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Telemedizin — eine zukunftsorientierte Methode für die Arbeitsmedizin

Telemedizinische Verfahren gewinnen in der Medizin zunehmend an Bedeutung. Während es in einzelnen medizinischen Bereichen (z. B. Teleradiologie, Teleneurologie, Teledermatologie) bereits Konzepte für telemedizinische Verfahren gibt, fehlen diese in der Arbeitsmedizin noch weitgehend. Anwendungsgebiete für die Telemedizin in einer zukunftsorientierten Arbeitsmedizin als Ergänzung zu den etablierten Betreuungsformen ergeben sich u. a. für die allgemeine und spezielle arbeitsmedizinische Beratung des Arbeitgebers und der Arbeitnehmer, für Teilbereiche der arbeitsmedizinischen Vorsorge sowie für das ärztliche Konsil.

Es ist zu erwarten, dass eine qualitativ angemessene und ressourcenadäquate Anwendung der Telemedizin insbesondere bei der Betreuung von Beschäftigten in Kleinunternehmen sowie an speziellen Arbeitsplätzen und bei neuen Arbeitsformen eine wesentliche Ergänzung zu konventionellen Betreuungsformen darstellen kann. Eine gute Telemedizin bzw. die Anwendung telemedizinischer Methoden kann zu einer Verbesserung der arbeits-medizinischen Versorgung führen.

Die telemedizinische Betreuung kann selbstverständlich die direkte Beratung durch den/die Arbeitsmediziner/Arbeitsmedizinerin im Unternehmen vor Ort nicht ersetzten, diese jedoch sicherlich sehr gut ergänzen. Bei der telemedizinischen Betreuung darf es aber nicht darum gehen, konventionelle Beratungsmethoden und Verfahren eins zu eins digital abzubilden. Vielmehr muss geprüft werden, inwiefern moderne Informations- und Kommunikationstechniken künftig in bestehende Arbeitsprozesse unterstützend integriert werden können.

Telemedizin setzt selbstverständlich auch in der Arbeitsmedizin fundierte fachmedizinische Kenntnisse voraus, zudem müssen entsprechende relevante Kenntnisse zu den speziellen Arbeitsplatzverhältnissen vorliegen. Bei der Anwendung telemedizinischer Verfahren sind die Vorgaben des Datenschutzes und der ärztlichen Schweigepflicht unbedingt einzuhalten.

Schlüsselwörter: Telemedizin – arbeitsmedizinische Vorsorge – Betreuung und Beratung – Datenschutz – ärztliche Schweigepflicht

Telemedical procedures are becoming increasingly important in modern medicine. Whilst concepts for telemedical procedures already exist in some fields of medicine (e.g. teleradiology, teleneurology, teledermatology), they are largely absent in occupational medicine. Telemedicine can complement established forms of care in forward-looking occupational medicine: areas of application include general and specialised advice on occupational medicine for employers and employees, some areas of preventive occupational medicine and clinical consultation.

If the quality is appropriate and resources are adequate, then the use of tele-medicine can reasonably be expected to constitute an essential complement to conventional forms of care, especially when it comes to looking after employees in small businesses, at special workstations and with new ways of working. Good telemedicine and the application of telemedical methods can result in improvements to occupational health care.

Of course, telemedical care cannot replace a direct consultation with the in-house occupational health practitioner, but it can certainly complement it very well. However, telemedical care must not be a matter of digitally mapping conventional consultation methods and procedures one-to-one. Rather, it must be ascertained to what extent modern information and com-munications technology can be integrated into work processes in a way that supports them.

Even in occupational medicine, it goes without saying that telemedicine requires in-depth expertise, together with a relevant understanding of specific conditions in the workplace. Compliance with the regulations on data privacy and doctor-patient confidentiality is absolutely essential when using telemedical procedures.

Keywords: telemedicine – preventive occupational medical care – care and consultation – data privacy – doctor-patient confidentiality

S. Letzel1

K. Schöne1

T. Nesseler2

D.-M. Rose1

(eingegangen am 28. 01. 2016, angenommen am 14. 03. 2016)

Telemedicine – a future-oriented approach to occupational medicine

Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2016; 51: 268–275

Telemedizin – eine zukunftsorientierte Methode für die Arbeitsmedizin

Einleitung

Erste telemedizinische Konsultationen fanden bereits Ende des 19. Jahrhunderts statt. So berichtet Spencer (zitiert nach Rahimian 2009) von einer erstmaligen mündlichen Diagnoseabklärung per Telefon im Jahr 1897 (Spencer u. Daugird 1990). Mit dem zunehmenden technischen Fortschritt (u. a. Funk- und Radiogeräte, Fernseh-geräte, Computer, Internet) erweiterten sich die Möglichkeiten, ärzt-liche Gespräche über weite Distanzen zu führen und medizinische Befunde untereinander auszutauschen.

