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DGAUM AKTUELL

DGAUM: Chancen und Risiken des neuen Präventionsgesetzes für die Arbeitsmedizin

Arbeitsmedizinische Prävention

Die arbeitsmedizinische Prävention umfasst Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung, der Primärprävention, der Sekundärprävention, der Tertiärprävention sowie der quartären Prävention.

Unter der betrieblichen Gesundheitsförderung versteht man hierbei alle gemeinsamen Maßnahmen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Gesellschaft zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz. Ziele der betrieblichen Gesundheitsförderung sind u.a. die Verbesserung der Arbeitsorganisation, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, die Förderung einer aktiven Mitarbeiterbeteiligung sowie die Stärkung der persönlichen Gesundheitskompetenzen.

Die Primärprävention im betrieblichen Umfeld zielt auf die Verhütung von gesundheitlichen Schäden hin und kann in verhaltens- und verhältnispräventive Maßnahmen untergliedert werden.

Die Sekundärprävention befasst sich mit der Früherkennung von Risikofaktoren und adversen Effekten bzw. gesundheitlichen Störungen. Die arbeitsmedizinische Vorsorge nach der Verordnung zur arbeitsmedizinische Vorsorge (ArbMedVV) (2) hat sowohl die Sekundärprävention (Vorsorgeuntersuchungen) als auch die Primärprävention (Beratung) im Focus.

Die Tertiärprävention zielt auf die Schadensrevision. Im beruflichen Umfeld stehen hier die berufliche Rehabilitation sowie die berufliche Weidereingliederung im Mittelpunkt. Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) (3) kann ein wichtiger Bestandteil der Tertiärprävention sein.

Eine große Herausforderung für die zukünftige Weiterentwicklung der Prävention wird die quartäre Prävention sein. Unter der Prämisse „primum non nocere“ wird es Aufgabe der quartären Prävention zukünftig sein, unnötige (präventiv)medizinische Maßnahmen sowie eine Übermedikalisierung in unserer Gesellschaft zu vermeiden (4).

Präventionsgesetz

Beim PrävG handelt es sich um ein Artikelgesetz, das u.a. zu Änderungen und Ergänzungen folgender Gesetze geführt hat: Sozialgesetzbuch V (Gesetzliche Krankenversicherung), Sozialgesetzbuch VI (Gesetzliche Rentenversicherung), Sozialgesetzbuch VII (Gesetzliche Unfallversicherung), Sozialgesetzbuch VIII (Kinder- und Jugendhilfe), Sozialgesetzbuch XI (Soziale Pflegeversicherung), Infektionsschutzgesetz und Jugendarbeitsschutzgesetz. Die wesentlichen Ziele des PrävG sind u.a.:

  1. Stärkung der Prävention und Gesundheitsförderung in den Lebenswelten (z.B. Kitas, Schulen, Betrieben, Pflegeheimen, ...)
  2. Stärkung der betrieblichen Gesundheitsförderung und Verzahnung mit dem Arbeitsschutz
  3. Einbeziehung aller Sozialversicherungsträger
  4. Verbesserung der Kooperation und Koordination zwischen Sozialversicherungsträgern, Ländern, Kommunen, ...
  5. Stärkung der Früherkennungsuntersuchungen bei Kindern und Erwachsenen
  6. Erhöhung der Impfquoten in Deutschland

Das PrävG sieht Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen zur Verhinderung und Verminderung von Krankheitsrisiken (primäre Prävention) und zur Förderung des selbstbestimmten gesundheitsorientierten Handelns (Gesundheitsförderung) vor. Hierbei sollen Leistungen zur verhaltensbezogenen Prävention, zur Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten sowie im betrieblichen Umfeld erbracht werden. Im Präventionsgesetz ist vorgesehen, dass der Spitzenverband Bund der Krankenkassen einheitliche Handlungsfelder und Kriterien, Zielgruppen, Qualitätsstandards und Gesundheitsziele für die Gesundheitsförderung und Prävention festlegt. Folgende Gesundheitsziele werden durch das PrävG im § 20 SGB V u.a. vorgegeben:

