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Einführung | Gesund arbeiten in Thüringen und in Deutschland

Das Präventionsgesetz in der Praxis

Gesundheit ist ein existenzielles Gut. Zu deren Erhaltung, Förderung und Wiederherstellung bedarf jeder Einzelne der Unterstützung bei der Wahrnehmung von Eigenverantwortung innerhalb eines leistungsfähigen Gesundheitssystems, das auf solidarischer Basis organisiert ist. Nicht zuletzt im Hinblick auf die demografische Entwicklung in Europa und dem damit einhergehenden spezifischen Alterungsprozess der Bevölkerung auch in Deutschland bei gleichzeitiger Zunahme chronischer Erkrankungen schon in der jüngeren Bevölkerung erhalten Prävention und Gesundheitsförderung sowohl für den einzelnen Menschen als auch für die Gesellschaft im Gesamten eine wichtige Bedeutung.

Mit dem Präventionsgesetz besteht heute ein breit getragener Konsens darüber, dass die Stärkung von Prävention und Gesundheitsförderung nicht nur für die Lebensqualität, sondern auch zur ökonomischen Stabilisierung unserer Gesellschaft und unseres Gesundheitswesens unverzichtbar ist. Dazu bedarf es einer an bestehende Setting-Ansätze angepassten Systematik von Prävention und Gesundheitsförderung, die sowohl die Verantwortung des einzelnen Menschen als auch die seiner Lebens- und Arbeitswelt – also ein Zusammenspiel zwischen Verhaltens- und Verhältnisprävention – fördert und fordert.

In ihrem Beitrag über die Strukturen der Landesgesundheitskonferenz und die Landesrahmenvereinbarung in Thüringen diskutieren Martin Staats und Uta Maerker die politischen Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Umsetzung des Präventionsgesetzes in einem Bundesland. Ziel ist es, die Menschen in Thüringen in den unterschiedlichen Lebenswelten gezielt anzusprechen und für eine gesundheitsfördernde Lebensweise zu motivieren. Dafür sind nicht nur strukturelle Voraussetzungen notwendig, sondern auch ein Konsens der für solche Prozesse notwendigen Akteure: Leistungserbringer und Sozialversicherungsträger, Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege, Institutionen der Wirtschaft und der Arbeitnehmer, der Selbsthilfe, der Einrichtungen der Gesundheitsvorsorge und des Patientenschutzes oder den Institutionen der Wissenschaft.

Für die Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung (BVPG), die im Auftrag der Nationalen Präventionskonferenz (NPK) das jährlich stattfindende Präventionsforum durchführt, reflektiert Beate Grossmann den Stand der Umsetzung des Präventionsgesetzes in der Arbeitswelt. Gerade das Präventionsforum stellt eine Plattform für den Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen der Nationalen Präventionskonferenz (NPK) und der Fachöffentlichkeit dar, um übergeordnete politische Ziele, wie diese etwa durch die NPK mit den Bundesrahmenempfehlungen (BRE) formuliert sind, mit den gesellschaftlichen und sozialen Lebenswirklichkeiten in unserem Land zu vermitteln. Im Feld der betrieblichen Prävention und Gesundheitsförderung sollen gerade die regionalen BGF-Koordinierungsstellen kleine und mittlere Betriebe und Unternehmen (KMU) dabei unterstützen, die Gesundheit der Beschäftigten am Arbeitsplatz zu fördern.

Die historische Situation der parlamentarischen Verabschiedung eines Präventionsgesetzes und der damit verbundenen gesamtgesellschaftlichen Diskussion um die Bedeutung präventionsmedizinischer Maßnahmen in den Lebenswelten und somit auch am Arbeitsplatz stellten jene interessenleitenden Kontexte dar, die im März 2016 zu der strategischen Kooperationsvereinbarung des Krankenversicherungsunternehmens BARMER mit der DGAUM führte. Zwischen den Partnern bestand von Beginn an Einigkeit, dass Maßnahmen im Feld des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) und der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) wichtige Beiträge zur Förderung der Gesundheit der Beschäftigten sowie zur Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren leisten kann.