In den letzten Jahren gewinnt die Telemedizin in der gesundheits-politischen Diskussion in Deutschland zunehmend an Bedeutung. Im Koalitionsvertrag der 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundes-tags „Deutschlands Zukunft gestalten“, der zwischen CDU, CSU und SPD ausgehandelt worden war, heißt es dazu: „ … Elektronische Kommunikations- und Informationstechnologien können die Leistungsfähigkeit in unserem Gesundheitswesen weiter verbessern. Dies gilt insbesondere für die Versichertenstammdaten, die Notfalldaten, die Kommunikation zwischen allen Leistungserbringern, Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit und Daten für ein verbessertes Einweisungs- und Entlassmanagement. Hindernisse beim Datenaustausch und Schnittstellenprobleme werden beseitigt und der Anbieterwettbewerb zwischen IT-Anbietern befördert. Dabei muss ein hoher Datenschutz beachtet werden. Telemedizinische Leistungen sollen gefördert und angemessen ver-gütet werden ...“ (Koalitionsvertrag CDU, CSU und SPD 2013).

Auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich u. a. in ihrer Regierungserklärung vom 29. Januar 2014 im Deutschen Bundestag zur Telemedizin bekannt: „… Die Bundesregierung will dafür Sorge tragen, dass die medizinische Versorgung verbessert wird, insbesondere bei der Versorgung mit Fachärzten. Jeder muss schnell und gut behandelt werden. Die hohe Qualität unserer medizinischen Ver-sorgung muss auch in Zukunft gerade im ländlichen Raum gesichert werden. Dabei spielt die Entwicklung der Telemedizin im Übrigen eine zentrale Rolle …“ (Merkel 2015).

Die aktuelle Diskussion zeigt den zunehmend hohen Stellenwert der Telemedizin. Vor diesem Hintergrund wird es eine wesentliche Aufgabe der (Gesundheits-)Politik sein, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen. Mit dem Gesetz zur Organisations-struktur der Telematik im Gesundheitswesen von 2005 und dem Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Ge-sundheitswesen (E-Health-Gesetz 2015) vom 28.12.2015 wurden bereits die ersten gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen. Die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen mit Beteiligung der Ärzte-schaft ist dabei für die inhaltliche und fachliche Gestaltung sowie die Umsetzung und Ausgestaltung der Telemedizin verantwortlich.

Definition und Anforderungen an die Telemedizin

Die Bundesärztekammer definiert die Telemedizin wie folgt: „Telemedizin ist ein Sammelbegriff für verschiedenartige ärztliche Versorgungskonzepte, die als Gemeinsamkeit den prinzipiellen Ansatz aufweisen, dass medizinische Leistungen der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in den Bereichen Diagnostik, Therapie und Rehabilitation sowie bei der ärztlichen Entscheidungsberatung über räumliche Entfernungen (oder zeitlichen Versatz) hinweg erbracht werden. Hierbei werden Informations- und Kommunikationstechnologien eingesetzt“ (Bundesärztekammer 2015).

Entsprechend dem aktuellen Positionspapier der Bundesärztekammer zur Priorisierung von Einsatzgebieten telemedizinischer Patientenversorgung sind Qualitätssteigerungen durch verbesserte innerärztliche Kommunikation, erhöhte Versorgungsgerechtigkeit und die Beseitigung von Versorgungslücken wesentliche Ziele von Telemedizin (Bundesärztekammer 2015).

Anwendungsgebiete der Telemedizin können u. a. die ausschließ-liche Übermittelung von Patientendaten und Informationen im Zusammenhang mit Prävention, Diagnostik, Behandlung und Weiterbetreuung von Patienten sein. Einen deutlich größeren Stellenwert haben jedoch telemedizinische Methoden, bei denen per Videokonferenz entweder Fallbesprechungen von Arzt/Ärztin zu Arzt/Ärztin im Rahmen eines ärztlichen Konsils erfolgen oder Konsultatio-nen zwischen Arzt/Ärztin und Patient/Patientin bzw. in der Arbeitsmedizin Klienten/Klientin durchgeführt werden.

In der Ärzteschaft gibt es z. T. kontroverse Diskussionen, ob die Telemedizin nicht dem „Fernbehandlungsverbot“ für Ärzte widerspricht (Fritzen 2014). Die (Muster)Berufsordnung für Ärzte gibt hier in § 7 Abs. 4 Folgendes vor: „Ärztinnen und Ärzte dürfen individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich über Print- und Kommunikationsmedien durchführen. Auch bei telemedizinischen Verfahren ist zu gewährleisten, dass eine Ärztin oder ein Arzt die Patientin oder den Patienten unmittel-bar behandelt“ (Bundesärztekammer 2015). Bezüglich weiterer Hin-weise und Erläuterungen zu § 7 Absatz 4 MBO-Ä (Fernbehandlung) sei auf die aktuelle Stellungnahme der Bundesärztekammer verwiesen (Bundesärztekammer 2015).