  • Diabetes mellitus Typ 2: Erkrankungsrisiko senken, Erkrankte früh erkennen und behandeln
  • Brustkrebs: Mortalität vermindern, Lebensqualität erhöhen
  • Tabakkonsum reduzieren
  • gesund aufwachsen: Lebenskompetenz, Bewegung, Ernährung
  • gesundheitliche Kompetenz erhöhen, Souveränität der Patientinnen und Patienten stärken
  • depressive Erkrankungen: verhindern, früh erkennen, nachhaltig behandeln
  • gesund älter werden
  • Alkoholkonsum reduzieren

Des Weiteren legt das Präventionsgesetz verpflichtend für die gesetzlichen Krankenkassen Minderwerte für Leistungen für die Gesundheitsförderung und Prävention fest. Hiernach müssen ab 01. Januar 2016 pro Versichertem und Jahr insgesamt mindestens 7.-- € für Leistungen für die Gesundheitsförderung und Prävention erbracht werden, hiervon mindestens 2.-- € für die Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten und mindestens 2,-- € für die betriebliche Gesundheitsförderung.

Das PrävG sieht zudem folgende Ergänzung des § 20a des SGB V vor: „Die Krankenkassen fördern mit Leistungen zur Gesundheitsförderung in Betrieben (betriebliche Gesundheitsförderung) insbesondere den Aufbau und die Stärkung gesundheitsförderlicher Strukturen. Hierzu erheben sie unter Beteiligung der Versicherten und der Verantwortlichen für den Betrieb sowie der Betriebsärzte und der Fachkräfte für Arbeitssicherheit die gesundheitliche Situation einschließlich ihrer Risiken und Potenziale und entwickeln Vorschläge zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation sowie zur Stärkung der gesundheitlichen Ressourcen und Fähigkeiten und unterstützen deren Umsetzung. ... „

Des Weiteren wird durch das PrävG die Vorsorge durch Betriebsärzte gestärkt. So wird u.a. folgendes aufgeführt: „Die Krankenkassen oder ihre Verbände können in Ergänzung zur vertragsärztlichen Versorgung und unter Berücksichtigung der Richtlinien nach § 25 Absatz 4 Satz 2 mit geeigneten Fachärzten für Arbeitsmedizin oder den über die Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“ verfügenden Ärzten oder deren Gemeinschaften Verträge über die Durchführung von Gesundheitsuntersuchungen ..., über Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung, über Präventionsempfehlungen, Empfehlungen medizinischer Vorsorgeleistungen und über die Heilmittelversorgung schließen, soweit diese in Ergänzung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge erbracht werden.“

Chancen des PrävG für die Arbeitsmedizin

Mit derzeit über 43 Millionen Erwerbstätigen ist das betriebliche Umfeld der größte Settingansatz für die Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland. Der Gesetzgeber hat erkannt, dass gut organisierte arbeitsmedizinische Strukturen – sowohl in großen als auch in mittelständischen und kleinen Unternehmen - bestehen, die neben der betrieblichen Prävention und Gesundheitsförderung auch für allgemeine Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung gut genutzt werden können. Die Nutzung dieser Strukturen durch die Vorgaben des PrävG kann in Zukunft zu einer Förderung der allgemeinen und speziellen Präventionskultur in den Betrieben und damit zu einer Stärkung der Arbeitsmedizin führen.

Den Betriebsärzten und Betriebsärztinnen kommt durch das PrävG eine wichtige Lotsenfunktion und neutrale Beratungsrolle für das Thema Gesundheit im Betrieb zu. Aufgrund der fachlichen Expertise kann es hierdurch zu einer engeren Verzahnung von präventiver und kurativer Medizin kommen.

