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Neuer Lernzielkatalog für das Fach Arbeitsmedizin

A. Preisser, P. Angerer, S. Hildenbrand, T. Muth, T. Nesseler, C. Oberlinner, A., G. Triebig, S.Letzel

Ziel der Ärztlichen Ausbildung gemäß der Approbationsordnung für Ärzte (ÄAppO) ist der „wissenschaftlich und praktisch ausgebildete Arzt“, der zur eigenständigen und selbstständigen ärztlichen Berufsausübung sowie zur Weiterbildung und zur ständigen Fortbildung befähigt ist. Die Arbeitsmedizin trägt zu diesem Ziel durch die Lehre in dem Fachgebiet „Arbeitsmedizin, Sozialmedizin“ gemäß § 27 ÄAppO sowie durch die Beteiligung an Querschnittsbereichen und Wahlfächern bei (http://www.gesetze-im-internet.de/_appro_2002/BJNR240500002.html).

Die Arbeitsmedizin hat damit zur Reali-sierung einen wesentlichen Beitrag zu leisten. Dieser besteht unverzichtbar und unverwechselbar in

  • der Vermittlung von Kenntnissen, Fähig-keiten, Fertigkeiten und Einstellungen für das präventivmedizinische Handeln zukünftiger Ärzte/Ärztinnen, einem der Schwerpunkte der Approbationsordnung;
  • der Vermittlung von Kenntnissen, Fähig-keiten und Fertigkeiten zum Vorbeugen, Erkennen und Behandeln arbeitsbeding-ter Einflüsse auf die Gesundheit und dar-aus resultierender Krankheitsbilder, insbesondere von Berufskrankheiten;
  • der Vermittlung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Beurteilung der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit sowie der Arbeitsunfähigkeit entsprechend der konkreten Arbeitsanforderungen, womit die Arbeitsmedizin wesentlich zur Grund-kompetenz des zukünftigen Arztes/Ärz-tin beiträgt;
  • der Vermittlung von Kenntnissen, Fähig-keiten und Fertigkeiten zum Erkennen arbeitsbedingter Einflüsse auf die Gesundheit, zur Beurteilung der physischen und psychomentalen Leistungsfähigkeit leistungsgeminderter Erwerbstätiger und deren beruflicher Rehabilitation entspre-chend den konkreten Arbeitsanforderun-gen;
  • der Vermittlung von Kenntnissen zu den Verpflichtungen des Arztes/der Ärztin als Arbeitgeber/-in und Arbeitnehmer/-in sowie zu den Möglichkeiten für den Pa-tienten/-innen im Rahmen der gegenwärtigen sozialrechtlichen Bedingungen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes in Deutschland und der Europäischen Union (Letzel 2006).

Zur Qualitätssicherung der arbeitsmedizinischen Ausbildung im Medizinstudium hat die Arbeitsmedizin als eines der ersten medi-zinischen Fächer bereits im Jahr 2003 einen Themen- und Lernzielkatalog erarbeitet und veröffentlicht (Letzel et al. 2003). Dieser Themen- und Lernzielkatalog war in den letzten Jahren Grundlage für die Lehre in der Arbeitsmedizin. Bei der Umsetzung dieses Katalogs in die Praxis der ärztlichen Aus-bildung zeigte sich jedoch, dass dieser in einzelnen Bereichen zu umfangreich ausgefallen ist. Im Rahmen der Diskussion zu einem nationalen Lernzielkatalog für das Medizinstudium (Nationaler Kompetenzbasierter Lernzielkatalog Medizin, NKLM) hat die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) nun beschlossen den Lernzielkatalog „Arbeitsmedizin“ zu überarbeiten und an die Vorgaben des in Entstehung begriffenen NKLM anzupassen.

