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Eine Erfolgsgeschichte für Mitarbeiter und Unternehmer

Betriebliches Gesundheitsmanagement für Kofferlader am Hamburg Airport

Ausgangssituation am Hamburg Airport

Die Geschäftsführung des Hamburger Flughafens hat früh erkannt, wie sich der demografische Wandel auf die Struktur der eigenen Belegschaft auswirken wird. In der Gruppe der gewerblichen Mitarbeiter deuten sich bereits heute ein steigendes Durchschnittsalter der Beschäftigten und eine zunehmende Lebensarbeitszeit an.

Hinzu kommt ein altersbedingter Anstieg an Fehltagen und ein Mangel an Fachkräften beim Nachwuchs ( Abb. 1).

Um einer sinkenden Beschäftigungsfähigkeit entgegenzuwirken, entstand zunächst die Idee, in der damals neu eröffneten Einkaufs-Plaza des Hamburger Flughafens ein Fitnesscenter für jedermann und für die Beschäftigten einzurichten. Hiermit wurde die Firma Kieser beauftragt, die Ende 2010 ihre Trainingsräume bezog. Ein bundesweit einheitliches Trainingskonzept sollte hier örtlich und konzeptionell eine Lücke im betrieblichen Gesundheitsschutz schließen.

Aller Anfang ist schwer

Der Geschäftsführer des Fitnesscenters, Uwe Sasse, informierte frühzeitig die ca. 7500 Beschäftigten des Hamburger Flughafens bezüglich des neuen Konzepts der Rückengesunderhaltung und eines kraftorientierten Trainings. Die Resonanz war allerdings zunächst sehr gering. Nur wenige Mitarbeiter hatten Interesse, sich gegen einen relativ hohen Mitgliedsbeitrag und für einen fest vorgegebenen, vergleichsweise langen Zeitraum direkt am Arbeitsplatz zur „freiwilligen“ Gesunderhaltung zu verpflichten. Ein weiterer Grund für das geringe Interesse bestand vielleicht auch darin, dass die Mitarbeiter, die dieses Angebot während der Pausen- oder Arbeitszeiten nutzen wollten, durch die Sicherheitskontrolle des Flughafens mussten, um das im öffentlichen Bereich ansässige Fitnesscenter zu besuchen. Wie auch für Passagiere ist dies erfahrungsgemäß aufwändig und kann zeitraubend sein.

Im Jahre 2012, auf der Suche nach einem geeigneten Drehort für den Unterweisungsfilm für Flugbegleiter „Profis in der Luft – Gesund und sicher fliegen“, kam es zu einem engeren Austausch zwischen dem Geschäftsbereich Prävention der BG Verkehr und der Geschäftsführung von Kieser. Dabei wurden zahlreiche Fragen zum betrieblichen Gesundheitsschutz diskutiert, z. B. wie sich der UV-Träger mit seinem Wissen und seinen Möglichkeiten einbringen kann. Für beide Seiten stand schnell fest, dass es bisher wenig konkrete Erfahrungen gab, wie eine zielgruppenspezifische betriebliche Gesundheitsförderung effektiv umgesetzt werden kann.

Wie ging es weiter?

Im ersten Schritt wurde von Uwe Sasse ein neues Unternehmen, Lifebonus, gegründet und eine umfassende Recherche durchgeführt, um zu klären, wie eine betriebliche Gesundheitsförderung im Rahmen des BGM des Hamburger Flughafens für bestimmte Berufsgruppen implementiert werden könnte. Folgende Fragen standen dabei im Fokus:

  1. Wie genau wirkt sich der demografische Wandel in den kommenden 10 Jahren auf die Zusammensetzung unterschiedlicher Berufsgruppen am Hamburg Airport aus, insbesondere bezüglich der Altersstruktur und des zu erwartenden Fachkräftemangels?
  2. Welche Berufsgruppen sind einer (besonders) hohen Belastung des Muskel-Skelett-Apparats ausgesetzt?
  3. Bei welchen Tätigkeiten treten durch statische Haltungen möglicherweise körperliche Unter- bzw. Überforderungen auf?

Parallel zur Auswertung der Rechercheergebnisse wurden Führungskräfte identifiziert, die den Gesundheitsschutz ihrer Mitarbeiter aktiv unterstützen und innovative Ansätze der Gesunderhaltung fördern wollten. Dabei ging es sowohl um die finanzielle Unterstützung des Projekts als auch um die Motivierung der Beschäftigten zur Teilnahme. In Zusammenarbeit mit der Personalabteilung und der Unternehmensleitung des Hamburger Flughafens kristallisierte sich für dieses Pilotprojekt schnell die Berufsgruppe der Gepäcklader auf dem Vorfeld heraus.