Durch die generell gute medizinische Versorgung in Deutschland geht in der Bevölkerung zunehmend die Sensibilität für die Notwendigkeit von Impfungen verloren. Wichtige und von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlene Impfungen werden nichtmehr in ausreichendem Umfang durchgeführt und dies führt zu Infektionsgefährdungen innerhalb der Bevölkerung. Nachdem das PrävG die zusätzlichen Durchführungen von Impfungen, die nicht durch berufliche Faktoren induziert sind, durch Betriebsärzte und Betriebsärztinnen und deren Abrechnung über die Krankenkassen ermöglicht, kann zum einen hierdurch der Impfschutz in Deutschland deutlich gesteigert werden, zum anderen wird hierdurch die Wahrnehmung der ärztlichen Kompetenz der Betriebsärzte und Betriebsärztinnen gefördert.

Arbeitsmedizinische Kompetenzen werden zudem auch im Rahmen von allgemeinen alters-, geschlechter- und zielgruppengerechten-r ärztlichen Gesundheitsuntersuchungen gefragt sein, die der Erfassung und Bewertung von gesundheitlicher Risiken und Belastungen sowie der zur Früherkennung von bevölkerungsmedizinisch bedeutsamen Krankheiten dienen. Entsprechend § 25 bzw. § 132 SGB V liegt hier der Fokus auf einer abgestimmten präventionsorientierte Beratung.) Unweigerlich wird dies alles mit einer Ausweitung der arbeitsmedizinischer Aufgaben zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verbunden sein und damit zu einer Stärkung der Arbeitsmedizin im Betrieb führen.

Ein großer Vorteil der arbeitsmedizinischen Prävention und Gesundheitsförderung für das Gesundheitswesen wird sein, dass im Bereich der Arbeitsmedizin keine finanziellen Interessen an einer weiterführenden Behandlung auffälliger Befunde bestehen sollte und somit präventive Maßnahmen auf das medizinisch Erforderliche und Notwendige begrenzt bleiben. Unter den Gesichtspunkten der quartären Prävention (siehe oben) werden keine unnötigen Präventionsmaßnahmen eingeleitet, um daraus finanzielle kurative Vorteile zu erzielen. Insgesamt bietet das neue PrävG vielfältige Möglichkeiten, um die arbeitsmedizinische Prävention und Gesundheitsförderung im Betrieb zu stärken.

Risiken des PrävG für die Arbeitsmedizin

Den aufgezeigten Chancen des PrävG stehen sicherlich auch einige Risiken und Gefahren gegenüber. Das PrävG erschließt der Arbeitsmedizin zukünftig über die Möglichkeit, Leistungen direkt mit den Krankenkassen abzurechnen (Einzelheiten sind hier noch nicht abschließend geregelt), neue Geschäftsfelder. Insbesondere bei fest angestellten Betriebsärzten und Betriebsärztinnen ist zu klären, wie diese zusätzlichen Einnahmemöglichkeiten mit den finanziellen Leistungen der Arbeitgeber verrechnet werden sollen. Im ungünstigen Falle könnten die neuen Einnahmequellen durch das PrävG dazu führen, dass originäre arbeitsmedizinische Aufgaben, etwa die Unterstützung des Arbeitgebers bei der Gefährdungsbeurteilung, zu Gunsten von Leistungen nach dem PrävG vernachlässigt werden.

Man wird zudem drauf achten müssen, dass es durch das PrävG nicht zu einer Verschiebung bzw. Fehlentwicklung von den Aufgaben des Betriebsarztes bzw. der Betriebsärztin im Unternehmen zum Hausarzt bzw. zur Hausärztin im Betrieb kommt. Dies könnte zu datenschutzrechtlichen Problemen führen, zudem kann hieraus sich eine Konkurrenzsituation zu den niedergelassenen kurativ tätigen Ärzten und Ärztinnen entwickeln, die den Erfolg präventiver und gesundheitsfördernder Maßnahmen gefährdet.

