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Betriebliches Gesundheitsmanagement — ein Überblick

Immer mehr Unternehmen in Deutschland entdecken die Mitarbeitergesundheit als betriebswirtschaftlichen Erfolgsfaktor. Eine systematische Strategie zur nachhaltigen Verbesserung von Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten ist das Betriebliche Gesundheitsmanagement. Angesichts der zukünftigen demografischen Entwicklung in Deutschland sind die Forschungsergebnisse des Finnischen Instituts für Arbeitsmedizin (FIOH), Leitung Prof. Dr. J. Ilmarinen, zur Arbeitsfähigkeit interessant, die zeigen, dass sich durch eine gesunde Lebensweise und eine gesundheitsgerechte Gestaltung der Arbeitsbedingungen die individuelle Leistungsfähigkeit auch im fortge-schrittenen Alter auf einem hohem Niveau stabilisieren lassen.

Die Idee des Betrieblichen Gesundheits-managements (BGM) geht zum einen auf die Ottawa-Charta von 1986 zurück, die als Ziel die Befähigung der Bevölkerung zum selbstbestimmten Umgang mit der eigenen Gesundheit sowie die gesundheitsförderliche Gestaltung der Lebenswelt und der Gesundheitsdienste formuliert. Zum anderen wurzelt sie im betrieblichen Arbeitsschutz, der auf eine lange Tradition zurückblicken kann, im Rahmen europäischer Gesetzesinitiativen in den letzten Jahren gestärkt wurde und über eine weit fortgeschrittene Professionalisierung und Institutionalisierung verfügt.

Ein ganzheitlicher BGM-Ansatz sollte über den seit 1996 vorgeschriebenen ganzheitlichen Arbeitsschutz hinaus auch betriebliche Gesundheitsförderung, Verbesserung der Führungskultur, Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf sowie Aufgaben der altersgerechten Arbeitsgestaltung berücksichtigen.

Über das Vorgehen herrscht oft Unklarheit, der Beratungsbedarf der Unternehmen ist groß. Der Forderung nach individueller Vorgehensweise entsprechend der zu erwartenden Kosten und der betrieblichen Ziele wird von anderer Seite mit dem Ruf nach einheitlichen Kriterien sowie Transparenz in der Normen-, Akteurs- und Begriffsvielfalt begegnet.

Systematisches Vorgehen erforderlich: 2010 wurde der Social Capital and Occupational Health Standard (SCOHS) im betrieblichen Gesundheitsmanagement unter der Federführung von Prof. Badura, Universität Bielefeld, mit dem Ziel entwickelt, über Analysen und darauf aufbauende Audits bis hin zur Zertifizierung die „Qualität von Unternehmenskultur und Zusammenarbeit aller Beschäftigten messbar und damit für das Unternehmen steuerbar“ zu machen.

Die BAD GmbH war Initiatorin der DIN SPEC 91020 „Betriebliches Gesundheitsmanagement“, die im Juli 2012 veröffentlich wurde. Die neue DIN legt die Anforde-rungen eines BGM in Einklang mit den bestehenden Managementsystemen wie beispielsweise der ISO 9001 fest und kann als Grundlage einer Bewertung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements verwendet werden.

Entsprechend einer einschlägigen Studie der EuPDResearch (2006/2007) investieren fast 90 % der deutschen Großunternehmen über externe Gesundheitsdienstleister in Maßnahmen des Arbeitsschutzes und der Gesundheitsförderung (Sportangebote in 75 %, Betriebsmedizin in 73 %, Sozial- und Suchtberatung 46 % und Arbeitsschutz in 23 %).

Die Krise der Finanzmärkte hat gezeigt, dass die Priorisierung kurzfristiger finanzieller Ergebnisse auf Kosten nachhaltiger Unternehmensziele geht und insbesondere die immateriellen Erfolgsfaktoren wie das Human- und Sozialkapital vernachlässigt werden. Obwohl das Interesse in den letz-ten Jahren deutlich zugenommen hat, unterbleibt jedoch in der Regel ein systematisches Vorgehen, obwohl andere Qualitätsmanagement-Prozesse im Unternehmen klar struk-turiert sind, beispielsweise entsprechend dem PDCA-(Plan-do-check-act-)Zyklus nach Deming. Der PDCA-Zyklus beschreibt die Phasen im Kontinuierlichen Verbesse-rungsprozess (KVP). Damit wird im Unternehmen eine stetige Verbesserung der Prozesse und Abläufe verfolgt mit dem Ziel, die Effizienz, Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit des Unternehmens zu verbessern. In Industrieunternehmen und im Dienstleistungssektor gehört er zu den Standardverfahren. KVP und PDCA-Zyklus sind grund-legende Bestandteile der Normen ISO 9001, und ISO 27001.

