzt nimmt in Absprache mit dem Beschäftigten Kontakt mit dem behandelnden Arzt auf. Der Betriebsarzt berät den Beschäftigten, gemeinsam erarbeiten sie Strategien für den Arbeitsplatz.

Beispiel 7Angebotsvorsorge Bildschirmarbeitsplatz: Panikattacken

Eine 22-jährige Industriekauffrau kommt zu einer Angebotsvorsorge wegen Tätigkeiten an Bildschirmgeräten zum Betriebsarzt. Im Verlauf der Vorsorge beginnt sie zu weinen: Sie sei seit ein paar Monaten mit der Zusammenstellung von Güterzügen beschäftigt. Seit kurzem merke sie, wie ihre Leistung dramatisch abnehme. Aus Angst vor Fehlern kontrolliere sie jede Eingabe mindestens fünfmal auf Plausibilität. Dadurch werde sie mit ihrer Arbeit nicht fertig. Da die Güterzugfolge am nächsten Tag aber fertig geplant sein muss, arbeite sie bis spät in den Abend hinein. Dabei gerate sie zunehmend in Panik, vergesse, was sie gerade erst überprüft habe, bekomme Schweißausbrüche und Herzrasen und fühle sich dann völlig blockiert. Schon seit ihrer Jugend habe sie dazu geneigt, übermäßig viel zu kontrollieren. Jetzt aber eskalierten die Kontrollzwänge, was sich auch in ihrem Privatleben fortsetze. Es bestehen Schlafstörungen und sie denkt immer nur an ihre Arbeit.

Der Betriebsarzt rät zu einem gemeinsamen Gespräch mit dem Vorgesetzten und der Personalvertretung mit dem Ziel, die Arbeitsbedingungen anzupassen. Als Ergebnis des Gespräches wird die Beschäftigte personell unterstützt. Gleichzeitig vermittelt der Betriebsarzt für sie eine fachärztliche Diagnostik und Betreuung.

    Aufbereitet von

    Dr. med. Annegret Schoeller

    Bereichsleiterin im Dezernat 1

    – Bevölkerungsmedizin –

    Bundesärztekammer

    Herbert-Lewin-Platz 1

    10623 Berlin

    annegret.schoeller@baek.de

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