Wie in nahezu allen hoch qualifizierten Berufen wird derzeit auch in der Medizin und damit auch in der Arbeitsmedizin über den demografischen Wandel in unserer Gesellschaft und den damit verbundenen Nachwuchsmangel z.T. sehr kontrovers diskutiert. Sicherlich wird in der Arbeitsmedizin die zusätzliche Übernahme von Aufgaben nach dem PrävG diese Diskussion intensivieren. . Die nahe Zukunft wird zeigen müssen, ob und wie diese zusätzlichen Aufgaben sich auf die arbeitsmedizinische Versorgungssituation der Beschäftigten in den Betrieben auswirken wird.

Durch das PrävG könnte es dazu kommen, dass genuin betriebsärztliche Aufgaben mit Leistungen nach dem PrävG vermischt werden. Für den Beschäftigten bzw. die Beschäftigte im Betrieb wird es zukünftig eminent wichtig sein zu wissen, in welchem medizinischen System er bzw. sie sich befindet und was Pflichtaufgaben des Betriebsarztes bzw. der Betriebsärztinnen sind und was freiwillige Angebote nach dem PrävG darstellen. Der bzw. die Betroffene muss jeweils wissen, in welchem „Präventionssystem“ welche Maßnahmen verortet sind. Gelingt es nicht, hier klare Regelungen und Strukturen zu schaffen, dann ist zu befürchten, dass auf Grund von Schnittstellenproblemen die Arbeitsmedizin und damit die Prävention und Gesundheitsförderung im Betrieb Schaden nimmt.

Ein weiteres Problem könnte auch eine Ungleichbehandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen und von Versicherten privater Krankenkassen sein. Für die PKV bsteht bisher keine gesetzliche Verpflichtung zur Teilhabe an denden Vorgaben des PrävG. unterliegen,. Dies könnte zu unterschiedlichen Ansätzen in der arbeitsmedizinischen Prävention und Gesundheitsförderung führen, was ggf. zu erheblichen Verwerfungen im Betriebsfrieden nach sich ziehen und letztendlich der Arbeitsmedizin schaden könnte.

Ausblick

Das Gesundheitssystem in Deutschland braucht eine effiziente und nachhaltige Präventionsstrategie und Präventionskultur. Dass PrävG und die hierin verankerte Arbeitsmedizin kann einiges zur Förderung der allgemeinen und speziellen Prävention und Gesundheitsförderung beitragen. Wie an einzelnen Punkten aufgezeigt, kann das PrävG neben Chancen auch mit Risiken für die Arbeitsmedizin verbunden sein. Eine wichtige Aufgabe der arbeitsmedizinischen Verbände, DGAUM, VDBW, BsAfB, wird es sein, dies frühzeitig zu erkennen und gemeinsam Fehlentwicklungen entgegen zu wirken.

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Literatur

(1) http://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&start=//*%255B@attr_id='bgbl115s1368.pdf'%255D#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl115s1368.pdf%27%5D__1451297954965

(2) http://www.gesetze-im-internet.de/arbmedvv/

(3) http://www.bmas.de/DE/Themen/Arbeitsschutz/Gesundheit-am-Arbeitsplatz/betriebliches-eingliederungsmanagement.html

(4) Kuehlein T, Sghedoni D, Visentin G, Gérvas J, Jamoule M. Quartäre Prävention, eine Aufgabe für Hausärzte. PrimaryCare. 2010; 10(18):350-4. (https://primary-hospital-care.ch/issue/edn/pc-d.2010.18)

 

Kontakt zu den Autoren

Univ.-Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. Stephan Letzel, Vizepräsident DGAUM;
Email: letzel@uni-mainz.de

Dr. phil. Thomas Nesseler, Hauptgeschäftsführer DGAUM;
Email: tnesseler@dgaum.de