Zielgruppenspezifische Gesundheitsförderung

Vergleichbar mit anderen gewerblich Beschäftigten am Hamburg Airport, lag das Alter der Gepäcklader im Jahr 2014 bei durchschnittlich 43 Jahren. Prognosen des BMAS, der Krankenversicherungsträger und der Personalabteilung des Hamburger Flughafens zufolge, wird das Durchschnittsalter dieser Berufsgruppe in den nächsten 10 Jahren auf 49 Jahre ansteigen. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der Entwicklung der Erwerbstätigenquote der deutschen Bevölkerung insgesamt wieder ( Abb. 2).

Außerdem war der Anteil der krankheitsbedingten Ausfallzeiten durch Rückenprobleme mit etwa einem Drittel in der Gruppe der Gepäcklader vergleichsweise hoch. Zum Vergleich: In der Gruppe der kaufmännischen Angestellten lag dieser Anteil bei ca. 15 % (Quelle: Personalabteilung Hamburg Airport). Auch in der Bevölkerung insgesamt zeigt sich, dass Muskel-Skelett-Erkrankungen im Jahr 2015 mit 19,8 % bei den Frauen und 23,8 % bei den Männern den höchsten Anteil an den Arbeitsunfähigkeitstagen (AU-Tagen) einnehmen (DAK Gesundheitsreport 2016, S. 26). Zudem steigt der Anteil der Muskel-Skelett-Erkrankungen an allen AU-Tagen mit zunehmendem Alter deutlich an ( Abb. 3).

Ausgerichtet auf die Gruppe der Gepäcklader sah das Konzept für die ersten 18 Monate ein gesundheitsorientiertes Krafttraining nach einer gründlichen ärztlichen Eingangsuntersuchung vor. Darüber hinaus sollten alle Teilnehmer über den gesamten Zeitraum medizinisch und physiotherapeutisch begleitet werden. Um den gesamten Prozess zu dokumentieren, waren außerdem umfangreiche Datenerhebungen vorgesehen. Neben Geschlecht, Alter und gesundheitlichem Status nach der Eingangsuntersuchung, wurden auch Angaben zu privaten gesundheitlichen und sportlichen Aktivitäten abgefragt. Die umfassende persönliche Betreuung wurde durch ein interdisziplinäres Team aus Sportwissenschaftlern, Physiotherapeuten, Fitnesstrainern, Orthopäden und Arbeitsmedizinern gewährleistet. Basierend auf einer intensiven Analyse der Arbeitsabläufe der Gepäcklader, entwickelte Lifebonus ein leicht erlernbares Trainingskonzept zur Stärkung der Rückenmuskulatur sowie zur Aneignung und Verinnerlichung von belastungsärmeren Bewegungsabläufen mithilfe einer speziellen Bewegungs- und Kraftanalyse-Software.

Die Rolle der BG Verkehr

Im Rahmen der Präventionskampagne „Denk an mich, dein Rücken!“ der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) förderte die BG Verkehr den neuen Trainings-Satelliten bestehend aus Trainingsraum und Mock-up (Job-Simulator, s. unten). Die DGUV-Kampagne stand dabei in einem engen Zusammenhang mit den Aktivitäten der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie zur Prävention von Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE), in deren Verlauf die Unfallversicherungsträger Betriebe dabei unterstützen, das Risikopotenzial von Tätigkeiten in Bezug auf MSE besser einzuschätzen und zielgerichtet zu reduzieren. Zentral war dabei die Erkenntnis, dass durch eine ergonomische und altersgerechte Gestaltung von Arbeitsplätzen sowie die Förderung von präventivem Verhalten, MSE wirksam vorgebeugt werden kann.

Das Mock-up

Neben dem Trainingsraum mit ausgewählten Rückentrainingsgeräten von Kieser, sah das Gesamtkonzept von Lifebonus vor, ein so genanntes Mock-up, d.h. einen Job-Simulator zu integrieren. In diesem Mock-up wurden die räumliche Situation und die Arbeitsabläufe so nachgebildet, dass es für Übungszwecke genutzt werden konnte. Das hierfür neu entwickelte Mock-up war im Wesentlichen ein Nachbau eines Gepäckförderbandwagens, eines Gepäckanhängers und des höhenverstellbaren Gepäckladeraums eines Verkehrsflugzeuges. Hier konnte unter professioneller Anleitung das richtige Handhaben von Lasten erlernt und geübt werden. Neben diesen praxisnahen Trainings wurde der Raum des Mock-up auch für die Vermittlung theoretischer Inhalte genutzt. In Kleingruppen bis zu einer Teamstärke von vier Personen vermittelten Experten Wissen zu unterschiedlichen Themen wie „Aufbau und Funktion des Muskel-Skelett-Apparates“ oder „Sinn und Nutzen von gesundheitsorientiertem Krafttraining“.