Controlling: Ein systematisches Controlling im betrieblichen Gesundheitsmanagement erfolgt in der Regel ebenfalls nicht. Zumeist orientieren sich entsprechende Kennzahlen an Spätindikatoren wie Krankheitstage und Ausfallzeiten durch Unfälle. Empfehlenswert ist es jedoch, rechtzeitig an den Treibern anzusetzen, wie beispielsweise Führungsverhalten, Unternehmenskultur, Arbeitsbedingungen und Frühindikatoren wie Arbeits- und Leistungsfähigkeit, Motivation und Identifikation.

Vorgehen

Planung: Bei der Planung der Implementierung eines Gesundheitsmanagements ist zunächst zu klären, welches Ziel mit dem geplanten BGM verbunden sein soll und was das Unternehmen mit einem strukturierten Vorgehen erreichen möchte. Zu beachten ist, dass Unternehmen unterschiedlich sind, Ergebnisse aus anderen Betrieben nur beispielhaft übertragen werden können und immer wieder individuelle für das Unternehmen passende Lösungen gefunden werden müssen.

Schon zu Beginn sollte der Projektrahmen festgelegt werden, d. h. die Laufzeit des Projekts und die zur Verfügung stehende Kapitalmenge. Daran bemisst sich, welche Analysen durchgeführt und welche Maßnahmen nach dem Abschluss der Analyse initiiert werden können.

Zielfindung: Die Zielfindung beim Risiko- und Gesundheitsmanagement erfolgt in einem Steuerkreis, dem die Geschäftsführung, der Betriebsrat und Vertreter der Per-sonalabteilung, der Finanzabteilung, der Betriebsarzt und die Fachkraft für Arbeitssicherheit und gegebenenfalls weitere Ex-perten angehören. Dieser Steuerkreis ist dann während der gesamten Laufzeit des Projekts verantwortlich für die Umsetzung und den Abschluss der Maßnahme. Das betriebliche Gesundheitsmanagement ist eine Führungsaufgabe der Unternehmensleitung. Die Leitung des Steuerkreises obliegt der obersten Führungskraft.

Kennzahlen: Zunächst sollten Kennzahlen herangezogen werden, die es während des Projekts zu verbessern gilt und anhand derer der Erfolg messbar wird. Dafür können Daten aus anderen Unternehmensteilen berücksichtigt (z. B. Einkauf, Personalabteilung, Qualitätswesen) und miteinander verknüpft und durch Daten der Arbeitsmedizin und der Arbeitssicherheit ergänzt werden.

Analyse: Die systematische weitere Analyse umfasst zum einen bewährte Instrumente der Unternehmenssteuerung wie Gefährdungsbeurteilungen (Arbeitsmedizin, Arbeitssicherheit), Gesundheitsberichte, Mitarbeiterbefragungen (z. B. sind im Bausatz der Bundesanstalt für Arbeitsschutz zahlreiche evaluierte Fragebögen zur Analyse psychischer Belastungen vorhanden).

Diese können ergänzt werden durch neue Analyseinstrumente und Auswertealgorith-men zum Risikomanagement (RGM). Hilf-reich ist dabei beispielsweise die Einteilung nach der Risikomatrix nach Nohl ( Abb. 1). Beim klassischen Risikomanagement eines Unternehmens werden technische und or-ganisatorische Risiken identifiziert und bewertet. Hieraus lassen sich Maßnahmen zur Risikominimierung entwickeln.

Analysiert werden sollten im BGM auch Risiken und Ressourcen des Human- und Sozialkapitals, unter anderem besonders Demographie, Stressressourcen der Leistungsträger, Führungskultur, Motivation, Leistungsfähigkeit und berufliche Teilhabe der Mitarbeiter.

Die Ergebnisse der Analyse helfen, den aktuellen Handlungsbedarf im Unternehmen einzuschätzen. Entsprechend können bedarfsgerechte Angebote gemacht werden. Eine Verknüpfung und Absprache mit den Maßnahmen der Gesundheitsförderung (Ernährungsberatung, Entspannungstechniken, Sportkurse, Stressmanagement, Acht-samkeitstraining) im Unternehmen ist sinnvoll. Die Ergebnisse sollten systematisch evaluiert werden.

Kommunikation: Eine gute Kommunikation über die geplanten Abläufe ist für den Erfolg ganz wesent-lich. Von großer Be-deutung ist es daher, die Mitarbeiter/in-nen schon zu Beginn umfassend über das geplante Projekt (z. B. bei einer Mitarbeiterveranstaltung oder ggf. über das Intranet) sowie über das weitere Vorgehen und später den Abschluss des Pro-jekts zu informieren.