Bei der gesundheitspolitischen Diskussion hat der Deutsche Ärzte-tag sich in den vergangenen Jahren mehrfach mit der Telemedizin befasst. So haben die Delegierten beim 113. Deutschen Ärztetag in Dresden im Jahr 2010 folgenden Beschluss zu den innerärztlichen Voraussetzungen und externen Rahmenbedingungen für eine gute Telemedizin (Bundesärztekammer 2010) verabschiedet:

Innerärztliche Voraussetzungen:

  • Zielsetzung sowie inhaltliche und technische Ausgestaltung tele-medizinischer Projekte müssen sich an der medizinischen Notwen-digkeit und nicht an der technischen Machbarkeit orientieren. Tele-medizinische Lösungen von kommerziellen Anbietern sind stets dahingehend zu prüfen, inwieweit diesem Grundsatz gefolgt wird.
  • Telemedizinische Anwendungen unterstützen ärztliches Handeln und sollten als ergänzende Bestandteile konventioneller Versorgungsszenarien angesehen werden, die wesentlich zur Steigerung der Versorgungsqualität beitragen können.
  • Telemedizinische Verfahren sollen nur dann zur Anwendung kommen, wenn konventionelle Methoden unter Berücksichtigung der spezifischen Anforderung des Verfahrens, des Orts und der Zeit der Inanspruchnahme nicht verfügbar sind oder nur mit einem unver-hältnismäßig hohen Aufwand verfügbar gemacht werden können.
  • Patienten haben auch im telemedizinischen Setting den Anspruch auf eine Versorgung nach Facharztstandard. Die Verwendung telemedizinischer Technik in der Patientenversorgung kann Grund-prinzipien der ärztlichen Arbeit wie beispielsweise die gründliche Erhebung einer Anamnese nicht ersetzen. Zur Sicherstellung des qualitativen Anspruchs sollen qualitätssichernde Systeme innerhalb der telemedizinischen Anwendung verankert werden.
  • Die Anwendung telemedizinischer Verfahren setzt beim Arzt die folgenden Fähigkeiten voraus:
    • fachliche Kompetenz für das gesamte Spektrum möglicher me-dizinischer Anforderungen des jeweiligen telemedizinischen Verfahrens,
    • Beherrschen der speziellen Anforderungen an die Kommuni-kation bei telemedizinischen Verfahren,
    • Kenntnis des Leistungsspektrums sowie der technischen und inhaltlichen Grenzen des jeweiligen telemedizinischen Verfahrens,
    • Beherrschen der technischen Komponenten,
    • Kenntnis der Abläufe sowie der Kommunikations- und Dokumentationsprotokolle des telemedizinischen Verfahrens,
    • Kenntnis des Konsiliarius über die Fähigkeiten, Ausstattung und Arbeitsbedingungen des Anforderers im Rahmen eines Telekonsultationsverfahrens.
  • Telemedizinische Projekte müssen sich wissenschaftlichen Evaluationen hinsichtlich Sicherheit und Wirksamkeit ihrer An-wendungen stellen. Die Forschungsansätze müssen den viel-fältigen Versorgungsszenarien in der Telemedizin gerecht werden und bestmöglich den Ansprüchen evidenzbasierter Medizin genügen.

Externe Rahmenbedingungen:

  • Die Finanzierung muss den unterschiedlichen Telemedizinkonzepten gerecht werden und Spezifika verschiedener Behandlungssektoren abbilden.
  • Neben fachspezifischen Inhalten sollen insbesondere die möglichen Einflüsse der Telemedizin auf die Kommunikation zwischen Arzt und Patient bzw. zwischen Ärzten sowie die damit ein-hergehenden rechtlichen Aspekte vermittelt werden. Ziel ist die Befähigung der Ärzte, telemedizinische Instrumente sicher und nutzenbringend anzuwenden.
  • Telemedizinische Anwendungen sollen von den Fachgesellschaf-ten als Teil der medizinischen Innovation akzeptiert und bei der Evaluation und Überführung in die Regelversorgung unterstützt werden.
  • Haftungsrechtlich, berufsrechtlich und datenschutzrechtlich müssen die speziellen Aspekte telemedizinischer Verfahren geklärt und transparent sein. Bei der Klärung und gegebenenfalls anstehenden Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen soll stets die Verbesserung des medizinischen Behandlungsprozesses zum Wohle des Patienten im Vordergrund stehen.
  • Telemedizinische Zusammenarbeit wird erleichtert durch die Verwendung einheitlicher Datenformate.

Aufbauend auf den Beschlüssen des 113. Deutschen Ärztetages hat sich u. a. auch der 118. Deutsche Ärztetag im Jahr 2015 erneut mit der Telemedizin beschäftigt und darauf hingewiesen, dass tele-medizinische Methoden integraler Bestandteil nahezu eines jeden medizinischen Fachgebietes sind und der Eindruck vermieden werden muss, dass die „Telemedizin“ ein eigenständiges Fachgebiet der Medizin ist. Daher sei von „telemedizinischen Methoden“ in der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zu sprechen. Des Weiteren sei es aus ärztlicher Sicht wichtig, Anwendungsgebiete zu benennen und die zugehörigen Versorgungsziele für telemedizinische Versorgungskonzepte aufzuzeigen, in denen diese Methoden aus der ärztlichen Perspektive heraus relevanten Nutzen in der Patientenversorgung stiften können (Bundesärztekammer 2015).