Hintergrund des nationalen Lernzielkatalogs für das Medizinstudium

Der Wissenschaftsrat (WR) und der Hochschulausschuss der Kultusministerkonferenz (KMK) haben in den Jahren 2008 (WR) bzw. 2009 (KMK) eine Qualitätsverbesse-rung von Lehre und Studium sowie einen Fachqualifikationsrahmen für das Medizinstudium gefordert (u. a. http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/8639-08.pdfund http://www.mft-online.de/files/2012_omft_hickel_fischer.pdf). Daraufhin wurden die Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA) und der Medizinische Fakultätentag (MFT) beauftragt, einen nationalen Lernzielkatalog im Sinne eines Kerncurriculums für das Studium der Human- (NKLM) bzw. Zahnmedizin (NKLZ) bis zur Approbation zu entwickeln.

GMA und MFT orientierten sich in der Gliederung des NKLM an den Fähigkeiten, Fertigkeiten und professionellen Haltungen, die im Medizinstudium erlangt werden sollen. In dem Entwurf wurde daher zunächst bewusst auf eine klassische Fächer- oder Organzuordnung verzichtet. In 23 Kapiteln werden die Einzelkompetenzen in den zu erzielenden Kompetenzebenen Faktenwissen, Handlungs- und Begründungswissen sowie Handlungskompetenz dargestellt. Die Kapitelaufteilung orientiert sich an überge-ordneten Kompetenzen wie z. B. „Der Arzt/die Ärztin als Kommunikatoren“ oder „… als Verantwortungsträger“ sowie an Lernzielen, z. B. „Prinzipien von Normalfunktion“, „Dia-gnostische Verfahren“ oder „Therapeutische Prinzipien“. Der NKLM soll hierbei den Gegenstandskatalog des Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP), der die Kenntnisse für das Staatsexamen beschreibt, um übergeordnete Fähigkeiten, Fertigkeiten und professionelle Haltungen ergänzen. Er soll den Fakultäten als Orientierung dienen. Rechtlich verbind-lich sind weiterhin die Approbationsordnung des Bundesministeriums für Gesundheit, die Vorgaben der Landesprüfungsämter sowie die Studien- und Prüfungsordnungen der medizinischen Fakultäten (http://www.awmf.org/fileadmin/user_upload/Die_AWMF/Delegiertenkonferenz/DK-2013-11/DK-2013-11-TOP16_Fischer.pdf).

Bereits im Vorfeld wurde die nicht namentliche Nennung der Fächer im NKLM als Problem gesehen. Diese seien für die Studierenden nun weniger sichtbar. Auch wurde es kritisch eingeschätzt, dass es in der Formulierung mancher Kompetenzen zu Überschneidungen in der Zuständigkeit der verschiedenen Fachbereiche kommen könnte.

Den wissenschaftlichen Fachgesellschaf-ten und den medizinischen Fakultäten wurde der erste öffentliche Entwurf des NKLM im Jahr 2013 vorgelegt. Bis Mitte November 2013 konnte der Entwurf ergänzt, reduziert, kommentiert und kritisiert werden (http://www.aerzteblatt.de/archiv/153001/Lernzielkatalog). Während dieser Phase der inhaltlichen Diskussion des NKLM wurde deutlich, dass sowohl viele Fakultäten als auch eine Mehrheit der wissenschaftlichen Fachgesellschaften – u. a. auch die DGAUM – den NKLM in der derzeit vorliegenden Fassung ablehnen (s. Links unter „Weitere Infos“).

Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften(AWMF) – der Dachverband von über 160 wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften – hat im Protokoll ihrer Delegiertenversammlung vom 09. November 2013 die wichtigsten Kritikpunkte zum NKLM wie folgt zusammengefasst:

Kritik der AWMF am formalen Prozess

  • Die Ziele seien unklar formuliert (geht es um Absolventenprofil, Kerncurriculum oder Arztrollen?).
  • Es fehle ein methodisches Grundgerust, wie die Arbeitspakete erstellt und revidiert werden sollen.
  • Die Mandatstragerschaft und Kompetenz der Autoren der Arbeitspakete seien unklar.
  • Die AWMF kritisiert, dass entgegen frü-heren Gepflogenheiten sowohl die Fach-gesellschaften als auch die Bundesarztekammer nicht an der Erstellung dieses Katalogs beteiligt wurden.

