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Fume Events — wie ist der aktuelle Stand?

ASU: Die DGAUM widmet sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft unter anderem der Exposition und Belastung von Flugpersonal mit schädlichen Stoffen. Seit wann sind Sie hinsichtlich Fume Events aktiv?

Prof. Drexler: Meine Arbeitsgruppe hat 2008 eine Sachmittelbeihilfe für ein Forschungsvorhaben zur „Exposition und Belastung von Flugpersonal durch Tricresylphosphat“, bei der DGAUM beantragt. Zu dieser Zeit war ich selbst noch nicht im Vorstand der DGAUM. Die Fachgesellschaft hat die Bedeutung dieses Problems erkannt und das Vorhaben finanziell unterstützt. Tricresylphosphat ist neurotoxisch und dieser Stoff wurde lange Zeit als Ursache für das Phänomen Fume Events angesehen. Die Ergebnisse haben wir dann auch im Rahmen der Jahrestagung der DGAUM publiziert (Göen et al. 2010).

ASU: Zu welchen Beschwerden kommt es bei diesen Events?

Prof. Drexler: Bereits seit Ende der 1950er Jahre berichten Piloten und Flugbegleiter, aber auch Passagiere nach Geruchsereignissen an Bord von Flugzeugen über Symptome wie Übelkeit, Schwindel, Herzrasen, Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen. In der wissenschaftlichen Literatur werden diese Geruchsereignisse inzwischen als so genannte Fume Events bezeichnet. In den Medien wurden solche Reaktionen unter anderem auch als „aerotoxisches Syndrom“ oder „Sick-Aeroplane-Syndrom“ diskutiert. Oftmals kommt es aber auch nur zur Geruchsbelästigung, wobei immer wieder ein Geruch nach alten Socken beschrieben wird.

ASU: Und was sind die Auslöser dieser Beschwerden?

Prof. Drexler: Nach gegenwärtigem Stand des Wissens gibt es keine wissenschaftlich anerkannte Ursache dieses Phänomens. Zur Klärung des Sachverhalts sind weitere Forschungsarbeiten unverzichtbar. Neben der Beschreibung und Einordnung der klinischen Symptomatik muss auch nach toxikologischen, physikalischen und psychologisch bedingten Assoziationen gesucht werden, um Hypothesen formulieren zu können, die dann zu verifizieren oder falsifizieren sind.

ASU: Die DGAUM hat bereits 2008 ein Forschungsvorhaben unterstützt, die European Aviation Safety Agency hat im Frühjahr zwei Studien veröffentlicht und die EU-Kommission hat jüngst eine weitere Untersuchung in Auftrag gegeben. Woran liegt es, dass verunreinigte Kabinenluft offenbar ein schwieriges Thema ist?

Prof. Drexler: In großer Höhe bei niedriger Außentemperatur ist natürlich eine Lüftung der Flugkabine nicht möglich. Die Luft muss erwärmt werden. Als mögliche Quelle für Luftverunreinigung werden häufig Unregelmäßigkeiten in der Zapfluftanlage und damit verbundene Emissionen der Kabinenluft genannt. Auch in der Innenraumluft von Wohngebäuden sind Tausende von Chemikalien nachweisbar. Inwieweit gesundheitsrelevante qualitative und quantitative Unterschiede der Luftbelastung bestehen, ist nach wie vor ein wichtiger Gegenstand von Untersuchungen.

ASU: Auch die Medien haben das „aerotoxische Syndrom“ für sich entdeckt. Ein ZDF-Beitrag, der unter anderem am Rande der DGAUM-Jahrestagung 2017 entstand, lässt die Fachgesellschaft eher schlecht wegkommen. Was sind Ihre Kritikpunkte?

Prof. Drexler: Nein, ich glaube nicht, dass die Fachgesellschaft schlecht wegkommen ist. Vielmehr wurde gezeigt, dass wir uns dieser Problematik auf wissenschaftlicher Ebene annehmen. Unschön war nur, dass eine interne E-Mail der Geschäftsführung der DGAUM mit den Arbeitsgruppen an den Journalisten weitergeleitet wurde. Dort hatten wir zum Ausdruck gebracht, dass wir uns für eine offene und transparente Diskussion sowie einen ebenso gestalteten Dialog mit der Presse einsetzen, aber auch die Aufmerksamkeit der Journalisten auf die bisher bekannten wissenschaftlichen Fakten lenken wollten. Dies und die Tatsache, dass wir, wie dies in vergleichbaren Fällen üblich ist, die Medienvertreter und das Filmteam bei der Jahrestagung vor Ort begleitet haben, wurde im Film als versuchte Manipulation interpretiert. Wir haben in unserer Antwort den Journalisten darauf hingewiesen, dass eine wissenschaftliche Fachgesellschaft durchaus die Aufgabe hat, auf eine ausgewogene Berichterstattung hinzuwirken, indem nicht nur Vertreter, die eine bestimmte Hypothese vertreten, Gehör bekommen. Wir wollten daher die Berichterstattung in Richtung einer sachlichen und fundierten Berichterstattung akzentuieren, die auf Evidenz baut. Solange noch keine ausreichenden Erklärungen des Phänomens „Fume Events“ wissenschaftlich gesichert sind, sollte man insbesondere auch im Hinblick auf eine unnötige Verunsicherung von Betroffenen und der Allgemeinheit auf eine überzogene Berichterstattung verzichten.

ASU: Hat der Sender auf Ihre Stellungnahme reagiert?

Prof. Drexler: Wir haben nicht den Sender, sondern den Journalisten angeschrieben, der aber wohl leider keine Zeit mehr für eine Antwort fand und den Filmbeitrag auch nicht mehr abändern konnte.

ASU: Kabinenfrischluft wird bei allen größeren Passagiermodellen als „Zapfluft“ aus dem Verdichter der Triebwerke abgezweigt; nur die Boeing 787 arbeitet mit einem anderen Luftsystem. Wäre das nicht ein naheliegender Lösungsansatz?

Prof. Drexler: Ich glaube, das ist eine Frage, zu der nicht primär der Mediziner sich äußern sollte. Klar ist aber, dass die Luftqualität besser ist, wenn weniger Gefahrstoffe in der Luft sind. Klar ist aber auch, dass es eine Nullexposition nicht geben kann, das heißt, Gefahrstoffe werden immer und überall in der Atemluft des Menschen nachweisbar sein. Wenn die Symptomatik tatsächlich durch die Gefahrstoffe verursacht wird, wäre der aufgezeigte Lösungsansatz zielführend. Aber auch allein die Reduzierung von Gerüchen wäre unabhängig von toxischen Wirkungen schon geeignet, die Beschwerdesymptomatik zu reduzieren.

ASU: Wo sehen Sie akuten Handlungsbedarf hinsichtlich gefährlicher Kabinenluft? Was muss geschehen, damit es keine weiteren Zwischenfälle gibt?

Prof. Drexler: Solange die wissenschaftliche Datenlage keine abschließende Bewertung erlaubt, sind weitere ergebnisoffene Studien, die alle Einflüsse erfassen, erforderlich.

ASU: Vielen Dank für das Gespräch!