Grundsätzliche Anforderungen an telemedizinische Methoden als Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz in der Patientenversorgung hat der 118. Deutsche Ärztetag wie folgt präzisiert:

  • Telemedizinische Patientenversorgung soll primär als eine Versorgungsmethodik eingesetzt werden, die die qualitativ hochwertige Patientenversorgung zum Ziel hat. Die Methoden sollen additiv zur konventionellen Patientenversorgung eingesetzt werden. Auf evidenzbasierter Grundlage können telemedizinische Methoden gegenüber konventionellen Verfahren auch als gleichwertig oder überlegen angesehen werden. Telemedizinische Patientenversorgung kann die Wirtschaftlichkeit der Patientenversorgung erhöhen. Die Fokussierung telemedizinischer Methoden auf diese sekundäre Zielsetzung darf aus ärztlicher Sicht nicht zuungunsten der primären Zielsetzung erfolgen.
  • Telemedizinische Patientenversorgung kann einerseits längerfristigen Versorgungsungleichgewichten entgegenwirken, andererseits aber auch bei kurzfristigen Versorgungsengpässen eingesetzt werden. Hierbei ist die Balance zwischen notwendiger Bewältigung der Versorgungsrealität und rein ökonomisch getriebenen Maßnahmen sorgfältig abzuwägen.
  • Auch in bereits etablierten und akzeptierten Bereichen telemedizinischer Versorgung wie beispielsweise der Teleradiologie besteht Verbesserungsbedarf im Bereich der Interoperabilität.
  • Bei der Etablierung telemedizinischer Patientenversorgung sollen neben dem möglichen Anpassungsbedarf der Weiterbildungsinhalte auch Veränderungen der Weiterbildungskapazitäten durch geänderte Versorgungsstrukturen beachtet werden.
  • Telemedizinische Patientenversorgung muss mit wissenschaftlichen Methoden validiert werden, die einerseits dem teilweise komplexen Interventionscharakter dieser Methoden gerecht werden und andererseits die höchst unterschiedlichen Veränderungen gegenüber konventionellen Verfahren berücksichtigen. Zu fordern ist insbesondere die wissenschaftliche Validierung telemedizinischer Befunderhebung.
  • Die Akzeptanz telemedizinischer Methoden sollte bei Ärzten und Patienten in wissenschaftlichen Analysen besondere Beachtung finden und bei der Auswahl und Einführung telemedizinischer Methoden berücksichtigt werden. Dabei ist zu beachten, dass telemedizinische Konsultationssysteme (z. B. Teleradiologie) zum innerärztlichen Austausch bereits heute vielfach eingesetzt und in technisch einfacherer Form (z. B. Telefon) bereits seit Jahrzehnten im medizinischen Alltag verankert sind. Telemedizinische Konsultationssysteme zwischen Arzt und Patient sind dagegen noch wenig etabliert und bedürfen der sehr sorgfältigen Evaluation (Bundesärztekammer 2015).

Anwendungsmöglichkeiten der Telemedizin in der Arbeitsmedizin

Seit 1973 ist die Sicherstellung der arbeitsmedizinischen Betreuung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen durch das Arbeitssicher-heitsgesetz (ASiG) verpflichtend geregelt. Auch das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) weißt in § 11 darauf hin, dass der Arbeitgeber den Beschäftigten auf ihren Wunsch unbeschadet der Pflichten aus an-deren Rechtsvorschriften zu ermöglichen hat, sich je nach den Ge-fahren für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit regelmäßig arbeitsmedizinisch untersuchen zu lassen, es sei denn, auf Grund der Beurteilung der Arbeitsbedingungen und der getroffenen Schutz-maßnahmen ist nicht mit einem Gesundheitsschaden zu rechnen (Arbeitsschutzgesetz). Das heißt, jeder Arbeitgeber, der Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen beschäftigt, muss u. a. – nach Ermittlung des Betreuungsbedarfs – durch die Bestellung eines Betriebsarztes seinen Beschäftigten den Zugang zu erforderlichen arbeitsmedizinischen Betreuungsleistungen ermöglichen (u. a. § 11 ArbSchG; DGUV Vorschrift 2). Zusätzlich wurde mit in Kraft treten der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) im Jahr 2008 bzw. der überarbeiteten Fassung aus dem Jahr 2013 die arbeitsmedizinische Vorsorge, als wesentlicher Bestandteil der betriebsärztlichen Betreu-ung, präzisiert und erhält eine stärkere Rechtsverbindlichkeit sowie einen konkreten Handlungsrahmen für Arbeitgeber und Betriebsärzte (Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge 2013).

In vielen mittleren und großen Unternehmen/Organisationen ist die Durchführung der arbeitsmedizinischen Betreuung elementarer Bestandteil eines ganzheitlichen Gesundheitsmanagementsystems, das auf die Förderung und die Erhaltung der Beschäftigungs- und die Leistungsfähigkeit der Mitarbeitergesundheit abzielt. Diese Ak-tivitäten werden gerade heute immer mehr zu einem Attraktivitätsmerkmal im Werben um qualifizierte Mitarbeiter. Vor allem im Bereich der Klein- (weniger als 50 Beschäftigte) und Kleinstunternehmen/-organisationen (weniger als 10 Beschäftigte, KKU/KKO) zeigt sich z. T. ein erheblicher Nachholbedarf, da bisher entsprechende Strukturen kaum oder noch nicht ausreichend implementiert sind.