Inhaltliche Kritik der AWMF am Entwurf zu einem Lernzielkatalog

  • Naturwissenschaftliches und medizinisches Grundlagenwissen sowie ihre Zusammenhänge seien unterbewertet.
  • Der Abgleich mit den bereits verfügbaren Rahmenkonzepten zeige Verbesserungs-möglichkeiten bei der Abbildung klinisch anwendbarer Fähigkeiten, Wissenschaft-lichkeit/Forschung und Kompetenzen für lebenslanges Lernen.
  • Einige Arbeitspakete würden einer schlei-chenden Entakademisierung des univer-sitären Fachs Medizin Vorschub leisten, indem dort eher verallgemeinerte Hand-lungsanleitungen zur Patientenbehand-lung ("Kochrezepte") formuliert würden und keinem auf einer wissenschaftlichen Basis ruhenden, analytischen Verständnis der Entstehung und des Verlaufs von Krankheiten der Vorzug gegeben werde.
  • Der vorliegende Text sei kein Kerncurri-culum: der Umfang sei hierfür erheblich zu groß, die Unterscheidung von Absolvent vs. Facharzt sei nicht hinreichend differenziert. Bei dieser Detailtiefe werde der NKLM sehr schnell veraltet sein.
  • Trotz des gewaltigen Umfangs weise der NKLM signifikante Lücken in der Wahl der Themen auf. Diese sei zudem nicht ausgewogen.
  • Es fehle eine systematische Dokumenta-tion bzw. Zusammenführung der Inhalte,anhand derer „die unveräußerbaren Prin-zipien der Medizin als einer akademischen Disziplin“ gelehrt werden sollen.
  • Durch den expliziten Ausschluss der einzelnen medizinischen Fächer aus den Themenlisten des NKLM fehle jedweder Mechanismus, wie dieser Katalog in Zu-kunft fortgeschrieben werden solle. An-sonsten müsste man der GMA unterstellen, dies zukünftig ganz alleine bewerkstelligen zu wollen.
  • Es fehle die Zuordnung von Kompeten-zen zu Fächern, die deren Erwerb vermitteln; zudem fehlt die Systematik inner-halb der Fächer selbst.

Aufgrund intensiv geführten Diskussionen und der vorgebrachten Kritik verzögert sich derzeit die Erstellung des NKLM. Die einzel-nen wissenschaftlichen medizinischen Fach-gesellschaften – auch die DGAUM – wurden zwischenzeitlich aufgefordert, Änderungsvorschläge für den NKLM einzubringen. Eine Verabschiedung des NKLM ist nun frühestens im Rahmen des Medizinischen Fakultätentags (MFT) im Juni 2015 geplant.

Der Vorstand der DGAUM hatte der GMA im Herbst 2014 vorgeschlagen, eine Arbeits-gruppe einzurichten, um Vorschläge zu den übergeordneten Lernzielen für das Fach Arbeitsmedizin zu erarbeiten. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe waren (alphabetische Rei-henfolge): Prof. Dr. Peter Angerer, Düsseldorf, Dr. Sibylle Hildenbrand, Tübingen, Prof. Dr. Stephan Letzel, Mainz, Dr. Thomas Muth, Düsseldorf, Priv.-Doz. Dr. Christoph Oberlinner, Ludwigshafen, Dr. Alexandra Preisser, Hamburg, und Prof. Dr. Gerhard Triebig, Heidelberg.

Lernzielkatalog Arbeitsmedizin der DGAUM

Nach Auffassung der DGAUM soll der über-arbeitete Lernzielkatalog den Lehrenden als Orientierung im Fach Arbeitsmedizin dienen. Selbstverständlich können diese eigene Schwerpunkte und Gewichtungen setzen sowie über die einzelnen Lernziele hinausgehen. Der Lernzielkatalog soll das Rahmen-programm darstellen, das als Grundlage für die Prüfung an allen Universitäten dient.