Ziel im Modellvorhaben „Gesund arbeiten in Thüringen“ ist es daher, die Gesundheit der Beschäftigten in den durch Betriebsärzte betreuten Unternehmen und Betrieben am Arbeitsplatz zu verbessern, indem, soweit möglich, gesundheitliche Belastungen unter Einbindung von Beschäftigten und ggf. ihrer Vertretungen, etwa dem Betriebsrat, in geeigneter Weise gemeinsam identifiziert, abgebaut und gesundheitsförderlich Ressourcen gestärkt werden.

Im Interesse der Nachhaltigkeit gemeinsamer Anstrengungen und zur Vermeidung unwirtschaftlicher Aufwände wird deshalb angestrebt, dass BARMER und DGAUM gemeinsam spezifische Leistungsangebote und Leistungsspektren im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung entwickeln und kultivieren.

In ihrem Beitrag analysieren Birgit Dziuk, Christian Graf und Mustapha Sayed daher aus Sicht der BARMER den bisherigen Stand der Umsetzung des Präventionsgesetzes. Dabei liegt das Augenmerk nicht nur auf der Situation von KMU und der Situation in Thüringen, sondern die Autoren fragen ebenfalls nach den Chancen und Gefahren der zunehmenden Digitalisierung in unserer Gesellschaft und deren Auswirkungen für die Gesundheit der Menschen. Unzweifelhaft können durch digitale Angebote für Betriebe und Unternehmen neue Möglichkeiten für die betriebliche Prävention und Gesundheitsförderung geschaffen werden. Diese gilt es genauso wahrzunehmen wie Stressphänomene, die für viele Menschen mit den digitalen Technologien verbunden sind.

Deshalb ist es konsequent, dass in Thüringen das Online-Angebot der regionalen BGF-Koordinierungsstellen um ein physisches Angebot erweitert wird und dabei eine fachkompetente und persönliche Beratung und Unterstützung der KMU in den Mittelpunkt stellt. Möglich wird dies sowohl durch die Einbeziehung des Modellvorhabens „Gesund arbeiten in Thüringen“ als auch des „Netzwerks gesunde Arbeit“, das an der Ernst-Abbe-Hochschule in Jena angesiedelt ist.

Steffi Burchert, Jessica Hopf und Heike Kraußlach stellen die Netzwerkarbeit als einen Erfolgsfaktor für gesunde Arbeit vor: Das „Netzwerk gesunde Arbeit“ unterstützt in Thüringen Betriebe und Unternehmen bei der Einführung und Umsetzung von Maßnahmen sowie bei der Suche nach bedarfsgerechten Leistungsangeboten im Feld der betrieblichen Gesundheitsförderung. Tatsache ist, dass die Folgen der Arbeitsverdichtung und des demografischen Wandels, insbesondere die entstehenden Krankheits- und Ausfallzeiten, zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten der Unternehmen führen können. Für die Unternehmen bedeutet dies ein Umdenken im Umgang mit der wichtigsten Ressource, dem Personal, sowie die Neugestaltung der Arbeits- und Organisationsstrukturen. Hier will das Netzwerk gesunde Arbeit unterstützen.