Vorliegende Untersuchungen zur Betreuungssituation weisen da-rauf hin, dass bislang (lediglich) ein Drittel der Arbeitnehmer in KKU Zugang zu einer angemessenen arbeitsmedizinischen Betreuung haben (Sczesny et al. 2014). Ursachen sind u. a. ein fehlendes Wissen bzw. Verständnis zum Betreuungsnutzen seitens der Arbeitgeber einerseits oder ein Mangel an geeigneten Konzepten für eine qualitativ hochwertige und effiziente Betreuung auf Seiten der Leistungserbringer (Schulte et al. 2005; Sczesny et al. 2014; Barth et al. 2014) andererseits. Insbesondere in ländlichen Regionen stellt sich eine optimierungsbedürftige Betreuungssituation dar. Durch lange Fahrtzeiten zu KKU mit geringen Einsatzzeiten ist eine konventionelle arbeitsmedizinische Betreuung und Vorsorge unter ökonomischen Gesichtspunkten oftmals nur schwer realisierbar und daher „für betriebsärztliche Dienstleister wenig attraktiv“ (Schulte et al. 2005). Mit Blick auf die demografische Entwicklung, längere Lebensarbeitszeiten und den Wandel der Arbeitswelt mit neuen Belastungen für die Arbeit-nehmer (u. a. Industrie 4.0, Arbeit 4.0) wird diese Situation sich künftig weiter verschärfen. Gleichzeitig ist zu erwarten, dass der Bedarf an betriebsärztlicher Betreuung und Beratung zunimmt. Weiterhin werden spezielle Arbeitsplätze (z. B. im Offshore-Bereich) sowie auch neue Arbeitsformen (z. B. mobile Arbeitsplätze) den Zugang zu einer qua-litätsgesicherten arbeitsmedizinischen Betretung erschweren.

Um eine qualitativ angemessene und ressourcenadäquate Durch-führung der Betreuung von Beschäftigten in KKU trotz geringer Einsatzzeiten vor Ort sowie an speziellen Arbeitsplätzen und bei neuen Arbeitsformen sicherzustellen, ist es dringend erforderlich, Überlegungen anzustellen, wie die arbeitsmedizinische Vorsorge und Betreuung in der Praxis zukünftig weiterentwickelt werden kann. Verbunden mit der Bestrebung, Versorgungsleistungen qualitätsge-sichert und wirtschaftlich zu gestalten, gewinnt der Einsatz telemedi-zinischer Verfahren im gesamten Bereich der Gesundheitsversorgung zunehmend an Bedeutung. Auch die Deutsche Gesellschaft für Arbeits-medizin und Umweltmedizin (DGAUM 2015) weißt unter dem Schlagwort „Arbeitsmedizin 4.0“ in ihren 14 Thesen zum Stand und zum Entwicklungsbedarf der betrieblichen Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland in These 2 darauf hin: „Es bedarf einer Präventionsstrategie und Präventionskultur, die auch Klein- und Mittelunternehmen (KMU) erreicht. Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, benötigen wir: … ein in den Unternehmen beginnendes, eng mit den Krankenkassen, Rentenversicherungen und Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung verbundenes Modelleiner evidenzbasierten und sektorenubergreifenden Versorgung. In diese Richtung zielt auch das Präventionsgesetz. Im Bereich der KMU ist zu prüfen, inwiefern der Einsatz moderner und innovativer Betreuungsansätze (z. B. Kombination des Unternehmermodells mit telemedizinischen Präventions- und Versorgungsansätzen) die Adressierung des Themas Gesundheit im Betrieb sowie die arbeitsmedizinische Betreuung und Vorsorge nachhaltiger unterstützen und gestalten können“ (DGAUM 2015).

Ergebnisse internationaler und nationaler Forschungsprojekte zeigen, dass Telemedizin im Bereich der Gesundheitsvorsorge und Rehabilitation sowohl im Arzt-Patient/Klienten-Verhältnis als auch aus Kostenträgersicht einen sinnvollen Beitrag zur Erweiterung konventioneller Versorgungsmethoden leisten kann (van den Berg et al. 2009; Baumeister et al. 2009; Frenzel et al. 2013; Barbieri et al. 2014; DGUV 2015).

Während telemedizinische Verfahren in vielen Bereichen der Gesundheitsversorgung bereits weit verbreitet bzw. etabliert sind, befinden sich diese Verfahren im Versorgungsbereich Arbeitsmedizin noch in der Erprobung oder haben den Sprung in die „Regelversorgung“ noch nicht geschafft.

Unter Berücksichtigung der oben aufgeführten Rahmenbedingungen einer guten Telemedizin, die selbstverständlich nicht nur für die kurative, sondern auch für die präventive Medizin gelten, ergeben sich für die Telemedizin bzw. für telemedizinische Methoden bzw. Verfahren in einer zukunftsorientierten Arbeitsmedizin als Ergänzung zu den etablierten Vorgehensweisen verschiedene Anwendungsgebiete. Zu nennen sind hier u. a. die Bereiche

  • der allgemeinen und speziellen arbeitsmedizinischen Beratung des Arbeitgebers,
  • der allgemeinen und speziellen arbeitsmedizinischen Beratung des/der Arbeitnehmers/Arbeitnehmerin,
  • der arbeitsmedizinischen Vorsorge sowie
  • des ärztlichen Konsils von Arbeitsmedizinerinnen/Arbeitsmediziner untereinander bzw. mit Ärztinnen/Ärzten anderer Fachrichtungen.