Wie wurden die Beschäftigten zur Teilnahme an der betrieblichen Gesundheitsförderung motiviert?

Anfänglich belief sich die Zahl der freiwilligen Teilnehmer auf gut 40 % der Lader; eine Zahl, die im Verlauf des Projekts noch deutlich ansteigen sollte. Zunächst wurden die Beschäftigten durch den Unternehmer über das Angebot der betrieblichen Gesundheitsförderung informiert. Alle Interessierten absolvierten dann einen Eingangstest bei einem Sportmediziner, bei dem ihr allgemeiner Gesundheits- und Trainingszustand festgestellt wurde. Parallel dazu wurden mittels Fragebögen weitere Angaben zum Gesundheitszustand und möglichen Gesundheitsrisiken erhoben, beispielsweise zu Vorerkrankungen des Muskel-Skelett-Apparats oder des Herz-Kreislauf-Systems. Diese Daten wurden bei der Erstellung der individuellen Trainingspläne berücksichtigt. Wenn der Beschäftigte die gesundheitlichen und körperlichen Voraussetzungen erfüllte, wurde er in das Programm aufgenommen.

Alle Teilnehmer erhielten dann eine persönliche Einweisung in die Trainingsgeräte sowie eine Trainingskarte mit ihren Gesundheits- und Trainingsdaten. Ab diesem Zeitpunkt hatten die Beschäftigten die Möglichkeit, in den Zeitfenstern zwischen den Abfertigungen der Luftfahrzeuge in den Trainings-Satelliten zu gehen und dort unter Anleitung ihre gesundheitsorientierten Übungen an den Geräten zu absolvieren. Jeder Mitarbeiter konnte darüber hinaus im Mock-up unter physiotherapeutischer Anleitung das richtige Handhaben von Lasten üben und die eigenen Bewegungsabläufe verbessern. Mit der Bewegungs- und Kraftanalyse-Software in Verbindung mit einem Tablet-PC wurde die Optimierung der Haltung des Beschäftigten visualisiert. Zusätzlich wurde die Integration der neu trainierten Bewegungsabläufe in der täglichen Praxis direkt am Luftfahrzeug von den Jobtrainern geprüft und bei Bedarf korrigiert. Entgegen der Befürchtungen fühlten sich die meisten Mitarbeiter dadurch nicht kontrolliert, sondern ließen sich, wenn erforderlich, gerne unterstützen.

Integration in den Arbeitsalltag

Um den teilnehmenden Beschäftigten regelmäßig die Möglichkeit zu geben, die Trainingsgeräte zu nutzen sowie die Bewegungsabläufe im Mock-up zu vertiefen, wurden fiktive Abfertigungsaufträge in die Arbeitsabläufe integriert. In arbeitsärmeren Zeiträumen gab es auf dem Anzeigemonitor für die Flugzeugabfertiger Scheinaufträge. Das komplette Abfertigungsteam ging dann in den Mock-up und simulierte unter den Augen der Trainer die Abfertigung mit Probegepäck.

Da alle Trainingseinheiten während der Arbeitszeit stattfanden und es darüber hinaus ein attraktives Bonussystem, u.a. auch mit finanziellen Anreizen gab, stieg die Akzeptanz bei den Mitarbeitern stark an. Anfänglich skeptische Teilnehmer der Informationsveranstaltungen ließen sich zunehmend auch vom Trainingskonzept überzeugen.

Ergebnisse

Im ersten Beobachtungsjahr stieg die Anzahl der gewerblichen Teilnehmer (Gepäcklader) um mehr als das Doppelte auf ca. 180 Personen an. Der Rückgang der Fehltage aufgrund von Rückenbeschwerden betrug in der teilnehmenden Personengruppe ca. 40 %.

Ausblick

Das hier vorgestellte Projekt zur betrieblichen Gesundheitsförderung am Hamburg Airport wurde auf verschiedenen Fachveranstaltungen vorgestellt und 2015 durch die Senatorin für Gesundheit und Verbraucherschutz mit dem Gesundheitspreis ausgezeichnet. Für 2017 ist eine Erweiterung des Angebots für andere gewerbliche Mitarbeiter aus den Bereichen Flugzeuginnenreinigung, Gepäckkeller sowie für Schlepper- und Busfahrer vorgesehen.

    Autor

    Helge Homann

    BG Verkehr

    Ottenser Hauptstraße 54

    22765 Hamburg

    helge.homann@bg-verkehr.de

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