Wie komplex die Umsetzung des Präventionsgesetzes in den so genannten KMU ist, das zeigt sich gerade im Modellvorhaben von DGAUM und BARMER „Gesund arbeiten in Thüringen“, das seit Anfang 2017 am Start ist. Die Ergebnisse der Arbeitgeberbefragung aus Thüringen, die Nadja Amler et al. im Wissenschaftsteil dieser Ausgabe von ASU vorstellen, zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der Thüringer Betriebe betriebsärztlich betreut ist. Die Ergebnisse deuten aber auch auf eine unzureichende Umsetzung des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes, insbesondere in Kleinst-, kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie auf ein bestehendes Informations- bzw. Wissensdefizit seitens der Unternehmensleitungen hin, wenn es beispielsweise um die Bestellung von Sicherheitsbeauftragten, die Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen, Unterweisungen, Betriebsbegehungen oder den Mutterschutz geht. Hier adäquate Lösungen zu finden, wie diese Defizite und Lücken sich schließen lassen, ist daher eines der wesentlichen Ziele des Modellvorhabens. Eine Option kann eine verstärkte Netzwerkbildung und Kooperation der Betriebe miteinander sein, um die betriebliche Prävention und Gesundheitsförderung zu stärken, indem die Beratung der Arbeitgeber durch Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit effizienter organisiert wird. Mit solch innovativen und undogmatischen Ansätzen sollte betriebliche Gesundheitsförderung auch in kleinsten und kleinen Betrieben gelingen.

Die Frage der Umsetzung des Präventionsgesetzes, die wir in den Beiträgen dieser Ausgabe der ASU thematisiert haben, ist ebenfalls Schwerpunkt der diesjährigen 59. DGAUM-Jahrestagung, die erstmals vom 20. bis 23. März 2019 in Erfurt stattfinden wird. Im Schwerpunktthema „Aus der Wissenschaft für die Praxis: Gesund arbeiten in Thüringen und in Deutschland“ wird es eine Vielzahl von Veranstaltungen dazu geben, die zu weiteren Diskussionen anregen sollen. Das Kongressprogramm ist online einzusehen unter: www.dgaum.de

Mit dem Präventionsgesetz ist für die Betriebsärzte ebenfalls die Frage der Schutzimpfungen im Betrieb stärker in den Fokus gerückt. § 132e, SGB V, „Versorgung mit Schutzimpfungen“, in Verbindung mit § 20i, SGB V, „Primäre Prävention durch Schutzimpfungen“, führt zu einer qualitativen Veränderung in der betrieblichen Prävention, da alle Versicherten Anspruch auf Leistungen für Schutzimpfungen aus dem System der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) haben. Dies gilt ebenfalls für „Schutzimpfungen, die wegen eines erhöhten Gesundheitsrisikos durch einen Auslandsaufenthalt indiziert sind, und zwar dann, wenn der Auslandsaufenthalt beruflich bedingt oder im Rahmen der Ausbildung vorgeschrieben ist oder wenn zum Schutz der öffentlichen Gesundheit ein besonderes Interesse daran besteht, der Einschleppung einer übertragbaren Krankheit in die Bundesrepublik Deutschland vorzubeugen“. Das bedeutet, dass die GKV reisemedizinische Impfungen erstattet, wenn der Auslandsaufenthalt beruflich bedingt ist.

Im Rahmen ihrer Kooperation haben DGAUM und BARMER im November den ersten bundesweiten Vertrag zur Regelung von Schutzimpfungen durch Betriebsärzte vereinbart. Darüber wird auf der Verbandsseite der DGAUM berichtet und auch darüber, dass DGAUM und BAHN BKK im Dezember einen weiteren Vertrag zur Regelung von Schutzimpfungen durch Betriebsärzte geschlossen haben, der sich dadurch auszeichnet, dass neben den gesetzlichen Impfleistungen auch Satzungsleistungen der BAHN BKK bedacht sind.

Gemeinsam mit allen Autorinnen und Autoren dieses Themenheftes hoffen wir, dass es uns gelungen ist, einige wichtige Aspekte zu beleuchten, wie man das Präventionsgesetz in der Praxis umsetzten kann. Schon heute freuen wir uns auf die Diskussion mit den Leserinnen und Lesern, sei es im Rahmen der DGAUM-Jahrestagung, sei es durch Ihre Zuschriften in Form von Lob oder Kritik. Es gibt nichts, das man nicht noch besser machen könnte!

    Autor

    Dr. phil. Thomas Nesseler

    Hauptgeschäftsführer DGAUM

    Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V.

    Schwanthaler Straße 73 b

    80336 München

    tnesseler@dgaum.de

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