Arbeitsmedizinische Beratung des Arbeitgebers

Arbeitsmedizinische Beratungen mittels Telekommunikation zu einzelnen Fragen des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung können sowohl bei fundierten Kenntnissen der speziellen Arbeitsplatzsituation als auch bei den entsprechenden Belastungen bzw. Beanspruchungen hinsichtlich des eingesetzten Personenkreises sinnvoll sein.

Bei fundierten Kenntnissen der speziellen Arbeitsplatzsituation sowie den entsprechenden tätigkeitsbezogenen Belastungen und Beanspruchungen des eingesetzten Personenkreises, können arbeitsmedizinische Beratungen zu einzelnen Fragen des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung durch moderne Informations- und Kommunikationstechnik sinnvoll unterstützt werden.

Insbesondere bei den im §3 ASiG aufgeführten Beratungsinhalten, wie z. B.

  • der Planung, Ausführung und Unterhaltung von Betriebsanlagen und von sozialen und sanitären Einrichtungen,
  • der Beschaffung von technischen Arbeitsmitteln und der Einführung von Arbeitsverfahren und Arbeitsstoffen,
  • der Auswahl von Körperschutzmitteln sowie
  • arbeitsphysiologischen, arbeitspsychologischen und sonstigen ergonomischen sowie arbeitshygienischen Fragen, insbesondere des Arbeitsrhythmus, der Arbeitszeit und der Pausenregelung, der Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsablaufs und der Arbeitsumgebung.

Die telemedizinische Beratung kann hierbei selbstverständlich die Beteiligung des/der Arbeitsmediziners/Arbeitsmedizinerin bei der Begehung und der Gefährdungsbeurteilung im Unternehmen vor Ort nicht ersetzten, jedoch sicherlich die Beratung und Unterweisung des Arbeitgebers ressourcen-sparend ergänzen. Bei der telemedizini-schen Beratung darf es nicht darum gehen, konventionelle Beratungsmethoden und Verfahren eins zu eins digital abzubilden. Vielmehr muss geprüft werden, inwiefern moderne Informations- und Kommunikationstechniken künftig in bestehende Arbeits-prozesse unterstützend integriert werden können. Gegenüber einer rein telefonischen Beratung – wie diese bereits heute regelmäßig durchgeführt wird – hat eine Videokommuni-kation den Vorteil, dass ggf. entsprechende Sachverhalte auch visuell kommuniziert wer-den können.

Arbeitsmedizinische Beratung des/der Arbeitnehmers/Arbeit-nehmerin

Ein wesentlicher Bestandteil der arbeitsmedizinischen Betreuung im Unternehmen ist die allgemeine und spezielle individuelle Beratung von Beschäftigten. Eine Vielzahl von Beratungsleistungen (z. B. zum Mutter-schutz) bedürfen nicht in jedem einzelnen Fall eines direkten Kontakts mit dem/der Arbeitsmediziner/Arbeitsmedizinerin. Tele-medizinische Verfahren können gerade in KMU, die über keine ausreichende Versorgungsinfrastruktur verfügen, eine zeitnahe arbeitsmedizinische Beratung ermöglichen. Auch für Großunternehmen bietet die Telemedizin den Vorteil, anlassbezogen über große Distanzen hinweg (z. B. bei Auslands-aufenthalten) Beschäftigte arbeitsmedizinisch beraten zu können. Die Telemedizin ermöglicht zudem extern erhobene Befunde zu übermitteln und ggf. auch einzelne körperliche Veränderun-gen (z. B. Hauteffloreszenzen) direkt dem/der zuständigen Arbeitsmediziner/Arbeitsmedizinerin zu demonstrieren.

Arbeitsmedizinische Vorsorge

Die ärztlichen Aufgaben im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge gemäß ArbMedVV lassen sich aus arbeitsmedizinischer Sicht in verschiedene Teilaufgaben untergliedern ( Tabelle 1).

Unter Berücksichtigung der ArbMedVV und den dort vorgegebenen originären arbeitsmedizinischen Teilaufgaben, lassen sich Bereiche identifizieren, bei denen ein Arzt/Ärztinnen-Klienten/Klientinnen-Kontakt erforderlich ist. Diese umfassen die Teilaufgaben 2, 3, 4 und 6 der Tabelle 1. Bei den Teilaufgaben 2, 3 und 6 (Tabelle 1) ist prinzipiell der unterstützende Einsatz telemedizinischer Verfahren bzw. Methoden wie z. B. Videokonferenzen vorstellbar. Der direkte Kontakt mit dem/der Klienten/Klientin über eine Videokonferenz sollte dem/der Arzt/Ärztin ermöglichen, einen direkten Blickkontakt mit dem Klienten/Klientin herzustellen um auch im Bereich der nonverbalen Kommunikation wesentliche Informationen zu erhalten, die dann in die Beratungsinhalte einfließen können.