Für die Studierenden hingegen beschreibt der Lernzielkatalog Arbeitsmedizin die zum Abschluss des Medizinstudiums (Ärztliche Prüfung) erforderlichen ärztlichen Kompetenzen (Wissen, Fertigkeiten und Haltung) im Fach Arbeitsmedizin. Erst dadurch wird ein selbstverantwortliches Lernen möglich. Denn die Absolventen müssen im Rahmen ihrer Ausbildung befähigt werden, sich selbständig über Themen zu informieren, die im Unterricht nicht oder nur allgemein behandelt wurden. Dies ist eine unerlässliche Vor-aussetzung, um sich in der ärztlichen Praxis eigenständig jene Kenntnisse und Fähigkeiten zu erarbeiten, derer man im Umgang mit einem bestimmten Patienten oder Klienten bedarf, um dem medizinischen Versorgungs-auftrag zu entsprechen.

Der NKLM schlägt die in Tabelle 1 zusammengestellten Kompetenzebenen vor, diese wurden von der Arbeitsgruppe der DGAUM übernommen. In Anlehnung an den NKLM werden für die Arbeitsmedizin die in Tabelle 2 dargestellten übergeordneten Lernziele zur Diskussion gestellt.

Ausblick

Ihrem Selbstverständnis und Bildungsauftrag entsprechend ist die Humboldt’sche Formel der Einheit von Forschung und Lehre die Grundlage der Universitäten. In der Me-dizin wird diese Einheit noch um den Aspekt der Patientenversorgung erweitert. Während sich die Forschung und auch die Patientenversorgung in den letzten Jahren und Jahrzehnten an den medizinischen Fakultäten der deutschen Universitäten sehr positiv entwickelt haben, stagniert an manchen Standorten die Weiterentwicklung der Lehre bzw. der studentischen Ausbildung.

Wie bereits eingangs erwähnt, hat der Wissenschaftsrat auf dieses Missverhältnis hingewiesen und zudem eine Qualitätsverbesserung von Lehre und Studium gefordert (http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/8639-08.pdf). Ein fachlich ausge-wogener Lernzielkatalog für das Medizinstudium, der auf den Grundlagen einer am naturwissenschaftlichen Denken und Handeln orientierten Medizin gründet, kann sicherlich einen wichtigen Teil zur Qualitäts-verbesserung in der Lehre beitragen, alleine wird jedoch ein NKLM hierzu nicht ausreichen. Um Qualitätsstandards zu steigern, ist es in Zeiten der Leistungsbezogenen Mittel-vergabe (LOM) an den Universitäten drin-gend erforderlich, neben Forschungsleistun-gen und der Einwerbung von Drittmitteln auch die Lehre in die Leistungsbeurteilung einzubeziehen. Es erscheint zudem dringend geboten, dass der Lehre ein deutlich größerer Stellenwert bei der Ausbildung und Berufung von Hochschullehrern eingeräumt wird, als dies derzeit der Fall ist.

Für die Arbeitsmedizin hofft die DGAUM mit dem zur Diskussion gestellten Lernziel-katalog einen wichtigen Beitrag zur Quali-tätssicherung der medizinischen Ausbildung leisten zu können. Gerne nehmen wir Änderungs- und Ergänzungsvorschläge für die Fortentwicklung des Lernzielkatalogs auf.

Literatur

Letzel S: Aus-, Weiter- und Fortbildung in der Arbeits- und Umweltmedizin. In: DGAUM (Hrsg.): Arbeitsmedizin heute, Konzepte für morgen. Stutt-gart: Gentner, 2006.

Letzel S, Oldenburg M, Baur X, Scheuch K: Themen-katalog und Lernzielkatalog „Arbeitsmedizin“. Arbeits-med Sozialmed Umweltmed 2003; 38: 588–593.

    Weitere Infos

    Für die Autoren

    Univ.-Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. Stephan Letzel

    Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universitätsmedizin Mainz

    Obere Zahlbacher Straße 67 – 55131 Mainz

    letzel@uni-mainz.de

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