Vorteil durch ein systematisches BGM: Durch ein systematisches Betriebliches Gesundheitsmanagement lassen sich durch Straffung der betrieblichen Abläufe und der Analyse von Schwachstellen im Betrieb zum Teil erhebliche Kosten einsparen.

Initiativen zur Förderung eines systematischen Betrieblichen Gesundheitsmanagements

Corporate Health Award

Um die Bereitschaft der Firmen zu erhöhen, in ein betriebliches Gesundheitsmanagement zu investieren, wurde der Corporate Health Award als gemeinsame Initiative des Handelsblatts, des TÜV Süd und des Markt-forschungsinstituts EuPD Research Sustain-able Management unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWI) ausgelobt. Seit 2009 wird er in verschiedenen Brachen- und Sonderkategorien vergeben.

Der Corporate Health Award will die Vor-bildfunktion guten betrieblichen Gesundheitsmanagements durch das Verleihen von Preisen und Gütesiegeln in besonderem Maße hervorheben.

SCOHS (Social Capital Occupational Health Standard)

Bei dem von Prof. em. Dr. Badura, Universität Bielefeld entwickelten SCOHS handelt es sich um einen Anforderungskatalog für ein betriebliches Gesundheitsmanagement mit dessen Hilfe ein standardisiertes BGM in Unternehmen aufgebaut werden kann. Dadurch werden sowohl die Qualität der Unternehmenskultur als auch die Zusammenarbeit der Beschäftigten messbar und damit für das Unternehmen steuerbar.

Der SCOHS ist an die Norm DIN EN ISO 9001:2008 angelehnt und in bereits bestehende Managementsysteme integrier-bar.

Der SCOHS setzt das Führungsverhal-ten in den Fokus. Hierbei wird der kausale Zusammenhang von Führung und Wohl-befinden deutlich. Aber auch mehr Produk-tivität ist in diese Wirkungsreihenfolge einzuordnen.

Angesetzt wird an den folgenden fünf Punkten:

  • Qualifikation,
  • Arbeitsbedingungen,
  • soziale Beziehungen,
  • Verhältnis zu den direkten Vorgesetzten und
  • Unternehmenskultur.

Zusammenfassung

Das betriebliche Gesundheitsmanagement ist eine faszinierende Möglichkeit Prozesse in Unternehmen unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus Arbeitsmedizin und Arbeitspsychologie effektiver zu gestalten. Bei der Planung und Durchführung des BGM im Betrieb sind Betriebsärzte als Experten unbedingt erforderlich um die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeiter bei der Ar-beit zu stärken und zu verbessern. Gleichzeitig erhöhen die Maßnahmen des BGM die Mitarbeiterbindung und somit den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens.

Literatur

Badura B, Ritter W, Scherf M: Betriebliches Gesund-heitsmanagement – ein Leitfaden für die Praxis. Berlin: Edition Sigma, 1999.

Badura B et al.: Fehlzeiten-Report 2008. Betriebliches Gesundheitsmanagement: Kosten und Nutzen. Berlin: Springer, 2008. (Jährlich erscheinender Report. The-men mit Bezug zum betrieblichen Gesundheits-management sind u. a. Psychische Belastung am Ar-beitsplatz im Jahr 1999, Work-Life-Balance im Jahr 2003 und Erfolgreiche Unternehmen von morgen – gesunde Zukunft heute gestalten im Jahr 2014.)

EuPD Research: Betriebliches Gesundheitsmanagement 2007/08. Erstellt in Kooperation mit dem Handelsblatt, Badura, Bertelsmann-Stiftung, Hans-Böckler-Stiftung und dem BKK Bundesverband. (Die Studie untersucht das Gesundheitsmanagement der 800 größten deutschen Unternehmen.)

    Weitere Infos

    Stress im Job – wie kann betriebliches Gesundheits-management vorbeugen? Aktuelle Literaturliste, zu-sammengestellt von der ZBW – deutsche Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften

    www.zbw.eu/kataloge/econis_select/econisselect_docs_2011/schmu_bwl-stress-gesundheitsmanagement-im-betrieb.htm

    Informationen zum Corporate Health Award

    www.corporate-health-award.de

    Informationen zum Social Capital Occupational Health Standard

    www.gesundheitundmanagement.de/der-social-capital-and-occupational-health-standard

    Why WAI? – Der Work Ability Index im Einsatz für Arbeits-fähigkeit und Prävention. Erfahrungsberichte aus der Praxis. 5. Auflage. 2013.

    www.baua.de/de/Publikationen/Broschueren/A51.html

    Autorin

    Dr. med. Jutta Kindel

    Ärztin für Innere Medizin und Arbeitsmedizin

    Berner Weg 16 d

    22393 Hamburg

    jutta.kindel@gmx.de

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