Unter Berücksichtigung der Delegierbarkeit ärztlicher Leistungen im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge an arbeitsmedizinisches Assistenzpersonal erfordert nicht jede Untersuchung (z. B. Audiometrie) die räumliche Anwesenheit eines Arbeitsmediziners oder einer Arbeitsmedizinerin. Hier könnte beispielsweise das Aufklärungsgespräch zu Inhalt, Zweck und Risiken erforderlicher Untersuchungen durch den/die Betriebsarzt/Betriebsärztin unter Nutzung telemedizinischer Verfahren erfolgen (Tabelle 1, Teilaufgabe 3) und soweit erforderlich (nicht gegen den Willen des oder der Beschäftigten) die Durchführung einer delegierbaren Untersuchungen durch das arbeitsmedizinische Assistenzpersonal erfolgen (Tabelle 1, Teilaufgabe 4). In diesem Fall könnten die Untersuchungsdaten zwecks fachkundiger Bewertung in Echtzeit an den Betriebsarzt übermittelt werden. Auch die abschließende Befundmitteilung und Beratung des Arbeitnehmers (Tabelle 1,Teilaufgabe 6) auf der Basis der erhobenen Untersuchungsbefunde durch den/die Betriebsarzt/Betriebsärztin können – soweit nicht ethische oder fachliche Gründe dem entgegen stehen – über eine Videokonferenz erfolgen.

Ferner bedarf es bei der Beratung des Arbeitgebers (Tabelle 1, Teilaufgabe 9) nicht in allen Fällen zwingend eines direkten Kontaktes des/der Betriebsarztes/Betriebsärztin mit dem Arbeitgeber. Sollten sich keine wesentlichen Befunde aus der arbeitsmedizinischen Vorsorge ergeben, die einen Vor-Ort-Termin des Betriebsarztes erfordern, könnte eine Videokonferenz Ressourcen schonend für beide Seiten zum Einsatz kommen.

Ärztliches Konsil

Die Arbeitsmedizin ist ein Querschnittsfach, das nahezu sämtliche medizinischen Fachgebiete abdecken muss. Der/die Arbeitsmediziner/Arbeitsmedizinerin als Generalist und medizinischer Lotse im Unternehmen sollte bei unklaren Fragestellungen fachärztlichen Rat einholen. Telemedizinische Verfahren, wie z. B. Teleradiologie oder Teledermatologie haben sich in der kurativen Medizin bereits bewährt und sollten ebenfalls in der Arbeitsmedizin verstärkt eingesetzt werden. Für den/die Arbeitsmediziner/Arbeitsmedizinerin vor Ort kann in unklaren Fällen durch ein telemedizinisches Konsil die Sicherheit der Befundbewertung und Diagnosestellung deutlich erhöht werden und somit zur Qualitätssteigerung und Qualitätssicherung der arbeitsmedizinischen Betreuung beitragen.

Zudem kann in einzelnen Fällen ein telemedizinisches Konsil sowohl dem/der Arbeitnehmer/Arbeitnehmerin als auch dem Arbeitgeber Ausfallszeiten durch eine direkte Vorstellung bei einem Facharzt außerhalb der betriebsärztlichen Einrichtung ersparen und somit wesentlich zur Einsparung von Ressourcen beitragen. Selbstverständlich ist im Einzelfall von dem/der verantwortlichen Arbeitsmediziner/Arbeitsmedizinerin zu entscheiden, ob der spezielle Sach-verhalt hierfür geeignet ist.

Datenschutz

Zum Thema Datenschutz beim Einsatz telemedizinischer Verfahren haben sich bereits verschiedene Organisationen und Datenschutzbeauftragte (u. a. Bultmann et al. 2013; Bayerische Telemedallianz 2015) geäußert. Prinzipiell besteht Einigkeit darüber, dass im Rahmen der Telemedizin die gleichen Anforderungen an die Verarbeitung personenbezogener Patientendaten gelten, wie diese an die Verarbeitung solcher Daten in anderen Kontexten gestellt werden.

Die Bayerische Telemedizinallianz (Bayerische Telemedallianz 2015) weißt darüber hinaus auf folgendes hin: „Ihre Verarbeitung (Anmerkung: telemedizinisch erhobener Daten) unterliegt nach dem Bundesdatenschutzgesetz einem Erlaubnisvorbehalt. Vor Datenerhe-bung bzw. -verarbeitung ist demzufolge eine Einwilligung der betrof-fenen Person, die in schriftlicher oder elektronischer Form zu erfolgen hat, notwendig, sofern die Erhebung oder Verarbeitung nicht durch eine Rechtsvorschrift erlaubt ist oder ein Notfall vorliegt.

Da im Vorfeld einer Untersuchung dem Patienten bzw. dem Arzt meist noch gar nicht klar ist, welche Daten bei der Untersuchung erhoben werden, wurde in § 28 Abs. 7 BDSG festgelegt, dass „[das] Erheben von besonderen Arten personenbezogener Daten (§ 3 Abs. 9) […] zulässig [ist], wenn dies zum Zweck der Gesundheitsvorsorge, der medizinischen Diagnostik, der Gesundheitsversorgung oder Behandlung oder für die Verwaltung von Gesundheitsdiensten erforderlich ist und die Verarbeitung dieser Daten durch ärztliches Personal oder durch sonstige Personen erfolgt, die einer entsprechenden Geheimhaltungspflicht unterliegen.“ Im Bereich der telemedizinischen Anwendungen kann dementsprechend, wie bei einer herkömmlichen Behandlung auch, von einer stillschweigenden Einwilligung des Patienten ausgegangen werden. Die Anforderungen an die Telemedizin, die sich durch diese Vorschriften ergeben, sind der sparsame Umgang mit personenbezogenen Daten und die Ein-richtung entsprechender technischer Maßnahmen für einen möglichst hohen Sicherheitsstandard bei Zugang, Verarbeitung und Speicherung von Daten.“

Die zitierten Angaben zum Datenschutz bei der Anwendung telemedizinischer Verfahren gelten selbstverständlich auch für die Arbeitsmedizin. Im Einzelnen ist zu klären, ob hier zusätzliche Anforderungen an den Datenschutz und die ärztliche Schweigepflicht bestehen. Insbesondere ist zu prüfen, ob und inwieweit entsprechende Regelungen des Datenschutzes bei der Anwendung telemedizinischer Verfahren (z. B. Datenaustausch) im Sozialgesetzbuch VII getroffen werden müssen.

Ausblick

Es ist davon auszugehen, dass eine gute Telemedizin bzw. die Anwendung telemedizinischer Methoden insbesondere die arbeitsmedizinische Versorgung in KKU deutlich verbessern kann. Im Vergleich zur konventionellen arbeitsmedizinischen Betreuung kann der/die Betriebsarzt/Betriebsärztin durch die Nutzung moderner Kommunikations- und Informationstechnologien in gleicher Zeiteinheit mehr Mitarbeiter individuell betreuen, die zudem sogar an wechselnden Arbeitsplätzen erreichbar sind. Damit würden auch Beschäftigtengruppen im Handwerk, Dienstleistungssektor und in der Verwaltung erreicht, die bislang keine/kaum arbeitsmedizinische Vorsorgeprogramme für sich in Anspruch genommen haben oder nehmen konnten.

Wesentliche Voraussetzung der Anwendung ist selbstverständlich ein qualitätsgesichertes arbeitsmedizinisches Facharztwissen und dezidierte Kenntnisse zu den jeweiligen Arbeitsplatzverhältnissen. Prinzipiell sollte jedoch dabei beachtet werden, dass telemedizinische Verfahren den/die Arbeitsmediziner/Arbeitsmedizinerin vor Ort nicht ersetzten, sondern eine entsprechende Betreuung nur ergänzen kann.

Derzeit ist die Telemedizin noch nicht ausreichend in die arbeitsmedizinische Versorgung der Beschäftigten in Deutschland integriert, entsprechende Strukturen sind noch nicht implementiert. Um eine optimierte und anlassbezogene Telemedizin im Bereich der Arbeitsmedizin aufzubauen, sind wissenschaftliche Forschungsprojekte mit begleitender vergleichender Evaluation (Telemedizin versus direkter Betreuung vor Ort) dringend erforderlich. Entspre-chende Vorhaben müssen sowohl bei der Planung als auch bei der Durchführung und der Evaluation engmaschig durch die Arbeitsmedizin begleitet werden. Die entsprechenden arbeitsmedizini-schen Fachgesellschaften, insbesondere die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) als Vertreterin der wissenschaftlichen Arbeitsmedizin in Deutschland, sind hieran adäquat zu beteiligen. Eine Ausweitung der Datenschutzregelungen auf die Arbeitsmedizin (u. a. SGB VII) ist zu prüfen.

Zudem muss geklärt werden, welche Bestandteile der arbeitsmedizinischen Betreuung und Vorsorge an qualifiziertes arbeitsmedizinisches Fachpersonal delegiert werden können. In diesem Zusammenhang muss geprüft werden, welcher zusätzliche Schulungs- bzw. Qualifikationsbedarf sich für das arbeitsmedizinische Fachpersonal ergibt.

Wichtig wird es bei einer Einführung der Telemedizin in die Arbeitsmedizin und dem Aufbau entsprechender Versorgungsstrukturen sein, dass die Betreuungsqualität im Vordergrund steht und die arbeitsmedizinische Versorgung der Beschäftigten nicht aufgrund wirtschaftlicher Interessen reduziert und/oder substituiert wird.

Die eingangs aufgezeigten und von der deutschen Ärzteschaft beschlossenen Vorgaben für eine gute Telemedizin müssen ohne Abstriche auch auf die Arbeitsmedizin angewandt werden.

Literatur

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Barth C, Glomm D, Wienhold L: Betriebsärztliche Kleinbetriebsbetreuung. Bedarfs-abschätzung, Strategien, zeitgemäße Betreuungsmodelle. 1. Aufl. Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Forschungsbericht, Fb 904. Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW Verlag für neue Wissenschaft GmbH 2000.

Baumeister T, Weistenhöfer W, Drexler H, Kütting B: Prevention of work-related skin diseases: teledermatology as an alternative approach in occupational screenings, Contact Dermatitis 2009; 61: 224–230.

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Interessenkonflikt: Es bestehen keine Interessenkonflikte.

Für die Verfasser

Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. Stephan Letzel

Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Obere Zahlbacher Straße 67, 55131 Mainz

letzel@uni-mainz.de

Fußnoten

1 Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (Direktor: Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. Stephan Letzel)

2 Geschäftsstelle der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e. V. (DGAUM), München